Süddeutsche Zeitung

Rückbau von Forschungseinrichtungen:Nukleares Milliardengrab

  • Die Kosten für den Rückbau von nuklearen Forschungseinrichtungen steigen immer weiter an. Sie sollen mittlerweile bei mehr als vier Milliarden Euro liegen.
  • Der Bundesrechnungshof hat die Verwaltung analysiert und kommt zu einem harten Urteil: "uneinheitlich, häufig nicht aktuell und basierend auf teilweise unrealistischen Annahmen" seien die Schätzungen.
  • Das Hauptproblem: Forschungsministerium und Finanzministerium sind beide für den Rückbau verantwortlich und kommen sich dabei in die Quere.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Geschichte der deutschen Atomzukunft steht in einem Wald bei Karlsruhe. Von der Mitte der Fünfzigerjahre an entstand hier alles, was die Atomwirtschaft so braucht. Das erste von deutschen Ingenieuren geplante kleine Kernkraftwerk, später ein Brutreaktor und eine komplette Wiederaufarbeitungsanlage samt Vorrichtungen zur Verglasung von Atommüll. Da steht es nun im Wald und wartet auf seinen "Rückbau". Es ist einer der ungewöhnlichsten, kompliziertesten Abrisse der Republik. Und einer der teuersten.

Wie teuer, darüber informiert 2010 das Bundesforschungsministerium erstmals das Parlament. Allein für die Karlsruher Anlagen kalkuliert das Ministerium seinerzeit knapp 1,2 Milliarden Euro, für andere Kernforschungseinrichtungen, etwa die im rheinischen Jülich, kommen noch 900 Millionen Euro dazu. Bis 2035 sollte die nukleare Forschungs-Vergangenheit verschwunden sein, für 2,1 Milliarden Euro. Allerdings lehre die Erfahrung, "dass die in den Bilanzen abgeschätzten Kosten in der Regel mit den tatsächlichen Projektkosten nicht übereinstimmen", gesteht das Ministerium seinerzeit schon ein. Langfristige Schätzungen brächten "naturgemäß Unsicherheiten" mit sich. Eine Bandbreite von 20 Prozent bei den Kosten erscheine deshalb "nicht unrealistisch". 20 Prozent Mehrkosten - inzwischen wirkt selbst das noch wie ein Sonderpreis.

Ergebnis wenig schmeichelhaft für die Bundesregierung

2014 verlangt der Haushaltsausschuss abermals eine Schätzung. Wieder legt das Forschungsministerium einen Bericht vor, detaillierter als sein Vorgänger. Die Kosten liegen mittlerweile bei 4,2 Milliarden Euro, und das Ende der Arbeiten ist auch nicht mehr 2035 - sondern 2065. In solchen Fällen tritt in Deutschland der Bundesrechnungshof auf den Plan. Sein Bericht liegt der Süddeutschen Zeitung vor.

Die Rechnungsprüfer sahen sich an, wie das Milliardenprojekt Rückbau eigentlich organisiert ist, sie befragten Ministerien und führten Interviews mit Protagonisten der Atomabwicklung. Das Ergebnis ist vor allem für die Bundesregierung wenig schmeichelhaft. Sie beschäftigt zwei verschiedene Ministerien - Finanz- und Forschungsministerium - mit dem Rückbau, die aber offenbar nur wenig miteinander reden. Sie hat einem bundeseigenen Unternehmen das Eigentum an den Forschungseinrichtungen übertragen, das aber in entscheidenden Fragen nur begrenzt mitreden kann und kaum Kontrolle hat. Derweil versuchen externe Experten, einen Überblick über die Kosten zu bekommen.

Doch das scheint nicht ganz einfach. "Der Bundesrechnungshof vermisst einen transparenten Ausweis der Wirtschaftlichkeit von Handlungsoptionen und von finanziellen Risiken als Grundlage für fundierte Steuerungsentscheidungen", heißt es in dem Bericht. Stattdessen seien die Kostenschätzungen "uneinheitlich, häufig nicht aktuell und basieren auf teilweise unrealistischen Annahmen". Harter Tobak für ein 4,2-Milliarden-Projekt.

Hinter dem Problem steckt ein kompliziertes Konstrukt. So wird der Bundesanteil am Rückbau aus dem Haushalt des Forschungsministeriums finanziert, dem die Forschungseinrichtungen in ihrer aktiven Zeit unterstanden. Doch die beiden größten Brocken, Karlsruhe und Jülich, wanderten nach 2003 in den Besitz der bundeseigenen "Energiewerke Nord", kurz EWN, die auch den Rückbau der einstigen DDR-Atomkraftwerke stemmen. Die allerdings unterstehen dem Bundesfinanzministerium. Damit hätten die beiden Ministerien "die zentralen Gestaltungsmöglichkeiten für den Abbauprozess", konstatiert der Rechnungshof. Doch: "Eine enge fachliche Abstimmung (. . .) konnten wir nicht feststellen." So werkelt jeder für sich am Milliardengrab der Atomforschung.

Selbst die einfachsten Möglichkeiten der Verschränkung lässt die Bundesregierung ungenutzt. So könnte das Forschungsministerium zumindest einen Sitz im Aufsichtsrat der EWN bekleiden - wie ihn etwa das Wirtschaftsministerium hat, in dessen Auftrag die Energiewerke am Rückbau russischer Atom-U-Boote in Murmansk arbeiten. Die Entscheidung über solch ein Mandat läge beim Finanzministerium. Doch das Forschungsministerium stört sich am mangelnden Einfluss auf die Energiewerke offenbar ohnehin wenig. Man sei eben nicht "Zuwendungsgeber" der EWN, heißt es dort. Dumm nur, dass die Energiewerke Nord eine Aufgabe bewältigen sollen, die das Ministerium zu zahlen hat.

Entweder keine Kontrolle - oder doppelte

Stattdessen beauftragte es die Kölner Gesellschaft für Reaktorsicherheit, Pläne und Kosten gründlich zu prüfen. Denn wie viel Geld die Forschungseinrichtungen für den Rückbau brauchen, legen diese weitestgehend selbst fest, es erschwert den Durchblick. Auch Controller der Bundestochter EWN arbeiten daran. Doch von der Beauftragung der externen Prüfer erfuhr selbst das Finanzministerium erst nach der Ausschreibung. Es sind Ausschnitte aus einem schwer durchschaubaren Komplex, in dem Dinge entweder gar nicht kontrolliert werden - oder gleich doppelt. Die Bundesregierung, klagt die grüne Haushaltspolitikerin Ekin Deligöz, sei offenbar unfähig, die Forschungsanlagen halbwegs wirtschaftlich stillzulegen. "Bezahlt wurde diese Unfähigkeit schon mit Steuermillionen", so Deligöz. "Und es ist absehbar, dass es für die Steuerzahler noch teurer wird."

Dafür spricht auch der Charakter der Projekte, denn jeder Zeitverzug geht gleich ins Geld - schließlich müssen Nuklear-Anlagen auch dann überwacht und gesichert werden, wenn der Rückbau ruht. Wie zum Beispiel im Wald bei Karlsruhe, 2012. Das Forschungsministerium hatte damals die Mittel für den Rückbau gekürzt, sie waren in Vorjahren nicht vollständig gebraucht worden. 2012 aber fehlten sie: die Arbeiten stockten. Ein Wirtschaftsprüfer schätzte die Mehrkosten der Unterbrechung für den Bund später auf 90 Millionen Euro. Auch dieser Schaden, so schreibt der Rechnungshof, wäre "vermeidbar gewesen".

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Quelle:
SZ vom 30.04.2015/kabr
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