Karstadt:Karstadt steuert auf Gewinn zu

Fermin Bullfighters Tailor Shop in Madrid

Nähen und Stricken ist wieder populär, und Karstadt bedient den Trend.

(Foto: Pablo Blazquez Dominguez/Getty Images)
  • Bei Karstadt zeigen die Sanierungsbemühungen langsam Wirkung. Die Warenhauskette steuert auf einen Gewinn zu.
  • Teil der neuen Karstadt-Strategie ist es, jeder Filiale je nach Kundschaft ein individuelles Profil zu geben. Vorbild ist München.

Report von Michael Kläsgen

Fast jeden Mittwoch kommt Erika Pöllmann ins dritte Obergeschoss und präsentiert ihre neuesten Trends rund ums Stricken, Sticken und Häkeln. Frau Pöllmann ist eine Institution bei Karstadt am Münchner Hauptbahnhof, und das soll so bleiben, jedenfalls laut der neuen Strategie, die das Management für das krisengeschüttelte Unternehmen verfolgt. Es geht darum, die lokalen Stärken jedes einzelnen Warenhauses besonders hervorzuheben. Und das tut Frau Pöllmann, ebenso wie Frau Bergmann, mit der man vor Weihnachten "die unmöglichsten Gegenstände besticken kann", wie eine Teilnehmerin sagt. Oder wie der Mann, der einem das Schnitzen beibringt.

All das findet in der Handarbeitsabteilung im dritten Obergeschoss statt. Die Abteilung hat ein Alleinstellungsmerkmal, wie Kai Hudetz sagen würde. Der Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung sagt: "Wer als Händler in der Stadt überleben will, der muss eine regionale Marke erzeugen. Der muss unverwechselbar sein, dem Kunden etwas Besonderes bieten und sich von anderen abgrenzen, vor allem vom anonymen Online-Handel." Die Kurzwarenabteilung im 3. OG erfüllt genau diese Kriterien.

Sie ist die größte weit und breit, vielleicht sogar die größte in Deutschland, wie eine Angestellte sagt, obwohl sie bereits geschrumpft wurde. Tücher, Stoffe, Knöpfe, Wolle, Nähgarn, all das gibt es hier in reicher Auswahl. Kundige Beratung von freundlichen Verkäuferinnen dazu, wie Kundinnen berichten. Münchens Modezar Moshammer soll hier gekauft haben. Damals war Stricken, Häkeln, Schneidern schon mal "in", ehe es "mega-out" wurde. Jetzt ist es wieder "total angesagt". Die Online-Händler Dawanda und Etsy machen damit ihr Geschäft. Jetzt will auch Amazon mit der Plattform "Handmade" in den Markt einsteigen.

Karstadt hat in all den Jahren der Misere auch mal was richtig gemacht. Das Management hat die Kurzwarenabteilung beibehalten. In dem Kaufhaus, das eines der größten in Deutschland ist und sich vom Bahnhof bis zum Stachus erstreckt, ist das 3. OG die zentrale Anlaufstelle. Frauen aus Österreich kommen eigens für die Kurzwaren hierher und für viele verschleierte Damen aus Nahost scheinen die unzähligen bunten Stoffrollen während ihres Bayernaufenthalts ebenfalls ein Muss zu sein.

Jedes Kaufhaus wird nun mit seinem Sortiment dem Umfeld angepasst

Die Abteilung ist der Schlüssel zum Verständnis der neuen Karstadt-Strategie. Es geht dabei darum, Wachstumsfelder individuell für jedes Warenhaus zu identifizieren und auszubauen, sagt ein Insider. Das heißt nicht, dass jedes Kaufhaus jetzt Kurzwaren anbieten soll. Wenn in der Nähe des Kaufhauses viele Studenten wohnen, sollte es eher Pinsel, Farbe und Handwerkszeug ins Sortiment nehmen. Jedes Kaufhaus soll einen individuellen, auf die lokale Klientel ausgerichteten Charakter entwickeln. Das Warenhaus am Münchner Bahnhof, einst Eigentum von Hertie, gilt dabei als Blaupause. Es ist neben denen in Hamburg und Dresden eines der erfolgreichsten im Karstadt-Reich. Auf der internen rot-gelb-grünen Ampelliste des Konzerns leuchtet es Dunkelgrün. Das heißt, es macht Gewinn, während die gesamte Warenhaus AG weiterhin als Sanierungsfall gelten muss. Mitarbeiter werden weiter entlassen und bis ins nächste Jahr hinein Filialen geschlossen.

