Karstadt in der Krise:Überleben oder sterben

Karstadt-Hauptverwaltung in Essen

Eine Fahne mit dem Logo der insolventen Warenhauskette Karstadt weht vor der Hauptverwaltung in Essen. 

(Foto: dpa)

Die Baumarktkette Praktiker hat einen Insolvenzantrag gestellt, vor einem Jahr wurde Schlecker abgewickelt. Und was wird aus Karstadt? Geschäftspartner und Mitarbeiter rätseln, was Eigentümer Nicolas Berggruen will. Drei Szenarien gibt es - von der Insolvenz bis zur Fusion mit dem Rivalen Kaufhof.

Von Christoph Giesen, Max Hägler und Stefan Weber

Was ist nur mit dem Handel los? Mit den großen, traditionsreichen Namen? Vor einem Jahr wurde Schlecker abgewickelt - die Drogerie, die jeder kannte. Am Donnerstag musste Praktiker einen Insolvenzantrag stellen - eine der großen Baumarktketten.

Und dann gibt es auch noch Karstadt: 1881 eröffnete Rudolph Karstadt das erste Geschäft in Wismar, damals noch unter dem Namen "Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft Karstadt". 1884 folgte das zweite Haus in Lübeck - und bald kamen viele weitere hinzu. Auch Thomas und Heinrich Mann kauften in jungen Jahren dort ein, sie gelten als Kunden der ersten Stunde.

Und heute? Da gehört Karstadt einem Mann, der auch einen Roman von Thomas Mann entsprungen sein könnte: Nicolas Berggruen - ein schillernder Kaufmann; ein spendabler Philanthrop; ein polyglotter Schöngeist.

Was für eine Geschichte.

Wie aber geht die Geschichte von Karstadt weiter? Was wird aus diesem Unternehmen, dessen Besitzer ein paar Mal gewechselt haben - und dessen Chefs sowieso? Erlebt Karstadt einen schleichenden Niedergang, so wie es Thomas Mann bei den Buddenbrooks beschrieben hat? Oder schafft Berggruen, der bisher nicht viel mehr als einen Euro in Karstadt investiert hat, doch noch die Wende?

Viele Zahlen sind alarmierend: Erst nach einem Bußgeldbescheid ließ das Management die Bilanz für das Geschäftsjahr 2011 in den Bundesanzeiger einstellen. Zwischen Oktober 2011 und Oktober 2012 machte die Gruppe dann einen Verlust von 250 Millionen Euro. Vor wenigen Wochen stürzte Karstadt-Chef Andrew Jennings das Unternehmen noch weiter in die Krise, zum Jahresende tritt der Brite ab. Warum? Viele in der Branche vermuten, dass er keine Chance mehr sah, Karstadt zu retten.

Gespannt warten nun alle auf den Nachfolger. Mal heißt es, Peter Wolff könne übernehmen: Von 2006 bis 2008 stand er schon mal an der Spitze. Auch Stefan Herzberg, ebenfalls ein früherer Karstadt-Chef, soll angeblich einspringen. Gelegentlich ist der Name Klaus Eierhoff ist zu hören - natürlich ein Ex-Vorstand.

Genaues weiß niemand. Bei so viel Geheimniskrämerei stellen inzwischen viele Mitarbeiter die Frage, wie es weitergehen wird. Wer auch immer Karstadt übernimmt, muss schnell eine Lösung finden für die Krise. In der Handelsbranche werden derzeit im Wesentlichen drei Szenarien diskutiert - zu denen Karstadt allerdings keine Stellung nimmt:

Szenario 1: Alles wird gut

Szenario 1: Alles wird gut

Die erste Möglichkeit ist, dass der "Marathon", wie ihn Noch-Chef Jennings nennt, einfach so zum Ziel führt. Viele halten das für unwahrscheinlich. "Es sieht schlimm aus", sagen Leute, die Einblick in die Zahlen haben. Für jeden Euro Umsatz musste Karstadt im vergangenen Geschäftsjahr acht Cent drauflegen. "Um Karstadt noch zu retten, muss kräftig investiert werden, vor allem in die Häuser und das veraltete Warenwirtschaftssystem. Dafür sind mit Sicherheit mehr als 300 Millionen Euro notwendig", sagt Rainer Nagel, er ist Partner bei der Beratungsgesellschaft Atreus. Wenn der Investor Berggruen sein Portemonnaie nicht endlich öffnet und die Geschäfte so mäßig laufen wie bisher, dann werde das Geld, nach Ansicht vieler Karstadt-Kenner, nur noch bis zur Jahresmitte 2014 reichen, allenfalls bis zum Herbst.

Der andauernde "Wow-Sale", all die Rabattverkäufe also, lassen vermuten, dass Karstadt auf großen Warenbeständen sitzt und Geld benötigt. Das Management dementiert entschieden. Spekulationen über eine drohende Insolvenz seien "unverantwortlich", heißt es immer wieder. Aber es ist nicht nur das Geld.

