Karstadt-Jubiläum:Geschichtspornografie

Bunte Bilder, Promis, Wirtschaftswunder: Karstadt schenkt sich zum 125. Geburtstag eine Chronik - jedoch mit etlichen Lücken.

Willi Winkler

Nicht lang, nachdem Karl Marx vom Warenwert fabuliert hatte und den Herstellern der Ware, den Arbeitern, den Mehrwert zurückerstatten wollte, taten sich die großen Kaufhäuser auf. Dort boten gewitzte Unternehmer ihre Waren dem preisbewussten Bürgertum um einen freiwillig verringerten Mehrwert an, denn der im ausklingenden Monarchismus sich regende "König Kunde" sollte zur Verschwendung, zum Mehrkauf, überredet werden.

1881, vor 125 Jahren, eröffnete der Einzelhandelskaufmann Rudolph Karstadt in Wismar sein erstes Geschäft. Die Preise waren niedrig, aber vor allem stabil, und die Idee "curieuse" genug, dass die Brüder Heinrich und Thomas Mann in Lübeck neugierig wurden, als auch dort ein Zweiggeschäft aufmachte. Nach 25 Jahren waren es in ganz Deutschland beinah ebenso viele Karstadt-Filialen.

So ging das immer fort. In der Nachkriegszeit, in der Kaufrauschzeit, wurde aus Karstadt endlich Deutschland, was bei den Partnern Neckermann und Quelle allerdings nicht ohne die eine oder andre Arisierung möglich war. 2004 geriet Karstadt in die branchenübliche Krise, die bei der Bedeutung des Unternehmens nur eine Staatskrise sein konnte.

Erfolgreich saniert

Mittlerweile ist ein Teil der Belegschaft wie der Erwerbungen wieder abgestoßen, sind die kleineren Häuser verkauft, wird das Immobilienvermögen mit Goldman Sachs beinah brüderlich geteilt. Karstadt gilt im Augenblick als saniert und kann sich feiern.

Standesgemäß beschenkt das Kaufhaus seine Kunden, also das große, schöne Deutschland, mit einem Spiegel seiner Geschichte. Diese neueste deutsche Historie ist so international, wie es eine nationale Geschichte nur sein kann: Sie wurde in München fabriziert, in Slowenien gedruckt, in der Schweiz verlegt und wird exklusiv in den neunzig deutschen Karstadt-Kaufhäusern verkauft.

Als Rudolph Karstadt 1881 anfing, begann sich auch die Welt zu öffnen. Sehr spät konnte das zehn Jahre zuvor gegründete Deutsche Reich nun auch mit allen Säbeln rasseln und damit jenen "Platz an der Sonne" erzwingen, der sich heute wieder auf die Balearen beschränken muss.

In den Bismarck-Jahren lieferten die neuen Kolonien ganz neuartige Waren und neue Ansichten von der Welt. Der leichte Siebenpfünder erinnert daran: Der Band ist ein Zwitter aus den wäldervernichtenden Harenberg-Chroniken und dem leider völlig verschwundenen Album mit Zigarettenbildern.

Männer machen Geschichte, und auch diese hat, wenn schon keinen Autor, so einen Macher. Es ist der verdienstvolle Dr. Christian Zentner, dem das deutsche Kaufhaus bereits viel verdankt. Mit seinem wissenschaftlichen Œuvre hat Christian Zentner die deutsche Schandgeschichte des 20. Jahrhunderts besonders gern in Rücksicht auf Waffengattungen und Schlachten abgedeckt, und natürlich gibt es von ihm einen "Adolf Hitler - Aufstieg und Untergang".

Hitler und das sogenannte Dritte Reich bilden das gar nicht geheime Zentrum dieser bilderreichen, recht gedankenfreien Chronik, die sich's allerdings angelegen sein lässt, den dunklen Helden samt seinen Untaten vom festlichen Umschlag fernzuhalten.

Dort prangen die eindeutigen Nationalhelden, da lachen die größten Deutschen - Boris Becker, Horst Köhler, Angela Merkel und (deutsch ist, was uns wohltut) Romy Schneider als Sissi. Dazwischen locken nostalgische Plakate und ebenso sentimental erinnerte Szenen von der Mauer, aus dem Generalstabsquartier im Ersten Weltkrieg und, hochaktuell, vom Transrapid.

Vorn und hinten auf den Vorsatzblättern wehen die schwarzrotgoldnen Fahnen von der Wiedervereinigung. Dass die eine Vorgeschichte hatte, dass da etwas vorgefallen sein muss, was zur Teilung führte, wird besser im Buchinnern aufgehoben.

Geschichte kompakt, aber flapsig

Die Chronik der 125 Jahre kann kaum so mikroskopisch genau wie das "Echolot" Walter Kempowskis sein, doch wird die mangelnde Gründlichkeit ohne weiteres durch eine bestürzende historische Naivität ergänzt. Schon wahr, auch ein Historiker kann nicht alles wissen, weshalb sich Christian Zentner auf Bewährtes verlässt, vor allem auf sein eignes Werk, zumal auf "Deutschland 1870 bis heute" (1970).

