Süddeutsche Zeitung

Kassengesetz:"Dem Staat gehen jedes Jahr 50 bis 70 Milliarden Euro verloren"

Roland Ketel, Gründer des Kassenverbands, kämpft gegen Steuertricks. Er sagt, auch die neuen Vorschriften würden viel Raum für Betrug lassen.

Interview von Michael Kläsgen

Roland Ketel ist Gründungsmitglied des Deutschen Fachverbands für Kassen- und Abrechnungssystemtechnik im Bargeld- und bargeldlosen Zahlungsverkehr e. V. (DFKA) und steht im Streit um das Kassengesetz auf Seiten der Steuergewerkschaft.

SZ: Herr Ketel, die Kassenaufsteller galten früher als die bösen Buben. Jetzt der Sinneswandel. Was ist passiert?

Roland Ketel: Mich brachte es immer auf die Palme, wenn mich ein Kassenanwender fragte, wie man mit der Kasse bescheißen kann. Das ist und war der falsche Weg. Wir wollten, dass das aufhört und wieder Unrechtsbewusstsein einzieht. Ich habe selber fünf Kinder. Als die noch zur Schule gingen, wurde ich ständig darauf angesprochen dort Toiletten oder Klassenräume zu reparieren, weil kein Geld mehr da war. Dabei ist genug Geld vorhanden. Es geht nur am Fiskus vorbei.

Interview am Morgen

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Mit dem Kassengesetz könnte sich das ändern. Sind Sie zufrieden?

Nur teilweise, denn es gibt keine allgemeine Kassenpflicht. Die offene Ladenkasse ist weiterhin möglich und damit auch Zettelwirtschaft wie früher mit sämtlichen Betrugsmöglichkeiten. Wenn Sie wüssten, wie viel so eine Imbissbude oder mancher Marktstand wirklich einbringt, würden Sie vom Glauben abfallen.

Ist das die größte Schwachstelle?

Da gibt es noch eine andere. Die technische Sicherheitseinrichtung, die nun für Registrierkassen vorgeschrieben ist, soll registriert werden. Das ist nicht mit den Bundesländern und den Finanzämtern abgestimmt und vorbereitet. Das ist eine tickende Zeitbombe. Wenn die Kassen nicht registriert sind, weiß niemand, wer was hat. Es ist auch nicht klar, wer die Daten sammelt.

Ihr Vorschlag?

Wir hatten die vom Staat entwickelte Kassenlösung "Insika" favorisiert. Die war genial und kostengünstig. Die regelte auch die Registrierung. Die wurde aber 2011 von der damaligen Koalition aus nicht nachvollziehbaren Gründen zu den Akten gelegt.

Seitdem ist Insika tot?

Nein, die Taxis in Hamburg verwenden die Software heute. Als sie eingeführt wurde, stieg der Umsatz über Nacht um mehr als 70 Prozent. Hinterher hat niemand mehr gemault. Im Gegenteil: Hamburg konnte sogar weitere Taxen einsetzen.

Was heißt das für den Bund? Wie viel Steuern lässt der sich entgehen?

Die zehn Milliarden Euro, von denen geredet wird, sind unserer Meinung nach, viel zu niedrig. Für uns haben Experten berechnet, dass dem Staat jedes Jahr inklusive Sozialabgaben, Umsatz- und Lohnsteuer 50 bis 70 Milliarden Euro verloren gehen.

Glauben Sie, dass das Gesetz noch von Lobbygruppen torpediert werden kann?

Die Entwicklung bleibt brisant und abzuwarten. Da kommt bestimmt noch was. Aber der Sachverhalt ist so massiv, dass die es nicht zu Fall bringen können.

Wie ernst nehmen Sie Steuerehrlichkeit?

Wir haben eigens eine digitale Schnittstelle für die Finanzämter entwickelt, mit der die Daten auf den Kassenbons standardisiert und vergleichbar werden. Die wird jetzt genutzt. Unseren Mitgliedern machen wir klar: Du hast bei uns nichts zu suchen, wenn du, wie auch immer, Steuerbetrug oder Steuerverkürzung Vorschub leistest.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2019/vd/cat
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