Tief wird hier nicht gestapelt, die Worte könnten sogar größer nicht sein: „Kernfusion wird die Menschheit verändern“, sagt Milena Roveda, Chefin der Firma Gauss Fusion auf dem SZ Wirtschaftsgipfel. Und ihre Konkurrentin Heike Freund von Marvel Fusion sagt: „Die große Faszination ist, eine unerschöpfliche Energiequelle zu haben.“ Zwei deutsche Firmen, die überzeugt sind: Kernfusion ist die Zukunft, die Energie-Zukunft.
Aber was ist Kernfusion überhaupt – und warum reden plötzlich alle darüber, neulich etwa CDU-Chef Friedrich Merz? Bei Kernfusion gewinnt man Energie, indem die Kerne von Wasserstoffatomen verschmolzen, also fusioniert werden. Dabei entstehen ungeheure Energiemengen, im Prinzip wie im Inneren der Sonne. Anders als bei der Spaltung von Atomkernen wie in Kernkraftwerken fällt bei ihrer Fusion kein langlebiger Atom-Abfall an. Stabile Energieversorgung ohne Risiko, die Wind- und Sonnenkraft ergänzen könnte – so weit die Theorie. In der Praxis jedenfalls ist alles sehr kompliziert.
Mehr als unvorstellbare 100 Millionen Grad Celsius benötigen die Wasserstoffkerne, um zu fusionieren. Derzeit arbeiten Start-ups weltweit an zwei Ansätzen: Magnetfusion, die mit Magnetfeldern und Teilchenbeschleunigung arbeitet, wie sie Gauss Fusion entwickelt. Und die Laserfusion, für die das Brennmaterial mit Laserstrahlen beschossen wird, um Druck und Temperatur zu steigern. „Es geht um den Druck, den ein umgedrehter Eiffelturm auf einen Finger hätte“, sagt Heike Freund, die mit Marvel Fusion auf diese Technologie setzt.
Bis heute steht noch kein Fusionskraftwerk
Die Forschung zur Kernfusion ist bereits um die 100 Jahre alt, bis heute steht allerdings kein Kraftwerk. Und doch ist die Euphorie gerade groß. Selten war der Energiebedarf der Welt so hoch, und er steigt weiter: Wenn Industrieprozesse, Fortbewegung oder auch die Wärmeversorgung elektrifiziert werden, braucht es möglichst viele Stromquellen, klimaneutrale selbstverständlich. Deutschland versorgt sich zwar schon zu 60 Prozent mit Strom aus Erneuerbaren, der Rest aber stammt weiterhin aus fossilen Energieträgern. Die Bundesregierung will Erdgas künftig mit grünem Wasserstoff ergänzen, die Kraftwerke sollen die Stromversorgung auch an Tagen sichern, wenn Sonne und Wind mal nicht liefern. Für Roveda und Freund ist klar: Besser wären Fusionskraftwerke.
Die Hoffnung ist da: Im vergangenen Jahr sind nach Angaben der Industrie von privaten und staatlichen Investoren weltweit etwa 900 Millionen Dollar in Kernfusion-Start-ups geflossen, insgesamt waren es bis dato 7,1 Milliarden Dollar. Auch die Bundesregierung hat vor dem Koalitionsbruch mehr als eine Milliarde Euro zugesagt.
Kritiker dagegen sagen, die Kernfusion sei nur ein Hype. Eine Zukunft habe sie nur, wenn sie Strom billiger als erneuerbare Energien erzeugt. Das allerdings erscheint unwahrscheinlich, angesichts der Milliarden, die alleine in die Forschung fließen und die es kosten würde, ein Kraftwerk aufzubauen. Gauss-Chefin Roveda schätzt die Kosten für den Bau eines ersten Kraftwerks auf 20 Milliarden Euro, Kosten, die am Ende auch Stromkunden zahlen.
Die Technik der Kernfusion ist außerdem sehr komplex, es sei unwahrscheinlich, dass sie schnell deutlich günstiger wird, sagen Kritiker. Wer in Zukunft grundlastfähige Kraftwerke nur noch selten brauche, solle auf eine Technik setzen, deren Investitionskosten niedrig sind, die dann aber im seltenen Betrieb teurer sein darf – bei der Kernfusion ist es genau andersherum. Milena Roveda widerspricht: Ein Kraftwerk sei künftig dauerhaft in Betrieb und werde nicht nur punktuell die Stromversorgung absichern, sondern auch grünen Wasserstoff herstellen können. Jetzt gehe es darum, dass sich Deutschland und Europa nicht abhängen ließen – etwa von China, das längst ebenfalls am Projekt Kernfusion dran ist.