Kartell-Vorwürfe gegen VW, Audi, Porsche, Daimler und BMW:Ungeheurer Verdacht gegen deutsche Autokonzerne

Lesezeit: 3 Min.

  • Die fünf großen deutschen Autohersteller VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler sollen sich einem Bericht zufolge seit den Neunzigerjahren illegal abgesprochen haben.
  • Auch bei den Diesel-Abgasmanipulationen soll es geheime Vereinbarungen gegeben haben.
  • Falls die Vorwürfe zutreffen, könnten auf die Autokonzerne hohe Kartellstrafen sowie Schadenersatzforderungen zukommen.

Von Caspar Busse, Thomas Fromm, Stefan Mayr, Hans Leyendecker und Klaus Ott, Stuttgart

Die Stuttgarter Staatsanwältin Sibylle Gottschalch gilt als erfahren, furchtlos und selbstbewusst. Seit einiger Zeit treibt die 41-jährige Strafverfolgerin gemeinsam mit Kollegen das Diesel-Verfahren von Daimler voran. Aber selbst hartgesottene Ermittler können sich nicht alles vorstellen. Als die Strafverfolgerin in einem vertraulichen Papier der Frage nachging, warum der Autokonzern nur kleine, platzsparende und somit günstige Tanks für das Harnstoffgemisch AdBlue eingebaut hatte, das giftige Stickoxide neutralisieren soll, kam sie auf die Idee mit der Konkurrenz. Die Daimler-Manager hätten sich dadurch offenbar einen "Wettbewerbsvorteil für die Daimler AG" erhofft, schreibt Gottschalch.

Diese Annahme war wohl falsch. Wettbewerb gab es offensichtlich keinen zwischen den fünf großen deutschen Autobauern Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler - wenn stimmt, was der Spiegel behauptet. Jahrzehnte lang sollen die fünf Unternehmen gemeinsame Sache gemacht und sich "in geheimen Arbeitskreisen über die Technik, Kosten, Zulieferer und sogar über die Abgasreinigung ihrer Dieselfahrzeuge abgesprochen" haben, schreibt das Nachrichtenmagazin. Dies wäre dann wohl ein illegales Kartell - und der mutmaßlich größte Wirtschaftsskandal seit dem Zweiten Weltkrieg.

"Mehr als 200 Mitarbeiter" sollen sich illegal abgestimmt haben

Erst der Dieselbetrug bei VW um gefälschte Abgasmessungen, dann der schwere Verdacht, dass es auch bei anderen Herstellern nicht sauber zugegangen sein könnte - und nun das. Vorgänge, die die Auto-Industrie bis ins Mark erschüttern und die die Glaubwürdigkeit der Vorzeige-Branche auf Jahre hinaus zerstören würden. Milliarden-Strafzahlungen, die die Existenz mancher Firma, die eben noch stolz ihre Produkte lieferte, ernsthaft gefährden würde, wohl inklusive.

Kleiner Tank: Die geheimen Absprachen sollen auch die Größe des Adblue-Tanks betroffen haben. Der Stoff ist wichtig für Diesel-Motoren. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Worum es geht: Seit den Neunzigerjahren sollen sich "mehr als 200 Mitarbeiter" der Hersteller "in mehr als 60 Arbeitskreisen" abgestimmt haben. Dabei soll der Wettbewerb "gezielt mit Absprachen außer Kraft gesetzt" worden sein, so der Spiegel - auch bei AdBlue, jener Flüssigkeit, die die Diesel-Abgase sauber macht.

Weil den Käufern nicht zugemutet werden sollte, dass sie die Harnstofflösung selbst nachfüllen, sollen die Hersteller sich darauf geeinigt haben, die Einspritzung zu drosseln. Damit hätten sie nicht nur gegen Gesetze verstoßen, sondern auch die Luftverschmutzung mit giftigen Stickoxiden in Kauf genommen - und damit die Gesundheit vieler Menschen aufs Spiel gesetzt.

