Kernenergie:United States of Atom

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Die zwei neuen Reaktorblöcke des Kernkraftwerks Vogtle im US-Bundesstaat Georgia sollen nun 2019 und 2020 fertig sein - drei Jahre später als ursprünglich geplant. (Foto: AP)
  • In den USA erlebt die Kernenergie eine Renaissance, vor allem dank einer neuen Konstruktion der Atommeiler - von denen allerdings noch nie einer fertig gebaut wurde.
  • Erstmals seit Ende der 70er-Jahre entstehen nun wieder neue Reaktoren, allerdings verzögert sich die Fertigstellung die Kosten steigen immer weiter.
  • Amerika ist nach wie vor der größte Atomstrom-Produzent der Welt. In Washingtons Energiepolitik spielt Uran eine wichtige Rolle, weil bei der Energiegewinnung kein CO2 entsteht.

Von Kathrin Werner, New York

Dutzende Kräne recken sich in die schwüle Hitze in Georgia. Züge bringen tonnenschweres Gerät vom nahe gelegenen Hafen in Savannah heran. Ein grauer Kühlturm ist schon fast fertig, der andere wächst heran. Hier, rund 50 Kilometer im Süden des Städtchens Augusta im Südosten der Vereinigten Staaten, entsteht eines der größten Infrastrukturprojekte des Landes: ein neues Atomkraftwerk.

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Es sollte ein Vorzeigeprojekt werden, trotz aller Hürden. Auch in den USA gibt es Gegner der Kernenergie, die Amerikaner bewegen Atommüll und Angst vor Unfällen allerdings längst nicht so sehr wie die Deutschen. Es gab aber ein Argument gegen Atomkraft, das auch in den USA zog: Der Neubau von Meilern galt als viel zu teuer, vor allem weil das superstabile Baumaterial so viel kostet, der Bau lange dauert und die Technik wenig standardisiert ist. Insbesondere, wenn man Kosten für potenzielle Umweltschäden einrechnet, war Atomkraft nicht mehr wirtschaftlich. Das gilt umso mehr, als ein anderer Energieträger seit der Fracking-Revolution immer günstiger wurde: Erdgas.

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Trotzdem werden in den USA zum ersten Mal seit den Siebzigerjahren wieder neue Atomkraftwerke gebaut. In Georgia zieht der lokale Versorger Georgia Power seit zwei Jahren zwei neue Meiler hoch. Die zwei bestehenden Reaktoren Vogtle 1 und 2 werden um Vogtle 3 und 4 ergänzt. Vogtle soll beweisen, dass Atomkraft noch eine Chance hat. Mit je 1117 Megawatt Leistung sollen die zwei Reaktoren Strom für mehr als eine Million Haushalte und Unternehmen produzieren. In jedem Reaktor wird Platz sein für 13,5 Millionen Uran-Pellets - ein einziges Pellet enthält mehr Energie als 564 Liter Öl. Georgia Power verbaut 23 000 Tonnen Stahl. Wenn der Komplex fertig ist, ist Vogtle das größte Atomkraftwerk der Vereinigten Staaten.

Die amerikanische Energiewelt blickt mit Spannung auf das Projekt. Es sollte deutlich günstiger werden als andere Meiler. Doch der Termin der Fertigstellung ist schon um drei Jahre verschoben worden, der erste der zwei neuen Reaktoren soll jetzt 2019 in Betrieb gehen, der zweite ein Jahr später. Auch die Kosten sind gestiegen. Der Stromversorger Georgia Power, dem knapp 46 Prozent an dem Kraftwerk gehören und der das Projekt für die Partnerkonzerne leitet, hatte ursprünglich fünf Milliarden Dollar für seinen Anteil angepeilt. Gemeinsam mit den Aufsichtsbehörden hat das Unternehmen die Summe schon auf 6,1 Milliarden korrigiert. Inzwischen geht es von 7,5 Milliarden Dollar aus. Experten der zuständigen Behörde Georgia Public Service Commission haben im März schon von 8,2 Milliarden Dollar gesprochen, wenn man mitrechnet, dass Georgia Power anderswo Strom hinzukaufen muss, bis Vogtle ans Netz geht. Bis der Bau fertig ist, will die Behörde das Budget nicht mehr offiziell anpassen. An diesem Dienstag müssen sich Manager von Georgia Power in einer Anhörung vor der Kommission für Zeitplan und Kosten verantworten.

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Die Vereinigten Staaten sind der größte Produzent von Atomkraft der Welt, laut der World Nuclear Association erzeugen die 99 Kernkraftwerke des Landes 30 Prozent des globalen Atomstroms. Zum amerikanischen Strommix steuern sie 20 Prozent bei. Die Meiler werden immer älter, seit 1977 ist kein Neubauprojekt mehr gestartet worden, bis 2013 der Bau von Vogtle und einem Schwesterprojekt begann. In den vergangenen Jahren sind schon etliche alte Kraftwerke stillgelegt worden, 13 weiteren Reaktoren steht das Ende bevor. Im Bau sind derzeit fünf neue Reaktoren - alle mit Verzögerungen. Die US-Regierung befürwortet Atomenergie, weil sie kein CO₂ produziert, für US-Präsident Barack Obama ist sie Teil seiner Energiewende. Energieminister Ernest Moniz nennt Vogtle einen "Meilenstein": "Die innovative Technik in dem Projekt beweist, dass die amerikanische Atomindustrie wieder eine Führungsrolle einnimmt."

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Grund für die Hoffnung, dass Vogtle ein Vorzeigeprojekt wird, war eine neue Technik namens Westinghouse AP1000. AP steht für Advanced Passive, was sich auf sogenannte passive Sicherheitssysteme bezieht. Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, schaltet sich das Kraftwerk selbst ab, bis zu 72 Stunden lang muss kein Mensch eingreifen. Die Technik besteht aus deutlich weniger Einzelteilen, ist kleiner und braucht weniger Kabel und Pumpen als ältere Kraftwerktypen. Große Teile können standardisiert vorgefertigt und erst am Kraftwerk zusammengesetzt werden. Das soll Geld während der Bauphase sparen.

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"Der AP1000 ist das sicherste und wirtschaftlichste Atomkraftwerk, das es in der weltweiten Privatwirtschaft gibt", wirbt der Hersteller Westinghouse, der inzwischen zu Toshiba aus Japan gehört. Kritiker etwa von der Wissenschaftler-Organisation Union of Concerned Scientists wenden ein, dass es ein großes Risiko in dem ohnehin komplizierten Bauprozess ist, dass sich die Genehmigungsbehörden und Energiekonzerne für einen Reaktortyp entschieden haben, der weltweit noch nie zu Ende gebaut wurde. In China werden derzeit vier Westinghouse AP1000-Kraftwerke hochgezogen. Hauptgrund für die Verzögerungen in den USA ist, dass ein Zulieferer mit der Produktion der großen Kraftwerkmodule länger braucht als geplant.

Georgia Power gehört dem Energiekonzern Southern Company, er wird vom Staat reguliert, ist aber privatwirtschaftlich, die Aktien sind an der New York Stock Exchange notiert. Der Kurs ist seit Jahresanfang um elf Prozent gefallen. Die Aktionäre befürchten, dass die Behörden verhindern, dass Southern Company die steigenden Kosten auf die Kunden abwälzt. Der Bau von Vogtle ist fast ausschließlich mit Krediten finanziert. Die Banken haben das Projekt vorerst abgenickt - vor allem, weil der Staat für einen Großteil der Darlehen eine Garantie abgibt.

© SZ vom 02.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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