Kenias Wirtschaft:"Man muss die Unruhen fast als normal ansehen"

Roman Nico Marfels vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft über die Reaktionen deutscher Unternehmen im Krisengebiet Kenia, die Folgen der Unruhen für die dortige Wirtschaft und seine Erfahrung mit Schießereien vor Ort.

Sarina Märschel

Roman Nico Marfels ist Referent für das östliche Afrika beim Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft.

Kenias Wirtschaft: Roman Nico Marfels,  Referent für das östliche Afrika beim Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft, war erst kürzlich in Kenia.

Roman Nico Marfels, Referent für das östliche Afrika beim Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft, war erst kürzlich in Kenia.

(Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: Was bedeuten die derzeitigen Unruhen für die Wirtschaft Kenias?

Roman Nico Marfels: So traurig es ist, man muss das fast als normal ansehen. Es ist nachvollziehbar, dass dort Frustrationen entstehen, vor allem unter den benachteiligten Bevölkerungsschichten in den Slums von Nairobi, die ohnehin wenig Perspektive haben und vom Wirtschaftswachstum wenig mitbekommen.

sueddeutsche.de: Sie gehen also davon aus, dass die kenianische Wirtschaft keinen dauerhaften Schaden davonträgt?

Marfels: Nein, ich halte den Aufschwung in Kenia in den letzten Jahren für nachhaltig genug, dass er sich weiter fortschreibt. Kenia ist die stärkste und größte Volkswirtschaft im ganzen ostafrikanischen Raum. Im vergangenen Jahr ist die Volkswirtschaft um 6,2 Prozent gewachsen, die kenianische Regierung hat es in den vergangenen Jahren geschafft, einen zu 90 Prozent Geber-unabhängigen Staatshaushalt zu haben - das ist außerordentlich für ein Land im subsaharischen Afrika. Kenia hat unter der Kibaki-Regierung auch eine ganze Menge an liberalen Wirtschaftsreformen durchgeführt.

sueddeutsche.de: Wie reagieren die deutschen Unternehmen, die in Kenia aktiv sind, auf die politische Krise?

Marfels: Die deutsche Wirtschaft ist in Kenia stark vertreten. Die mit uns verbundene German Business Association vereinigt 75 deutsche Unternehmen, die in Kenia vertreten sind. Das ist der stärkste deutsche Unternehmerverband innerhalb eines afrikanischen Landes mit Ausnahme von Südafrika und der nordafrikanischen Staaten. Ich denke, dass die meisten Firmen über genügend Erfahrung und langen Atem verfügen, um die paar Wochen durchzustehen, in denen die Situation unklar ist.

sueddeutsche.de: Sie waren vor zwei Monaten mit einer Wirtschaftdelegation in Kenia - welche Eindrücke haben sie von dieser Reise mitgenommen?

Marfels: Da kann ich eine kurze Anekdote erzählen: Wir waren mit 13 deutschen Unternehmern im Oktober in Nairobi und Kisumu. Die dort ansässige Bevölkerungsgruppe, die auch den Herausforderer Odinga stellt, hat dort ihre Machtbasis und beklagt sich schon seit Jahren, vernachlässigt zu werden. Dort gab es eine Einladung des Ministers für Regionale Entwicklung mit lokalen politischen Vertretern. Bei diesem Fest kam es zu einer Schießerei. Die Hintergründe sind relativ unklar, es wurde aber vielfach gemunkelt, es wären Unterstützer von Odinga gewesen, die den Regierungsvertretern an den Karren fahren wollten. Denn natürlich haben die Regierungsvertreter unserer Investorengruppe versichert, dass sie dort sicher seien.

"Man muss die Unruhen fast als normal ansehen"

sueddeutsche.de: Der Tourismus macht knapp 55 Prozent des Dienstleistungssektors aus und ist größter Devisenbringer des Landes. Gerade im Tourismus ist Sicherheit ein wichtiger Aspekt - könnte dieser Bereich der Wirtschaft dauerhaften Schaden durch die Aufstände nehmen?

Kenias Wirtschaft: Kenias Wirtschaftsdaten im Überblick.

Kenias Wirtschaftsdaten im Überblick.

(Foto: Grafik: sueddeutsche.de; Quelle: Auswärtiges Amt, Statistisches Bundesamt)

Marfels: Das ist natürlich kein besonders positiver Aspekt für das Image des Landes. Aber man muss sich auch vor Augen halten, dass die überwiegende Anzahl der Touristen die Ferien in Ressorts an der Küste um Mombasa verbringt und nur geführte Safari-Touren in das Landesinnere macht. Die Gewaltzentren im Moment - Nairobi und Kisumu - sind von den eigentlichen Touristenzielen schon weiter weg. Natürlich könnte das aber Auswirkungen haben, und sicherlich wird es auch kleinere Einbrüche geben.

sueddeutsche.de: Wird man in Deutschland die politischen Unruhen zu spüren bekommen? Zum Beispiel bei den kenianischen Exportgütern Kaffee und Blumen?

Marfels: Nein, Kenias Anteil am Weltkaffeemarkt ist nicht so groß, dass man einen signifikanten Einfluss erwarten muss, der Kaffee wird deshalb nicht teurer. Bei Schnittblumen allerdings ist Kenia der weltgrößte Exporteur. Aber meine Prognose ist, dass sich die Situation in einigen Wochen wieder beruhigen wird. Man muss sehen, wie sich die politische Situation weiter entwickelt, aber größere Preisanstiege bei Schnittblumen würde ich nicht an die Wand malen wollen.

sueddeutsche.de: Die wirtschaftliche Entwicklung Kenias in den vergangenen Jahren ist eine Erfolgsgeschichte - wo gibt es trotzdem noch Handlungsbedarf aus Sicht der deutschen Wirtschaft?

Marfels: Der Ausbau der Infrastruktur ist das Allerwichtigste. Zum Beispiel der Ausbau des Straßennetzes: Die Straßen zwischen Nairobi und Kisumu, der drittgrößten Stadt, sind teilweise nicht einmal asphaltiert. Für Häfen und Flughäfen gilt ähnliches. Kenia hat Fortschritte in der Abfertigung und den Zollregularien, aber da gibt es auch noch massiven Handlungsbedarf. Das Rechtssystem ist im Wirtschaftsrecht vorbildlich für Afrika, aber trotzdem immer noch nicht auf internationalem Niveau, beispielsweise in Bezug auf Vertragssicherheit.

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