Als Stefan Wintels im vergangenen Herbst sein neues Büro an der Bockenheimer Landstraße in Frankfurt bezog, fand er eine Bank im Krisenmodus vor. Die Corona-Pandemie hatte das Land im Griff, brachte Unternehmer an den Rand der Pleite und das Gesundheitssystem an die Belastungsgrenze. Die Staatsbank KfW, mit Wintels an der Spitze, war und blieb der Retter in der Not, stellte Kredite bereit, wo andere Banken keine Darlehen mehr bewilligten, milderte so die Folgen von Lockdowns und gerissenen Lieferketten. Dabei war das Institut schon aufgeladen mit den Zukunftsprojekten der Ampelkoalition: Überall dort, wo die Finanzierung unklar war, hatten die Koalitionäre nach der KfW gerufen.
Jetzt hat der frühere Investmentbanker Wintels beinahe 300 Tage hinter sich, mehr als 500 Gespräche mit den Mitarbeitern geführt und die Konzernstrategie der KfW überarbeitet. Und doch ist er immer noch mehr Krisen- als Bankmanager. "Mit dem Krieg in der Ukraine erleben wir das Ende und den Beginn einer Epoche", sagte Wintels am Mittwochabend in Frankfurt.
Eine höhere Bilanzsumme als die Commerzbank, aber viel weniger Leute
Auch von der KfW wird es abhängen, wie schmerzhaft diese Zeitenwende wird. Die Bank ist mittendrin im Krieg: Kommunen erhalten Finanzhilfen für ukrainische Flüchtlinge, die ukrainische Regierung Kredite ohne Zweckbindung und für die geplanten deutschen Flüssiggasterminals steht das Institut auch schon bereit. Wenn der von der Pleite bedrohte Energiekonzern Uniper nun Staatshilfen bekommt und der Bund sich am Ende auch direkt an dem Unternehmen beteiligt: Auch das ist dann Sache der KfW.
Was zu der Frage führt, ob das inzwischen drittgrößte Geldinstitut Deutschlands nicht irgendwann an seine Grenzen stößt - mit seinen gerade einmal 7300 Mitarbeitern, aber einer Bilanzsumme von 550 Milliarden Euro, was mehr ist, als die Commerzbank aufweist. Noch nie sei man als Staatsbank auf diese Weise gefordert gewesen, sagte bereits Wintels' Vorgänger Günther Bräunig Anfang 2021, als der Krieg in der Ukraine noch weit weg war.
Das Wirken der KfW reicht ansonsten vom deutschen Hausbesitzer, der seine Wände dämmt, bis zum Jugendlichen in Honduras, dessen Schule mit Geld aus Deutschland renoviert wird. Aus der Zeit der Corona-Notkredite stehen noch mehr als 40 Milliarden Euro an Darlehen in den Büchern der KfW - zum Vergleich: Den gesamten "Aufbau Ost" zwischen 1990 und 2000 führt die KfW in ihren Archiven mit insgesamt 82,5 Milliarden Euro. Sie hält außerdem die Staatsanteile an der Telekom und Post. Derzeit hält die Uniper-Rettung das Institut in Atem, von Wiederaufbauhilfen für die Ukraine, die sich abzeichnen, ganz zu schweigen.
Wenig Nachfrage nach Kriegsfolgen-Programm
Also, ist da bald eine Grenze erreicht? "Im Moment sehe ich das nicht", sagt Wintels, von dem es heißt, er sei vor allem auf Betreiben der SPD ins Amt gekommen. Bundeskanzler Olaf Scholz kennt er schon lange. "Wenn die Politik uns braucht, muss die KfW liefern können", so formuliert er den Anspruch. Als die Politik zu Jahresanfang plötzlich die Förderung für energieeffizientes Bauen stoppte, lag es schließlich auch nicht an der KfW, die Mittel des Bundes waren aufgebraucht.
Die Zahlen geben derzeit Spielraum: Nach einem Gewinneinbruch im ersten Corona-Jahr verdiente das Institut 2021 rund 2,2 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2022 war es etwas weniger, zugleich aber profitiert die Bank vom staatlichen Eigentümer, kann sich derzeit im Vergleich zu anderen Banken günstig am Kapitalmarkt refinanzieren. Das gibt Beinfreiheit für die Kreditvergabe. Zudem hält sich die Nachfrage der deutschen Wirtschaft nach dem KfW-Programm zur Abfederung der Kriegsfolgen derzeit in Grenzen. Bislang seien weniger als 100 Millionen Euro in Anspruch genommen worden, sagt Wintels. Das sei beruhigend, die Situation könne sich aber täglich ändern, etwa wenn doch kein Gas mehr aus Russland nach Europa fließt.
Zugleich achtet Wintels sehr darauf, es mit der Krisenrhetorik nicht zu übertreiben. Denn die übrigen Aufgaben erledigen sich ja nicht von selbst. "Wenn wir uns jetzt nur als Krisenmanager sehen", sagt er, "dann verpassen wir die Chancen auf den anderen Feldern." In der Finanzierung der Energiewende etwa und im Bereich der Klimaschutz-Investitionen. Um die deutschen Klimaziele bis 2045 zu erreichen, müssten Bund, Länder und Gemeinden etwa 500 Milliarden Euro investieren, rechnen die Volkswirte der KfW vor. "Der Investitionsbedarf wird vor allem in den Sektoren Energie und Verkehr anfallen und entspricht in der Größenordnung annähernd den Zinsausgaben für die staatliche Verschuldung", heißt es. Um dem gerecht zu werden, müssten die Klimaschutz-Investitionen versechsfacht werden.
Erst seit 2013 eine richtige Bank
Im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition taucht die KfW elf Mal auf, und es ist nicht überinterpretiert, sie als Geheimwaffe der Bundesregierung zu sehen. "Die staatliche Förderbank KfW soll stärker als Innovations- und Investitionsagentur sowie als Co-Wagniskapitalgeber wirken", heißt es gleich auf Seite 24, "insbesondere für KI, Quantentechnologie, Wasserstoff, Medizin, nachhaltige Mobilität, Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft." Also einmal alles, bitte.
Dabei schleppt die Bank noch manch hausgemachtes Problem mit sich herum, zumal sie als staatliches Institut erst seit 2013 behandelt wird wie eine richtige Bank, also auch von der Finanzaufsicht bewacht wird und dem Kreditwesengesetz unterworfen ist. Zwar ist jener schlimme Fehler aus der Finanzkrise in Vergessenheit geraten, als man noch nach deren Pleite Millionen an die US-Bank Lehman Brothers überwies; die letzten Jahre aber verbrachte die Konzernführung damit, die IT zu modernisieren und die Innenrevision, die Fehler aufspüren soll. Noch ist nicht alles abgearbeitet.
Wintels scheint jedenfalls seine Berufung gefunden zu haben an der Spitze der KfW. "Dankbar" und "glücklich" sei er, dass er diese Aufgabe habe übernehmen dürfen. Um zugleich auch ein modernes Arbeitsumfeld vorzuleben, ziehen er und die anderen Vorstände bis Ende des Jahres nun sogar in ein gemeinsames Großraumbüro.