Die vergangenen 125 Jahre werden nutzerfreundlich in einem Überblicksartikel von einer Seite zusammengefasst, auf der neben dem Jubiläum auch noch dieser kühn und weitgespannte Satz Platz findet: "Zehn Jahre nach der Reichsgründung spielte das prosperierende Deutschland im Konzert der Großmächte eine wesentliche Rolle, und auch heute ist Deutschland als größte Nation der Europäischen Union von zentraler Bedeutung."

Wer in diesem Band im bewährten Hausbibel-Format eigentlich spricht, wird nicht immer deutlich. Jedes Jahr wird mit recht beliebig ausgewählten Daten gewürdigt, dann folgen längere Texte, oft Dokumente.

Die Auswahl zeigt bereits das Bemühen um eine altbackene Ereignis- oder vielmehr Schicksalsgeschichte. Der Text läuft munter die Spalten hinunter, garniert Wahlplakate, historische Aufnahmen, viele Zeichnungen aus dem Offizierscasino-affinen "Simplicissimus", und auch die Waffengattungen, Schlachten und der "Führer" kommen nicht zu kurz.

Nicht anders als in Guido Knopps factory ist auch hier das Dritte Reich die dunkel strahlende Mitte, aufwendig umfangen von Olympischen Spielen, "Mutterglück und Vaterfreuden", den Schlachten um Stalingrad und England, Kraft durch Freude, Flugzeugen, Schiffen, Soldaten und genug Waffen, dass einem die Ohren dröhnen; "Geschichts-Pornografie" vom Feinsten.

Die Bildtexte sind ein Spaß für sich. Da hält Hitler, "dem das Hinscheiden Hindenburgs sehr zupass kam, da er nun endlich auch das Amt des Reichspräsidenten in seiner Person vereinigen konnte", die Trauerrede auf den Verstorbenen.

Das dankbar angenommene Angebot der Reichswehr, sich sofort auf den Führer und Reichskanzler zu vereidigen, kommt natürlich nicht vor, weil auch das Treffen mit der Reichswehrführung vier Tage nach der Machtergreifung übergangen wird, bei dem Hitler den Generälen die alleinige Waffenträgerschaft versprach.

Zentners Elementarwerk verharrt auf dem Deutungshochstand der frühen Nachkriegsjahre, wenn er die Deutschen als erstes Opfer ihres Führers beschreibt. "Auch die Verheizung der Hitlerjugend - sprich: von Kindern - im völlig sinnlosen Endkampf um Berlin, der Tausende das Leben kostete, zählte zu den Kriegsverbrechen Adolf Hitlers."

"Geschichte ist Quatsch"

Selbstverständlich ist das Kapitel über Auschwitz weit kürzer als jenes über die Zerstörung Dresdens, aber das trifft sich mit der inzwischen kurrenten Opfer-Mythologie, oder wie die "Chronik" so schön formuliert: "Wehrlos den Siegern preisgegeben, war Deutschland am Tiefpunkt seiner Geschichte angelangt." Bei solch tiefen Sätzen möchte man fast schon wieder Henry Ford zustimmen, der den legendären Satz prägte: "Geschichte ist Quatsch".

Im zeitgenössischen Text, so wenig nachgewiesen wie die anderen, besucht ein Herr eins der ersten Kaufhäuser, und es wird sich prächtig amüsiert: "Aber ich merkte doch, wir sind alle von des Tantalus Geschlecht. Ich spürte den Duft der Parfüms, sah auch die gelben, grünen, roten amarantfarbenen und safrangelben Flakons - aber heran kam ich nicht."

Genauso ergeht es dem Dr. Zentner und folglich auch seinem Leser: Bei all den Daten kommt er doch nicht dran. Das Buch soll einem aber auch nicht die gute Laune verderben, deshalb schmaucht Ludwig Erhard ewig seine Zigarre, gewinnt Deutschland Fußballweltmeisterschaften und Autorennen und sorgt sich sonst, wenn nicht zufällig Weltkrieg ist, wenig um die Welt. Mit deutscher Geschichte hat das nicht viel zu tun, eher mit einer Nationalstiftung "Ewiges Gutes, manchmal Armes Deutschland".

Doch wird von diesem tausendseitigen Werk niemand eine tiefschürfende Analyse erwarten, schließlich soll es um keinen Preis subtiler sein als ein Abreißkalender.

Die "Chronik Deutschland" ist ein recht unbekümmertes Unternehmen, das naturgemäß in keinem kauffreudigen Haushalt fehlen sollte, zumal es das handelsübliche Regalmobiliar überfordert und deshalb zu neuen Anschaffungen führt und, wer weiß?, einem weiteren konjunkturellen Aufschwung beiträgt.

CHRISTIAN ZENTNER (Hrsg.): Chronik 125 Jahre Deutschland. Otus Verlag, St. Gallen, 1008 Seiten, 25 Euro.

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