Süddeutsche Zeitung

Autoversicherung:Was Sie bei Fahrerflucht tun können

Lesezeit: 3 min

Von Anne-Christin Gröger

Andreas Krämer ist genervt. Der Rechtsanwalt parkt sein Auto an einer viel befahrenen Durchgangsstraße in einem Frankfurter Vorort - und regelmäßig wird ihm der Seitenspiegel abgefahren. Die Verursacher melden sich selten. "Das kostet mich jedes Mal 150 bis 250 Euro", sagt der Jurist, der sich auf Verkehrs- und Versicherungsrecht spezialisiert hat.

In der Regel zahlt Krämer den Schaden aus eigener Tasche. Würde er jedes Mal seinen Versicherer informieren, wäre seine Kasko-Police wohl unbezahlbar. Für jeden gemeldeten Schaden stufen die meisten Anbieter ihre Kunden bei der Schadenfreiheitsklasse zurück. Und das bedeutet höhere Prämien.

Wie dem Rechtsanwalt geht es vielen Autofahrern. Sie kommen nach dem Einkaufen oder nach der Arbeit zu ihrem Auto und finden den Spiegel abgefahren oder den Kotflügel verbeult. Vom Verursacher des Schadens fehlt jede Spur.

Die Fahrerflucht, im Juristendeutsch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, ist strafbar und kann je nach Schwere mit Führerscheinentzug oder Gefängnis bestraft werden. Trotzdem nimmt die Zahl der Fälle zu. Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen zählte 2018 138 936 Fälle, 2,2 Prozent mehr als 2017. In Bayern stieg die Zahl um 1,2 Prozent auf 78 821 Fälle. Meistens geht es um Sachschäden, doch auch Fälle, bei denen Menschen verletzt oder getötet werden, nehmen zu. Bundesweite Statistiken zur Unfallflucht gibt es nicht.

Besonders ärgerlich ist für die Betroffenen, dass sie den Schaden oft nicht ersetzt bekommen, wenn der Unfallverursacher nicht gefunden wird. "Für Schäden, die nach einem Zusammenstoß entstehen, kommt im Normalfall die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers auf", informiert der Versicherer Cosmos Direkt. "Wenn dieser aber nicht festzustellen ist, bleibt der Geschädigte häufig auf den Kosten sitzen." Denn die Teilkaskoversicherung zahlt nach Unfallflucht nicht. Anders ist es bei der Vollkasko. Sie kommt auch für Schäden am Auto auf, wenn sie ein unbekannter Dritter verursacht hat.

Allerdings lohnt sich das nicht immer. "Wer einen Schaden über die Vollkasko abwickeln lassen will, muss damit rechnen, dass sein Anbieter ihn in der Schadenfreiheitsklasse herabstuft und die Police im kommenden Jahr teurer wird", sagt Anwalt Krämer. Dazu kommt ein in der Regel vereinbarter Selbstbehalt, den viele Verträge vorsehen. Liegt der bei einem Schaden von 250 bis 150 Euro, bekommt der Geschädigte noch 100 Euro vom Versicherer, und der Vertrag wird wegen der schlechteren Schadenfreiheitsklasse trotzdem teurer. Betroffene sollten genau nachrechnen.

Wer den Schaden anrichtet, muss zahlen - eigentlich

Wer Kratzer und Beulen am Auto feststellt und das Geld von der Versicherung wiederhaben will, sollte alles genau dokumentieren und diese Informationen direkt an seinen Anbieter schicken. "Es ist wichtig, gute Fotos zu machen, und zwar nicht nur vom Schaden selbst, sondern auch von der näheren Umgebung", rät Krämer. "So kann der Versicherer nachvollziehen, wie das Auto gestanden hat und wie der Kratzer zustande gekommen sein könnte." Die Suche nach Zeugen ist ebenfalls empfehlenswert. Gerade auf großen Parkplätzen, etwa vor einem Supermarkt, kann es gut sein, dass jemand etwas beobachtet hat. Wer zumindest das Kennzeichen hat, kann Anzeige erstatten oder sich beim Zentralruf der Autoversicherer telefonisch oder online den Namen des Versicherers des Unfallverursachers geben lassen.

Wird der flüchtige Fahrer im Nachhinein ermittelt, zahlt dessen Kfz-Haftpflicht den Schaden, kann den Verursacher aber in den sogenannten Regress nehmen. "Der Verursacher muss dann mit seinem Privatvermögen einen Teil des Schadens an den Haftpflichtversicherer zurückzahlen", sagt Roland Würstlein von der HUK-Coburg. Je nach Höhe des Schadens können das bis zu 5000 Euro sein. Sind außerdem noch Alkohol oder Drogen im Spiel, kann der Regress wegen zweier verschiedener Delikte, nämlich Fahrerflucht und Fahren unter Alkoholeinfluss, sogar verdoppelt werden.

Dramatisch wird es, wenn Menschen verletzt werden. Denn eigentlich stehen Unfallopfern je nach Schwere ihrer Verletzung Zahlungen für Behandlung und Rehabilitation, Schmerzensgeld, Schadenersatz für den Verdienstausfall oder den barrierefreien Umbau der Wohnung zu, die der Kfz-Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers übernimmt. Wird er nicht gefunden, gehen die Opfer leer aus.

Bei einem "beträchtlichen Personenschaden" hilft die Verkehrsopferhilfe

Für solche Fälle gibt es die Verkehrsopferhilfe (VOH), einen Zusammenschluss von 25 deutschen Kfz-Versicherern. Der Verein unterstützt Betroffene finanziell, wenn keine andere Versicherung einspringt, entweder weil der Verursacher keine Kfz-Haftpflicht hat oder weil er nach Unfallflucht nicht ermittelt werden konnte. Sachschäden übernimmt die Organisation nur dann, "wenn gleichzeitig ein beträchtlicher Personenschaden entstanden ist", heißt es bei der VOH. Was das genau bedeutet, wird im Einzelfall entschieden, sagt eine Sprecherin des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft, bei dem die VOH angesiedelt ist.

2018 hat die VOH insgesamt 394 Schadenfälle anerkannt, davon 126 Fälle mit Fahrerflucht. Anwalt Krämer weist darauf hin, dass Zahlungen der VOH lange nicht die Beträge ersetzen, die eine Kfz-Haftpflicht übernehmen müsste.

Auch wenn der Unfallverursacher im Nachhinein gefunden wird und ein Versicherer als Ansprechpartner zur Verfügung steht, ist es für Unfallopfer mühsam, ihre Ansprüche durchzusetzen, sagt der Anwalt: "Viele Anbieter sind bei der Regulierung schwieriger geworden. Sie kürzen die Beträge, oder zögern die Zahlung hinaus". Als Begründung erklären sie oft, das Ergebnis des Strafverfahrens abwarten zu wollen - das kann dauern. Wer Unfallflucht begangen hat, muss sich nicht selbst belasten und darf die Aussage gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft verweigern.

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Quelle:
SZ vom 01.04.2019
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