Karstadt:"Irgendwie wird es weitergehen"

Betroffenheit, Trauer, Wut: Bei den Mitarbeitern von Karstadt herrscht nach der Insolvenz des Mutterkonzerns Fassungslosigkeit - doch in die Niedergeschlagenheit mischt sich Kampfeslust.

D. Graalmann, C. Hickmann, C. Kögel u. K. Riedel

So oft hat man es schon gehört, dieses Lied, bei so vielen unpassenden Gelegenheiten, doch am frühen Dienstagnachmittag passt es perfekt auf die Frankfurter Zeil. Es ist halb zwei, vor der örtlichen Karstadt-Filiale ist das Pflaster aufgerissen, die Baustelle staubt und lärmt, während sich vor dem Eingang etwa 20 Menschen postiert haben. Sie halten Schilder hoch, auf denen steht, dass sie "ein Stück Deutschland" seien, und jetzt hat einer der Mitarbeiter auch noch die Musik zum Laufen gebracht. Aus der Box kommen die ersten Takte, abwartend, langgezogen, dann lauter, bis zur entscheidenden Zeile: "I will survive!"

Karstadt, Arcandor, dpa

"Ein Stück Deutschland" meldet Insolvenz an. Der Karstadt-Mutterkonzern Arcandor ist zahlungsunfähig.

(Foto: Foto: dpa)

Arcandor stellt Antrag auf Insolvenz, diese Nachricht ist noch keine Stunde alt, als die Frankfurter Karstadt-Mitarbeiter den Passanten auf der Zeil musikalisch mitteilen, dass damit keineswegs alles vorbei ist. Eine von denen, die hier Unterschriften sammeln, ist Felizitas Nestele, 20, Auszubildende. Sie sagt, sie werde übernommen, glücklicherweise. "Ich glaub', dass es irgendwie weitergeht."

Es ist ein Satz, wie man ihn in diesen Zeiten nicht nur bei Karstadt hört. Man kann ihn überall dort hören, wo die Krise Unternehmen trifft. Glauben, hoffen, darum geht es jetzt an so vielen Orten, in so vielen Branchen, weil derzeit niemand etwas wissen kann, zumindest nichts Genaues. Ungewissheit überall, die Fälle unterscheiden sich da auf den ersten Blick kaum noch, Nachrichten von taumelnden Firmen gibt es jeden Tag - und doch wird an diesem Dienstag wieder einmal klar, dass es hier nicht um Systeme geht, sondern in erster Linie um Menschen.

Kritik an Informationspolitik

Es sind Menschen wie Thomas Kmonicek, Mitarbeiter der Karstadtfiliale im Berliner Arbeiterbezirk Wedding. Er kann gerade kaum auseinanderhalten, ob er Zorn verspürt oder Resignation. Noch bis 13.10 Uhr hat er Kunden in der Elektronikabteilung beraten, so wie jeden Tag, an dem er hier ist, seit zwanzig Jahren. Um 13.11 Uhr kam die bittere Wahrheit per Eilmeldung, ein rotes Band, in weißer Schrift wurde nüchtern vermeldet: "Breaking News - Arcandor stellt Insolvenzantrag. Der Touristik- und Handelskonzern gibt den Kampf auf." Das sah man ausgerechnet auf dem Prunkstück der Abteilung, dem größten, flachsten und schärfsten Bildschirm.

Mittlerweile haben Thomas Kmonicek und seine Kollegen in der Elektroabteilung alle Bildschirme auf einen Nachrichtensender umgestellt, in bester HD-Qualität laufen nun minütlich die neuesten Wasserstände ein. Das kennen sie schon, sagen sie, die Informationspolitik des Hauses sei "traditionell schlecht". Von oben hat es, anders als versprochen, noch keine Nachricht an die Mitarbeiter gegeben.

