Süddeutsche Zeitung

Karstadt Kaufhof:Der große Krisentest

Der Investor René Benko wollte Karstadt und Kaufhof groß rausbringen. Jetzt steckt der Warenhauskonzern unter dem Schutzschirm.

Von Thomas Fromm und Michael Kläsgen

Thomas Olek ist einer der Gekniffenen des Schutzschirms, den Galeria Karstadt Kaufhof über sich hat aufspannen lassen. Genauer gesagt: Den René Benko, der österreichische Eigentümer des Warenhauskonzerns, aufspannen ließ - widerwillig, wie Vertraute sagen. Ob das stimmt? Der Fall jedenfalls zeigt exemplarisch die Chancen, aber auch die möglichen Abgründe des Verfahrens für notleidende Unternehmen, das der Gesetzgeber am vergangenen Freitag angesichts der Corona-Krise auf den Weg gebracht hat.

Olek ist Gründer und Vorstandsvorsitzender des Frankfurter Immobilieninvestors Publity und hat derzeit 120 Gewerbe- und Büro-Objekte für rund 5,5 Milliarden Euro unter Vertrag. Eines davon: die Karstadt-Kaufhof-Zentrale in der Essener Theodor-Althoff-Straße 2. Der Unternehmer bekam einen Brief, datiert auf den 30. März 2020. Darin hieß es, die Galeria Karstadt Kaufhof GmbH habe "entschieden, die Miete ab dem 1.4.2020 nicht zu zahlen". Mehr noch: "Aus demselben Grund" behalte man sich "die Rückforderung der Miete und Nebenkostenvorauszahlung für den Monat März 2020 in Höhe von mindestens 50 Prozent vor".

Olek war überrascht. "Der ist doch kein Bäckermeister, der mit seiner Firma gerade auf der Kippe steht", sagt er.

Erst kürzlich sei die alte Karstadt-Zentrale aufwendig saniert worden. Ihn treibt ein Verdacht um: Benko, sagt er, werde "nun versuchen, günstigere Mieten durchzusetzen, Häuser zu schließen und Tausende von Arbeitsplätzen abzubauen. Und das alles ohne Imageverlust, denn er kann ja immer sagen: 'Das war Corona'." So würden "Menschen wie Benko auch zu Profiteuren von Corona. Wenn Sie mich fragen: Wir haben hier nicht nur eine Corona-Krise, wir haben auch eine Krise von Führung und Moral." Moralische Krise?

Das Verfahren erlaubt es, Mietverträge rasch zu kündigen, Mitarbeiter leichter loszuwerden

Arndt Geiwitz, seit Mittwoch Generalbevollmächtigter im Schutzschirmverfahren von Karstadt Kaufhof und exzellenter Kenner der Materie widerspricht: "Herr Benko wollte ursprünglich kein Schutzschirmverfahren. Er ist der größte Geschädigte bisher in dem Prozess. Er hat erst letzte Woche weitere 140 Millionen investiert, was andere in einer solchen Situation nicht getan hätten. Insgesamt beläuft sich sein Investment wohl auf über eine halbe Milliarde", sagt Geiwitz der SZ.

Was stimmt denn nun? Ist Benko "Geschädigter" oder "Profiteur"? Oder, von der Person Benko einmal abgesehen: Was ist da am Freitag eigentlich beschlossen worden und welche Auswirkungen hat das auf die vielen Unternehmen, die jetzt in der Krise stecken, im Einzelhandel, Automobilbereich und anderswo? Dazu muss man etwas ins Insolvenzrecht eintauchen.

"Schutzschirmverfahren" klingt harmlos, ist es aber nicht. "Das Schutzschirmverfahren hat den Vorteil", sagt Jan Groß, Kölner Restrukturierungsexperte der Kanzlei Ebner Stolz, "dass es keinen Makel hat. Das I-Wort, Insolvenz, taucht darin nicht auf. Faktisch ist es aber so, dass viele Verfahren nach drei Monaten in der Insolvenz enden." Unter dem Schutzschirm sind viele Dinge möglich, die in normalen Zeiten kaum denkbar wären. Zehnjährige Mietverträge können plötzlich in drei Monaten gekündigt werden, Personal in großer Zahl schnell abgebaut werden, ohne Abfindung und die Gewerkschaften einzubeziehen. Das könnte hier und da die Fantasie des ein oder anderen Unternehmers beflügeln.

