Kfz-Versicherungen:Streit um Telematik-Tarife

Verkehrsunfall

Blechschäden wie diese könnten künftig von einer künstlichen Intelligenz berechnet werden.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Die Kfz-Versicherer sind sich uneins, ob Konzepte zur Überwachung der Fahrweise bereits so ausgeklügelt sind. Die Digitalisierung kann für sie auch zur Gefahr werden.

Von Christian Bellmann und Patrick Hagen, Köln

Die Idee hinter Telematik-Tarifen in der Autoversicherung ist verführerisch: Wer vorsichtig und vorausschauend fährt, zahlt weniger Prämie als risikobereite Fahrer. Es ist also kein Wunder, dass immer mehr Versicherer solche Tarife anbieten, bei denen eine Smartphone-App, eine Box oder eine flache Scheibe im Auto die Fahrweise protokollieren.

Umsichtige Fahrer können bei diesen Verträgen bis zu 30 Prozent sparen. Vor allem für junge Kunden, die sonst hohe Prämien zahlen müssten, ist das attraktiv. Viele Anbieter erhoffen sich außerdem eine bessere Kundenbindung und mehr Kontakt zu den Versicherten, wenn sie ihnen regelmäßig eine Auswertung der Fahrweise zuschicken. Ganz anders sieht das Christoph Samwer, der Chef des Berliner Digitalversicherers Friday. "Autofahren hat mit Freude zu tun, aber eine Überwachung des Fahrstils durch Telematik-Tarife macht diesen Spaß zunichte", sagte er auf einer SZ-Konferenz. Samwer ist ein Cousin der in der Start-up-Szene bekannten Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer.

Er will die Kundenzufriedenheit stattdessen mit Policen verbessern, die genauer auf die Versicherten zugeschnitten sind. Friday setzt dafür auf einen Tarif mit kilometergenauer Abrechnung, den die Kunden monatlich statt einmal im Jahr kündigen können. Der Versicherer ist eine Tochter der Schweizer Baloise und ist seit dem vergangenen Jahr in Deutschland aktiv.

Ein häufiges Argument von Gegnern der Telematik-Tarife ist, dass sie gegen den Kollektivgedanken der Versicherung verstoßen. Dahinter steht die Idee, dass ein Kollektiv von Versicherungskunden für Schäden bei Einzelnen aufkommt. Dieses Prinzip werde aufgelöst, wenn jeder Kunde nur noch für sein individuelles Risiko zahlt. Das will Generali-Manager Ulrich Rieger nicht gelten lassen. "In der Kfz-Versicherung gibt es kein Versicherungskollektiv im eigentlichen Sinne", sagte er. Denn schon jetzt richten sich die Beiträge der Kunden nach vielen individuellen Daten zum Auto und zum Fahrer. Mehr als 40 verschiedene Kriterien tragen zum Preis einer Autoversicherung bei.

Die Generali setzt nicht nur in der Autoversicherung stark auf Tarife, die das individuelle Verhalten der Kunden berücksichtigen. Bei den umstrittenen Vitality-Verträgen der Generali bekommen Kunden in der Berufsunfähigkeits- und Risikolebensversicherung Prämien, wenn sie Sport machen und sich gesund ernähren.

Die Autoversicherung steht gerade vor großen Veränderungen. Dazu tragen nicht nur Telematik-Tarife bei, sondern auch die Entwicklung selbstfahrender Autos und der Trend zu Carsharing. Wie sich das genau auf die größte Sparte der deutschen Versicherer auswirken werde, ist noch unklar. Experten gehen aber davon aus, dass ihre Prämieneinnahmen stark sinken werden. R+V-Manager Jan Dirk Dallmer rechnet deshalb mit einem neuen Preiskampf in der Autoversicherung. "Bei dem harten Wettbewerb in unserer Branche wird das sofort negativen Einfluss auf die Prämien haben", fürchtet er. Die R+V experimentiert zurzeit mit selbstfahrenden Bussen. Autonom fahrende Autos könnten künftig vor allem für ältere Fahrer interessant werden. "Sollten sie aufgrund ihrer Alters keinen Versicherungsschutz mehr bekommen, könnten sie auf ein selbstfahrendes Auto umsteigen und damit weiter mobil bleiben", sagte Dallmer.

Die Digitalisierung und die Nutzung von großen Datenmengen bringt auch große Gefahren für das Geschäftsmodell der Versicherer. Die größte Bedrohung ist, dass sie den direkten Zugang zu den Kunden verlieren könnten, warnt Daniel Englberger vom Versicherer Zurich. "Wenn wir es nicht schaffen, die Kundennähe zu halten oder wiederzugewinnen, stehen wir vor großen Herausforderungen", sagte er. Eine Bedrohung sind vor allem die Internetkonzerne Amazon, Google und Facebook. Sie kennen ihre Kunden besser als die Versicherer und könnten ihnen auch Versicherungen anbieten. Amazon macht bereits erste Schritte in diese Richtung. Für die traditionellen Versicherer bliebe nur noch die Rolle als Risikoträger, der direkte Zugang zu den Kunden könnte verloren gehen.

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