Vor den Bildschirmen versammeln sich Mitarbeiter und Kunden, Trauben mit bleichen, betretenen Gesichtern. Kmonicek steht an einem Computer und schaut im Internet nach, wie er Insolvenzgeld beantragen kann. "Man fühlt sich so verloren", sagt eine Kollegin mit Bitterkeit in der Stimme. "Die Eigentümer haben das dicke Konto, uns lassen sie am ausgestreckten Arm verhungern." Thomas Kmonicek nickt. "Erst das große Geheule gegenüber der Bundesregierung, es geht um 56.000 Arbeitsplätze - und wenn es ans eigene Vermögen geht, dann ist das plötzlich nicht mehr wichtig." Dann macht er das, wozu er sich kaum mehr motivieren kann. Er kassiert, eine ältere Dame reicht ihm ihre dunkelblaue Kundenkarte: "Ich hoffe für Sie und für uns, dass es gut ausgeht", sagt sie.

"Auf Kampf eingestellt"

Hier können sie nur hoffen, entschieden worden ist die Sache anderswo: in Essen, Stadtteil Bredeney. Dort war es halb eins, als Gabriele Schuster vor der Arcandor-Zentrale noch tapfer Hoffnung verbreitet hat: "Die Tür ist noch einen Spalt offen", sagte die 59-jährige Betriebsrätin. Die Tür aber war innen drin, nur wenige Meter hinter ihr, zu diesem Zeitpunkt schon ins Schloss gefallen. Arcandor meldet Insolvenz an, das stand bereits fest. Die Meldung hatte sich dann in aller Welt schnell verbreitet, doch hier, im Nukleus des Geschehens, stand die Betriebsrätin Schuster und klammerte sich an ihren Irrglauben. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es nicht irgendwie noch eine andere Lösung als die Insolvenz geben soll", sagte sie.

Seit 41 Jahren arbeitet sie für Karstadt, seit 22 Jahren gehört sie dem Betriebsrat an. Wie soll man so etwas dann auch verstehen? "Wir sind total auf Kampf eingestellt", sagte Schuster. Sie stand beinahe genau an jener Stelle, an der am Tag zuvor Konzernchef Karl-Gerhard Eick auf eine rote Leiter gestiegen war, um den Mitarbeitern per Megafon Mut zuzusprechen. Die Beschäftigten applaudierten ihrem Chef, der Kampf aber war da schon längst verloren.

Und dennoch haben sie noch einmal gekämpft an diesem Dienstag, seit sieben Uhr am Morgen hat der Vorstand der Arcandor-Konzerns getagt, um über einen neuen Rettungsantrag für den Handelskonzern an die Bundesregierung zu beraten. Gut fünf Stunden lang kamen und gingen Mitarbeiter. Reden wollte niemand. Was hätten sie auch sagen sollen?

Im zweiten Teil: Warum Konzernchef Eick von den Mitarbeitern trotz Insolvenz gefeiert wird - und wie die Stimmung im Luxustempel Alsterhaus ist.

"Wir trauern nicht, wir kämpfen"

Es ist kurz nach halb eins, als sich die Nachricht von der Insolvenz dann wieder in den hellen Betonklotz schleicht, aus dem die Information kurz zuvor in die Welt entfleucht war. Drei Auszubildende der Hauptverwaltung knibbeln ein paar der Protestschilder von der zugeklebten Glasfassade. "Das Warenhaus lebt" steht auf den DIN-A3-Zetteln, die dutzendfach im Eingangbereich hängen, oder eben: "Wir sind ein Stück Deutschland". Das Stück wird nun womöglich in seine Einzelteile filetiert. Die jungen Frauen nehmen fünf der Schilder herunter und bekleben die Fassade neu: "Setzt uns nicht vor die Tür! Die Azubis der HV". In der Lobby fließen erste Tränen.

Drei Jahre zu spät

Um 13 Uhr ist es dann auch hochoffiziell. Karl-Gerhard Eick informiert die Mitarbeiter der Hauptverwaltung in der Kantine über den Gang zum Insolvenzrichter. "Eine positive, kämpferische Ansprache" sei es gewesen, sagt der Gelsenkirchener Frank Marienfeld. Eick habe Hoffnung vermittelt, erzählt Marienfeld, der seit 15 Jahren im Konzern arbeitet. "Und er sagt es so, dass wir es ihm glauben. Eick ist leider nur drei Jahre zu spät gekommen."