Einen großen Kostenblock hat Karstadt Kaufhof schon abgeräumt. Die 28 000 Mitarbeiter werden von April an für drei Monate aus dem Insolvenzgeld bezahlt. Wie das mit den Mieten ist, darüber werden sich Juristen vielleicht noch in Jahren streiten. Fest steht nur eins: "Es ist eine historisch günstige Chance, den Schutzschirm zu nutzen", sagt Groß. "Es liegt auf der Hand, das Momentum, das die Krise bietet, zu ergreifen, ohne negative Presse zu haben oder als gescheitert dazustehen."

Der Schutzschirm ist die milde Form der Insolvenz, es erlaubt alle Instrumente, das heißt, man kann Gläubiger, Mitarbeiter, Vermieter und auch die Lieferanten "foltern". Es lässt auch Missbrauch zu und lädt Trittbrettfahrer ein - Unternehmen, die schlecht gewirtschaftet haben und sich jetzt des Rettungsschirms bedienen.

Das Ziel des Schutzschirmverfahrens in Eigenverwaltung, wie bei Karstadt Kaufhof, ist laut Gesetz eigentlich ein anderes. Danach soll ein Unternehmen behördlich angeordnete Filialschließungen und die damit verbundenen hohen Umsatzausfälle ohne eine massive Neuverschuldung bewältigen können. Aber es lässt auch die aus Gesellschaftersicht attraktive Variante zu, das Unternehmen so schnell zu entschulden, wie es sonst kaum möglich wäre. Und zwar, obwohl der Gesetzgeber eine "ranggerecht gleichmäßige und bestmögliche Gläubigerbefriedigung" vorsieht. Da steht der Eigentümer eher am Ende der Kette.

Als ein besonders heikler Punkt gilt unter Insolvenzverwaltern die Entscheidung des Gesetzgebers, dass unter bestimmten Bedingungen Zahlungen oder Nicht-Zahlungen nicht angefochten werden können. Einige stellen sich nun die Frage, ob das auch Darlehen betrifft, die der Gesellschafter mit dem Insolvenzgeld an sich zurückführt. Groß ist da eindeutig: "Es können nur Gesellschafterdarlehen zurückgeführt werden, die nach Ausbruch der Krise geleistet wurden. Der Gesetzgeber hat klugerweise verhindert, dass alte Darlehen mit neuen Darlehen abgelöst werden können." Eine Rückführung wäre also offenbar für die 140 Millionen Euro möglich, die Benko den Aussagen Geiwitz' zufolge vergangene Woche geleistet hat. Die Frage nach dem "Geschädigten" oder "Profiteur" lässt sich auch hier nicht eindeutig beantworten.

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Manche halten die Frage, ob denn ein Verkauf des Unternehmens erwogen wird, für ein entscheidendes Kriterium dafür, ob Missbrauch vorliegt oder nicht. Bei Karstadt Kaufhof scheint das nicht der Fall zu sein. Nach offizieller Sprachregelung ist der Konzern eher stolz darauf, nach Jahren der Restrukturierung kurz vor der Corona-Krise wieder etwas Oberwasser zu bekommen. Geiwitz sagt, das Unternehmen habe unbedingt Staatshilfe gewollt, das sei aber an den Banken gescheitert. Andere Insolvenzverwalter bringen mehr Verständnis für die Sicht der Banken auf. Sie könnten sich im schlimmsten Fall der Beihilfe zur Insolvenzverschleppung schuldig machen, wenn sie Kredite an Unternehmen vergeben, von denen zu erwarten war, dass sie diese nicht zurückzahlen können.

Gläubiger Thomas Olek ist für die Zukunft eher pessimistisch. "Ich habe dem Management einen Brief geschickt und klar mit fristloser Kündigung gedroht, wenn die nicht zahlen. Aber jetzt, wo Galeria Karstadt Kaufhof unter den Schutzschirm geflüchtet ist, sind uns die Hände gebunden." So könnte es bald vielen gehen.

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Quelle:
SZ vom 03.04.2020/mxh
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