Süddeutsche Zeitung

Kering:"Wir haben keine Zeit zu verlieren"

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Kering-Vorstandsmitglied Marie-Claire Daveu erklärt, wie sie Luxus-Labels wie Gucci nachhaltig machen will.

Interview von Katharina Wetzel

Durch die Corona-Krise erhält Nachhaltigkeit eine noch stärkere Bedeutung. In der Luxusbranche sei sozial-ökologisches Wirtschaften ohnehin unverzichtbar, meint Marie-Claire Daveu, die seit 2012 im Vorstand von Kering für Nachhaltigkeit zuständig ist. Zu dem französischen Luxusgüterkonzern gehören Marken wie Gucci und Saint Laurent.

SZ: Laut Studien von McKinsey & Company ist durch die Corona-Krise das Bewusstsein für Nachhaltigkeit gestiegen. Nehmen die Firmen das Thema nun ernster?

Marie-Claire Daveu: Für Kering ist Nachhaltigkeit kein neues Thema. Unser Vorsitzender und CEO ist seit Langem überzeugt davon, dass Nachhaltigkeit entscheidend ist. Die Krise unterstreicht dies nur noch mehr. Und die Brände dieses Jahr im Amazonaswald, in Australien und all die extremen Wetterphänomene zeigen, dass der Klimawandel schneller Realität werden kann, als wir denken.

Sind Treibhausgase das drängendste Problem für die Modeindustrie?

Die drängendsten Probleme unseres Jahrhunderts sind der Klimawandel, der Verlust an Biodiversität und Ressourcenknappheit. Die Modeindustrie verursachte 2018 rund vier Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes, 2,1 Milliarden Tonnen.

Das entspricht den Emissionen von Frankreich, Deutschland und Großbritannien.

Und wenn wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen, muss die Branche ihre Anstrengungen erhöhen, um die jährlichen Emissionen bis 2030 zu halbieren.

Wird der Klimawandel auch ein immer größeres ökonomisches Problem?

Ja, der Klimawandel hat auch einen Einfluss auf die Materialien. Kaschmir wird zum Beispiel in der Mongolei produziert. Wenn es nicht kalt genug ist, produzieren die Ziegen die Wolle nicht in derselben Qualität und Quantität. Wir haben für Kering eine ökologische Gewinn- und Verlustrechnung entwickelt, die genau unsere Einwirkungen bewertet.

Entsprechend dieser Bilanz betragen allein die Treibhausgasemissionen von Kering 186 Millionen Euro. Was tun Sie konkret, um diese zu reduzieren?

Die meisten unserer Emissionen entstehen bei der Produktion und Verarbeitung von Grundstoffen. Um diese zu reduzieren, setzen wir nachhaltige Standards in unserer gesamten Lieferkette ein. Wir reduzieren unseren Energieverbrauch, und wenn dies nicht möglich ist, steigern wir den Anteil erneuerbarer Energien. Und wir gleichen die Emissionen mit konkreten Projekten aus, wie etwa zur Aufforstung.

Lederprodukte sorgen für die Haupterträ ge bei Bottega Veneta, einem Label von Kering. Die Herstellung von Leder ist jedoch besonders umweltbelastend.

Unser Leder kommt nur aus Frankreich und Italien, wo wir uns nach besten Kriterien für Tierschutz einsetzen. Da Leder ein Nebenprodukt von Fleisch ist, arbeiten wir hier eng mit der Lebensmittelindustrie zusammen. Gucci und Bottega Veneta zum Beispiel verwenden schwermetallfreie Gerbungsverfahren. 24 Prozent unserer Lederproduktion sind frei von Chrom und Schwermetallen. Unser Ziel ist es, bis 2025 hier 100 Prozent zu erreichen.

Und sind Sie zuversichtlich, dass Sie Ihre gesetzten Ziele auch erreichen?

Wir sind auf einem gutem Weg. Natürlich müssen wir uns sehr anstrengen, um diese Ziele zu erreichen. Dafür müssen wir die besten Verfahren einsetzen. Auf Unternehmensebene geben wir pro Jahr zwölf Millionen Euro für Sozial- und Umweltstandards aus. Wir investieren stark in Innovation. Im Bereich Recycling und Upcycling arbeiten wir mit 119 Start-ups zusammen.

Unternehmensverbände sagen oft, es sei in der Bekleidungsbranche unmöglich, die gesamte Lieferkette zu kontrollieren. Wie schaffen Sie das?

Es gibt nicht die eine magische Lösung. Vielmehr muss man so viele Lösungen wie möglich ausprobieren und umsetzen. Wir haben in unseren Verträgen nachhaltige Kriterien und wir kontrollieren diese. Zwischen 2015 und 2019 haben wir 13033 Prüfungen unter unseren Zulieferern durchgeführt. Wir helfen unseren Lieferanten, ihre Energie- und Wasserkonzepte zu verbessern. Wir bilden sie weiter. Und dabei erklären wir unsere Standards. Und falls nötig, suchen wir uns auch neue Lieferanten.

Sollte es internationale Standards geben? Kluge Regulierung und Koordinierung zwischen Ländern ist wichtig. Im Kontext des G-7-Gipfels haben wir im vergangenen Jahr einen Fashion Pact gegründet, eine Koalition von Textil- und Modeunternehmen aus der ganzen Welt, die sich zu Maßnahmen gegen den Klimawandel und zum Schutz der Biodiversität und der Weltmeere bekannt hat. Heute sind schon mehr als 250 Marken weltweit dabei.

Kritiker bemängeln, dass die Ziele des Fashion Pact nicht verpflichtend sind.