Wobei der Turnaround, also der Wandel zum Positiven, schnell voranzuschreiten scheint. Im vergangenen Geschäftsjahr schrieb die Warenhaus AG noch tiefrote Zahlen. Seitdem die österreichische Signa Holding vor gut einem Jahr das Unternehmen und Stephan Fanderl die Geschäfte übernommen hat, bessert sich die Lage zusehends. Der Umsatz sank zwar nach Informationen der Süddeutschen Zeitung erneut um 2,7 Prozent. Dafür soll das Betriebsergebnis in etwa ausgeglichen ausfallen, nachdem es im Vorjahr noch bei minus 108 Millionen gelegen hatte. Der Nettoverlust konnte etwa auf ein Drittel heruntergefahren werden. Nach 190 Millionen Euro noch im Vorjahr soll er nun zwischen 60 und 70 Millionen Euro liegen oder vielleicht sogar etwas besser ausgefallen sein. Karstadt will das Jahresergebnis am kommenden Mittwoch bekannt geben.

Die Verbesserung ist zunächst rein mathematisch zu erklären. Fanderl reduzierte Fläche, das heißt, er schloss Filialen, räumte Lager leer und strich Stellen. Automatisch wirkte sich das positiv auf die Zahlen aus, so schmerzhaft das für Entlassene sein mag. Es hat aber auch etwas mit der Rückbesinnung auf die eigenen Stärken zu tun. Dazu gehört es, den Kunden das anzubieten, worauf es ihnen ankommt.

Zielgruppe: Frauen, die auch ihre Männer einkleiden

Dazu muss ein Händler zunächst wissen, wer überhaupt seine Kunden sind. Bei Karstadt lautet die Antwort: die Frau ab 45, bodenständig, traditionsbewusst, nicht dem letzten Schrei hinterherjagend; es sind Frauen, die auch ihre Männer einkleiden. Diese Kundin sucht bei Karstadt keine exotischen Mode-Marken, wie sie ihr zuvor angeboten wurden. Sie geht auch nicht in die schrillen Boutiquen in der Einkaufstraße nebenan, deren Konfektionsgrößen eh nicht ihr Ding sind. Sie sucht vielmehr jemanden wie Frau Pöllmann, die sie kundig beraten kann und die ihr ein besonderes Erlebnis bietet.

Das Wiederentdecken alter Kaufhaustugenden ist das Ergebnis einer langen Suche, die zuvor im finanziellen Desaster endete. Beispiel Düsseldorf: Unter dem Vorbesitzer Nicolas Berggruen wurden dort Millionen investiert, die ergebnislos verpufften. Karstadt wollte damals exquisit und trendy sein. Aber andere können das eben besser. Neu-Eigentümer René Benko reduzierte das Sortiment von 600 Marken auf 50. Marken, so das Credo, welche die Karstadt-Kundin nicht kennt, kauft sie auch nicht. Düsseldorf gilt intern seither als mahnender Irrweg. Dort verlor Karstadt seine Stammkundschaft, ohne neue Kundinnen hinzuzugewinnen.

München Hauptbahnhof ist jetzt eines der Vorbilder und soll den Weg aus der Krise aufzeigen, hin zu den für das kommende Jahr erhofften schwarzen Zahlen. Karstadt will sich wieder auf seine Klientel besinnen, die Kundin ab 45. Frau Pöllmann macht's vor, fast jeden Mittwoch.

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