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VW soll sich selbst beim Kartellamt angezeigt haben

Die Sache ist nach Informationen der Süddeutschen Zeitung so abgelaufen: Das Kartellamt habe ursprünglich wegen Absprachen der Stahlhersteller zulasten der Auto-Industrie ermittelt. Am 23. Juni 2016 gab es eine Durchsuchungs-Aktion bei Volkswagen, Daimler und BMW sowie bei den Zulieferern ZF und Bosch. Stahl ist für Autobauer der wichtigste Rohstoff, wer hier den Preis drückt, kann sehr viel Geld sparen.

In diesem Zusammenhang habe man wissen wollen, ob auch die Autokonzerne ihrerseits Absprachen zulasten der Stahllieferanten getroffen hätten. VW soll dann selbst intern ermittelt und verdächtige Mails aus dem Bereich Forschung gefunden haben, die auf solche Absprachen hindeuten. Kurz darauf soll es zur Selbstanzeige beim Kartellamt gekommen sein. Auch Daimler soll eine Selbstanzeige eingereicht haben. Pikant daran: Wäre das so gewesen, dann hätte man auf diese Weise auch Kollegen anderer Unternehmen schwer belastet.

Wer in den Konzernzentralen nachfragt, stößt auf: größtmögliches Stillschweigen. Selbstanzeige, eine Meldung an das Bundeskartellamt? Bei VW und Daimler erklärt man dünnlippig: "Kein Kommentar." Das Kartellamt schweigt ebenfalls, nur bei BMW kommentiert man die Sache - wenn auch nur kurz: "Wir wissen nichts von Ermittlungen und haben keine Anfrage vom Kartellamt bekommen." Selbstanzeigen? Davon habe man aus den Medien erfahren. Was natürlich durchaus sein kann, denn es sollen ja VW und Daimler gewesen sein, die sich selbst angezeigt haben.

Was die Frage aufwirft: Wurde Konkurrent BMW hier etwa auf dem falschen Fuß erwischt?

Daimler musste 2016 bereits Kartellstrafen in Milliardenhöhe bezahlen

Die Tricksereien mit den Diesel-Abgasen seien "auf zahllosen Treffen" gemeinsam ausgeknobelt worden, heißt es. In diesen "5er-Kreisen" - so habe man die Arbeitsgruppen wegen der Anzahl der beteiligten Automarken genannt - seien sogar technische Einzelheiten wie Cabrio-Dächer abgestimmt worden. In den Runden sei es zudem "um die Auswahl von Lieferanten" oder "Kosten für Fahrzeug-Bauteile" gegangen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Deutschlands Autobauer gegen Wettbewerbsregeln verstoßen. 2016 musste die Daimler AG wegen illegaler Preisabsprachen ihrer Truck-Sparte mehr als eine Milliarde Euro Strafe zahlen. Das sogenannte Lkw-Kartell funktionierte von 1997 bis 2011, mit dabei waren auch Iveco, DAF, Volvo/Renault und die VW-Tochter MAN. Insgesamt mussten die Konzerne eine Rekordstrafe von etwa 2,93 Milliarden Euro zahlen. Es ist gut vorstellbar, dass die Wettbewerbshüter im aktuellen Fall ein noch höheres Bußgeld verhängen könnten - falls die Vorwürfe zutreffen. Zusätzlich drohen - wie beim Lkw-Kartell - Schadenersatz-Klagen von betroffenen Kunden oder Lieferanten, die die Hersteller ebenfalls noch einiges kosten könnten.

In diesem Jahr gab es bereits Razzien in den Zentralen von Audi in Ingolstadt und Daimler in Stuttgart. Hier gingen die Staatsanwälte aus München und Stuttgart dem Verdacht auf Betrug bei der Diesel-Abgasreinigung nach. Dabei nahmen die Ermittler Tausende Ordner und Daten mit und machten die Konzerne somit zu gläsernen Institutionen - detailliertes Material, das sicherlich nicht nur bei den Ermittlungen wegen der Diesel-Abgase eine Rolle spielen dürfte.

Stinkende Diesel, manipulierte Motoren, jetzt der Kartell-Verdacht: Deutschlands Vorzeige-Industrie steht am Pranger, und das empfanden auch die Investoren an der Börse so: Aktien von BMW, Daimler und Volkswagen rutschten am Freitagnachmittag erst einmal kräftig nach unten.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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