Es ist ja gerade das Schöne am Fashion Pact, dass viele Unternehmen sich freiwillig dazu verpflichtet haben. Insgesamt stehen diese Unternehmen gemessen am Volumen für 35 Prozent des gesamten Mode- und Textilmarktes. Außerdem sorgen auch die Öffentlichkeit und die Verbraucher für eine gewisse Selbstkontrolle. Wenn Firmen Greenwashing betreiben, können sie schnell den Ruf ihrer Marke zerstören. Es ist gut, dass Firmen selbst aktiv werden. So haben auch US-Firmen den Modepakt unterzeichnet, die sonst wohl nicht solche Standards hätten, da die USA aus dem Klimaabkommen ausgetreten sind. Es bleibt abzuwarten, wie der neu gewählte US-Präsident Joe Biden dazu steht. Braucht es eine bessere Regulierung?

Regulierung sollte die richtigen Anreize setzen, gutes Verhalten fördern und schlechtes verhindern. Wenn Sie aber wirklich Dinge verändern wollen, muss jeder Verantwortung übernehmen: die Firmen und Verbraucher, aber auch die Regierungen und die Finanzwelt.

Sie dürften einen schwierigen Job bei Kering haben. Geraten Sie da schon mal in Konflikt mit einem Designer?

Mein Job ist es, ein nachhaltigeres Geschäftsmodell voranzutreiben, aber nicht, den Designern und den Designteams reine zusätzliche Zwänge aufzuerlegen - wir betrachten das eher als Möglichkeit. Wir bieten ihnen zum Beispiel nachhaltige Stoffe, die den hohen Qualitätsansprüchen im Luxusbereich entsprechen. Manchmal können wir nicht erfüllen, was sie erwarten, also das ist alles eine Frage der Balance. Wichtig ist, dass sie sich des Problems bewusst sind.

Gibt es schwierige Diskussionen?

Nachhaltigkeit ist kein Spaziergang. Wir haben regelmäßig Diskussionen mit François-Henri Pinault und den Designern über Nachhaltigkeit, aber unsere Designer haben eine gute Haltung diesbezüglich. Das sind junge Leute. Nehmen Sie die jüngste Kollektion von Balenciaga, die recycelte und upgecycelte Materialen enthält.

Bedauern Sie es, dass das Label Stella McCartney, das kein Leder verwendet, nicht mehr zum Portfolio von Kering gehört?

Das ist eine Geschäftsentscheidung. Ich denke, was Stella für das Tierwohl tut, ist großartig.

Haben Sie ein Veto recht und volle Mitsprache, wenn François-Henri Pinault eine weitere Firma einkauft, die womöglich nicht nachhaltig ist?

Mein Team und ich arbeiten bei der Due Diligence eng mit der Finanzabteilung zusammen, aber die Entscheidung trifft Francois-Henri Pinault selbst. Für ihn ist Nachhaltigkeit jedoch ein maßgebliches Kriterium. Seien Sie sicher, dass François-Henri Pinault Kerings Führungsposition im Bereich Nachhaltigkeit behalten will!

In China und den USA ist das Umweltbewusstsein nicht so hoch wie in Europa. Wirbt Kering auf diesen wichtigen Märkten dennoch für mehr Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit wird für unsere Kunden immer wichtiger, auch in Asien und den USA. Wenn unsere Kunden ein Produkt von Gucci oder Bottega Veneta kaufen, ist für sie Nachhaltigkeit in der besonderen Qualität, die wir offerieren, immanent. Wir betreiben viel Kommunikation und Marketing. Unsere Marke Gucci zeigt auf ihrer Website viele Details. Diesen Monat haben wir eine Ausstellung, "CIIE", in Shanghai organisiert, wo Kering seine Initiativen für Biodiversität aufzeigt.

Kann man also erwarten, dass feine Produkte des höheren Preissegments nachhaltig sind?

Ich kann nicht für andere Unternehmen sprechen, aber für uns gehört Nachhaltigkeit zu unserer DNA. Wenn Sie eine schöne Luxustasche kaufen, vertrauen Sie darauf, dass es ein langlebiges Produkt ist, das nachhaltig ist. Und danach haben Sie auch noch den Secondhand-Markt, wo Sie es wieder in den Kreislauf geben können.

Weniger Konsum wäre auch eine Lösung. Die Produktion von Kleidung hat sich in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt. Diese Debatte ist in der Luxusbranche anders, da wir nicht diese Volumen haben wie in den niedrigeren Preissegmenten. Für uns ist es wichtig, die richtige Menge auf den Markt zu bringen.

Was machen Sie mit der unverkauften Ware? In Frankreich gilt ein neues Gesetz, welches das Verbrennen verbietet.

Das Gesetz wird ab nächstem Jahr angewandt. Ein klassischer Weg ist, die Ware zu reduzierten Preisen an "Friends and Familys" zu verkaufen. Künftig glauben wir auch an künstliche Intelligenz, um die Nachfrage genau bestimmen zu können.

Ist Nachhaltigkeit der neue Luxus?

Für uns ist es nicht der neue Luxus. Wir haben damit schon vor langer Zeit begonnen. Innerhalb von Kering betrachten wir Luxus als nachhaltige Mode. Wenn Firmen überleben wollen, müssen sie nachhaltig sein. Das ist unverzichtbar.

Was ist noch Ihre größte Aufgabe?

Ich bin sehr glücklich, dass ich meiner Arbeit mit Leidenschaft nachgehen kann. Denn die Dinge müssen sich rasch ändern. Wir haben weniger als zehn Jahre, um den Klimawandel aufzuhalten. Wir haben keine Zeit zu verlieren.

Und Ihr bislang größter Erfolg?

Das ist nicht mein Erfolg, eher eine gemeinsame Leistung, dass es uns gelang, unsere Nachhaltigkeitsgrundsätze umzusetzen. Und wir Tag für Tag Fortschritte erzielen.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2020
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