Kartellamt untersucht Aldi & Co.:Die Legende der Discounter

Ketten wie Aldi und Penny liefern sich oft Preiskämpfe. Trotzdem hegt das Kartellamt den Verdacht, dass die Firmen sich absprechen - auf Kosten der Kunden.

Stefan Weber

Ob Aldi, Edeka, Rewe oder Metro - viele Lebensmittelhändler werden in den kommenden Wochen Post vom Bundeskartellamt bekommen. Der Inhalt: Fragebögen. Womöglich im Umfang eines Telefonbuchs, wie mancher Ladenbetreiber bereits fürchtet. Die Wettbewerbswächter möchten tatsächlich viel wissen. Woher die Händler bestimmte Waren beziehen beispielsweise, was sie dafür bezahlen und welche Sondervereinbarungen sie möglicherweise mit ihren Lieferanten treffen. Sektorenuntersuchung nennt die Bonner Behörde das. Eine solche Aktion startet sie immer dann, wenn sie den Verdacht hat, dass der Wettbewerb in einer Branche nicht ausreichend funktioniert.

Discounter laeuten neue Preissenkungsrunde fuer Lebensmittel ein

Das Kartellamt hegt den Verdacht, dass sich Firmen wie Aldi und Penny absprechen.

(Foto: ag.ddp)

Dass das im Einzelhandel der Fall ist, scheint auf den ersten Blick abwegig. Belegen nicht zahlreiche Studien, dass nirgendwo in Europa Lebensmittel so preiswert sind wie in Deutschland? Und haben nicht die hierzulande so mächtigen Discounter in den vergangenen zwei Jahren Dutzende Preissenkungsrunden aufgelegt? All das spricht doch für einen lebhaften Wettbewerb, argumentieren die Händler.

Kartellamtschef Andreas Mundt hat eine andere Sicht der Dinge. Er hat den Eindruck, dass die Wettbewerbsintensität im deutschen Lebensmittelhandel überschätzt wird. Tatsächlich zeigt sich bei einem Blick auf die Details Erstaunliches: Die Preiskämpfe, die Discounter und Supermärkte regelmäßig austragen, beschränken sich meist nur auf wenige Artikel.

Molkereiprodukte, Schokolade, Fleischwaren - da beobachten die Händler meist sehr genau, was die Mitbewerber machen, und sie sind mit dem Rotstift rasch bei der Hand, wenn die Konkurrenz günstiger ist. Nicht so bei anderen Waren, Tierfutter zum Beispiel. Da herrscht große Preisstabilität. Die Konsumforscher der GfK haben festgestellt, dass nur in 40 von 275 Produktgruppen im Lebensmittelhandel Preiskämpfe stattfinden. Nicht jeder mag da an Zufall glauben, vielleicht gibt es verbotene Absprachen zwischen den Händlern.

Außerdem untersucht Mundt die Kräfteverhältnisse bei Verhandlungen zwischen Lieferanten und Handelsketten. Die großen vier unter den Lebensmittelverkäufern, Edeka, Rewe, Aldi sowie die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland, beherrschen 85 Prozent des Marktes. Sie geben den Ton an. Daneben schrumpfen selbst Unternehmen wie Metro oder Tengelmann zu bloßen Mitspielern. Auf der Lieferantenseite aber, so argumentiert das Kartellamt, ständen 5800 oft mittelständische Firmen. Verhandlungen auf Augenhöhe, das sollen diese Zahlenspiele zeigen, seien da wohl weniger zu erwarten.

Aus Sicht des Handels stellen sich die Kräfteverhältnisse anders da. "Mehr als 80 Prozent des Umsatzes machen wir mit zehn bis 15 Herstellern", sagt ein Manager einer großen Ladenkette, der nicht genannt werden möchte. Sein Unternehmen könne es sich nicht leisten, bestimmte Markenprodukte nicht anzubieten, weil die Kunden andernfalls zur Konkurrenz gingen. "Die großen Markenartikelhersteller sind mindestens so mächtig wie die umsatzstärksten Händler", meint er.

Was ist zulässig? Und was unangemessen?

Andere in der Branche weisen darauf hin, dass in bestimmten Produktgruppen mitunter sogar mittelständische Anbieter eine so starke Marktposition hätten, dass sie in den Verhandlungen mit ihren Handelskunden sehr selbstbewusst auftreten könnten. "Bei der Mehrzahl der Artikel, die in einem normalen Supermarkt angeboten werden, sitzt der Händler in den Einkaufsgesprächen nicht am längeren Hebel", heißt es aus dem Haus eines Branchenriesen.

Aus diesem Grund sind viele im Einzelhandel sehr gespannt darauf, welche Warengruppen das Kartellamt unter die Lupe nehmen wird. Denn die Aussage "bei der Mehrzahl" heißt zugleich: Es gibt tatsächlich auch einige Produkte, bei denen der Ladenbetreiber so mächtig ist, dass er mit seinen Lieferanten nicht mehr auf Augenhöhe verhandelt.

Die Sektorenuntersuchung könnte nun Aufschluss darüber geben, wer recht hat in diesem Streit, die Wettbewerbshüter oder die Händler. Die Ladenbetreiber jedenfalls begrüßen den Wunsch der Behörde, Daten zu sammeln, auch wenn das für sie mit hohem Aufwand verbunden ist. Sie sind sicher, dass die Untersuchung ihrer Argumentation nur nützen kann.

Allerdings könnte die Befragung auch Indizien liefern für einen weiteren Verdacht, dem das Amt seit mehr als einem Jahr nachgeht: dass es verbotene Preisabsprachen gegeben hat zwischen Herstellern und Händlern. Aufgrund von entsprechenden Erkenntnissen aus anderen Verfahren hatte das Kartellamt im Januar vergangenen Jahres bei mehr als einem Dutzend Firmen, darunter Rewe, Edeka, Lidl, Metro, Mars und Fressnapf, Hausdurchsuchungen gestartet und umfangreiches Material sichergestellt. Seitdem ist in der Lebensmittelbranche nichts mehr, wie es war. Aus Furcht, sich eines Wettbewerbsverstoßes schuldig zu machen, besprechen beide Seiten nur noch das Nötigste.

Was ist eine zulässige Preisempfehlung, und was könnte als unangemessene Ausnutzung der eigenen Marktmacht gewertet werden - da ist die Unsicherheit auf beiden Seiten groß. "Doch vor allem, wenn es um Aktionen geht, müssen wir mit Lieferanten über Mengen und Preise reden. Sonst funktioniert das Geschäft nicht", sagt der Manager einer Handelskette. Das weiß auch Mundt. Und er verspricht, nur bei klaren Vergehen Bußgelder zu verhängen.

Aber auch dabei könnten einige Fälle zusammenkommen, wie mancher Händler hinter vorgehaltener Hand einräumt: "Wir wissen, dass Fehler gemacht worden sind." Die Bußgeldbescheide werden kaum vor Herbst verschickt werden. Der größte Wunsch von Herstellern und Händlern aber ist, dass endlich Klarheit herrscht, wie man miteinander umgeht, ohne sich strafbar zu machen. Der Versuch des Kartellamts, mit einer sogenannten Handreichung Orientierungshilfe zu geben, was erlaubt ist und was nicht, war 2010 gründlich fehlgeschlagen. Das Papier sorgte für noch mehr Verunsicherung.

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