Es ist nicht so, dass die Mitarbeiter nicht wüssten, dass im Management ihres Unternehmens schon früher vieles schief gelaufen ist. Aber wenn dies das Kriterium für Staatshilfe sei, so Marienfeld, "dann hätten weder die Hypo Real Estate oder auch Opel Hilfe kriegen dürfen". Arcandor sei jetzt "das Bauernopfer. An uns wird ein Exempel statuiert." Er geht, traurig, aber auch "irgendwie erleichtert, dass die Unsicherheit jetzt weg ist". Andere sind nur wütend. "Der hier für Cordes und für Merkel", sagt einer. Er streckt dabei den Mittelfinger in die Luft. Es regnet.

Als es wenig später wieder aufgeklart ist, tritt Gesamtbetriebsrat Hellmut Patzelt vor die Tür. Er spricht von der großen Solidarität, den 1,3 Millionen Unterschriften von Kunden, dem Teamgeist der Belegschaft : "Wir trauern nicht", sagt Patzelt, "wir kämpfen." Er muss dann los, zurück in seine Filiale nach Fulda: "Ich will meine Leute jetzt einfach mal in den Arm nehmen."

Denn nun wird es darum gehen, für welche Mitarbeiter es weitergeht und für welche möglicherweise nicht. Karstadt ist ja nicht gleich Karstadt. Es gibt die eine Sorte Warenhäuser, in denen der Muff so vieler Jahre zu hängen scheint - und es gibt die Aushängeschilder, etwa das Hamburger Alsterhaus. Es gehört zur Karstadt Premium Group; in dieser Sondersparte hat die Karstadt-Quelle AG, heute Arcandor, vor drei Jahren ihre "profiliertesten Warenhäuser" zusammengefasst. Das Alsterhaus ist ein sehr altes Kaufhaus, seine Ursprünge gehen bis ins Jahr 1897 zurück. 1912 öffnete es, wo es noch heute steht, in der Mitte des Jungfernstiegs, an einem der nobelsten Plätze der Stadt. Mehrmals wurde es umgebaut, erweitert, verschönert. Hier konzentriert man sich auf höchste Qualität.

Eine große, offene Baustelle

"Vielen ist das Alsterhaus zu edel geworden", sagt der kleine, ältere Herr in Pullover und beiger Popeline-Jacke, der im Nieselregen vor dem Eingang wartet. Anwalt im Ruhestand ist er und trifft sich wie früher mit einem Kollegen im Alsterhaus - oben in der Weinbar, wo man zum Käseteller den richtigen Wein eingeschenkt bekommt. Seit den sechziger Jahren kommt er her. Er sagt, er habe das Warenhaus auch vor dem Umbau gemocht, als es noch mehr so aussah wie eine von vielen Karstadt-Filialen.

Mit einem normalen Kaufhaus hat die Premium-Filiale tatsächlich nichts mehr zu tun; außen wie innen regieren Eleganz und Weltläufigkeit. Es riecht dezent nach Parfüm und gegerbtem Leder. Die Damen im Erdgeschoss tragen alle Schwarz, so will es die Hausregel. Die Akustik ist gedämpft, leises Stimmengewirr ist zu hören und das Klacken von Absätzen auf dem schwarzen Steinboden. Zwei Stunden nach den ersten Meldungen über die Insolvenz herrscht Normalbetrieb. Der Betriebsrat kann nichts zu den Nachrichten sagen, er hat sie gerade im Radio gehört. Eine Stunde später hat ihn die Konzernzentrale informiert, auch darüber, dass es Interessenten für die Premium Group gebe. Man werde das Segment nur im Block abgeben, heißt es. Es fängt also schon an, das Ringen um die Zukunft; Arcandor ist nun endgültig eine große, offene Baustelle.

Die Baustelle auf der Frankfurter Zeil lärmt derweil weiter. Die letzten Takte von "I will survive" sind verklungen, als sich ein kleiner Bagger seinen Weg durch die Menge bahnt. Gerade ist er an der Karstadt-Filiale vorbei, an den Mitarbeitern mit ihren Schildern, da fängt es von neuem an, das gleiche Lied noch einmal. Es muss ja weitergehen. Irgendwie.

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