Auch die Belegschaft macht Ärger: Zugeständnisse im Wert von 650 Millionen Euro haben die Beschäftigten in den vergangenen Jahren gemacht, rechnet die Gewerkschaft Verdi vor. Jetzt fordert das Management eine neue Sparrunde - das Aussetzen der Tariferhöhung für zwei Jahre. Die Reaktion: Streiks, Frust, Pfiffe gegen Berggruen, wenn er denn mal in Deutschland auftritt. Wie lässt sich eine solche Belegschaft ohne einen großen Schwenk, ohne ein Zeichen des Eigentümers jemals wieder motivieren und auf ein Ziel einschwören?

Szenario 2: Das Ende

Szenario 2: Das Ende

Vielleicht will ja in Essen oder in New York, wo der Aufsichtsratschef Jared Bluestein, einer von Berggruens Adjutanten, sitzt, niemand mehr Karstadt ernsthaft retten - das wäre ein weiteres denkbares Szenario. Vielleicht lautet der Auftrag an den neuen Chef, die Firma zu zerschlagen und abzuwickeln. Etwa nach dem Muster, über das Handelskreise bereits seit Berggruens Einstieg spekulieren: über einen Verkauf der drei Premiumhäuser (Das KaDeWe in Berlin, das Alsterhaus in Hamburg und der Oberpollinger in München) sowie der 28 Sporthäuser. Für diese Objekte dürfte sich rasch ein Käufer finden lassen.

Organisatorisch wäre ein solcher Deal ebenfalls zügig machbar. Berggruen hat die Premium- und Sporthäuser früh in eigene Gesellschaften überführt. Übrig blieben dann die 86 traditionellen Warenhäuser, darunter viele Standorte, denen Fachleute keine Überlebenschance geben. Gerd Hessert gehört dazu. Er ist Immobilienunternehmer und war früher Direktor für Planung bei Karstadt, heute ist er Lehrbeauftragter für Handel an der Universität Leipzig, er hält nur etwa 40 Filialen für zukunftsfähig.

Im Paket lassen sich die 86 traditionellen Häuser somit nicht verkaufen, die derzeit wohl teilweise quersubventioniert werden. Kein Finanzinvestor und wohl auch niemand aus der Branche wird solch ein Abenteuer eingehen, denn Standorte zu schließen, ist teuer. Hessert taxiert die Kosten für mögliche Sozialpläne, mögliche Sonderabschreibungen und Mietentschädigungen auf fünf bis zehn Millionen Euro - und das pro Standort.

So zynisch es klingen mag: Mit einer Insolvenz ließe sich das preiswerter erledigen. Da können Mietverträge gekündigt werden und auch Mitarbeiter. Allerdings sagen Geschäftsleute, die mit Berggruen zu tun haben, dass er schlechte Nachrichten "hasse". Berggruen, der Deutsch-Amerikaner, der in Hotels lebt, will wohl weiter als Philanthrop wahrgenommen werden. Ein "Gegen-die-Wand-Fahren", eine Zerschlagung, die viele Scherben hinterlässt, wäre für seinen Ruf schädlich. "Er wird eine Lösung suchen, die sein Retter-Image zumindest halbwegs intakt lässt", sagt einer, der ihn kennt.

Szenario 3: Die Fusion

Szenario 3: Die Fusion

Der Konkurrent Kaufhof macht vor, dass der Markt konsolidiert werden muss, was übrigens auch Gewerkschafter mitunter eingestehen: Vier Filialen hat Kaufhof im vergangenen Jahr geschlossen, drei weitere sollen folgen. Auch deswegen steht weiter im Raum, dass die grüne Gruppe (Kaufhof) und die blaue Konkurrenz (Karstadt) irgendwann zusammenfinden. Der direkte Weg - die Übernahme des einen durch den anderen und dann die Schließung der doppelt belegten, unrentablen Standorte - wird derzeit offenbar nicht beredet, auch weil die Metro-Tochter Kaufhof auf Beständigkeit setzt: Seit bald 20 Jahren führt Lovro Mandac die Kette und erwirtschaftet eine Umsatzrendite von vier Prozent.

Spekuliert wird indes über eine Konsortiumslösung, ein drittes Unternehmen quasi, in die Karstadt wie Kaufhof ihre Geschäfte einbringen - gesichtswahrend und lukrativ für beide. Wobei Kaufhof angesichts seiner vergleichsweise stabilen Lage auch warten kann auf ein mögliches Schlingern seines Essener Konkurrenten: Es ist wie bei einer Frucht, sagen manche: Irgendwann ist sie reif, fällt vom Baum und vielleicht sogar in den Schoß von Kaufhof.

Was ist nun das wahrscheinlichste Szenario? Der Einzige, der es erklären kann, wäre Berggruen. Er beschreibt sich als guter "Hirte". Doch Leute, die ihn persönlich erlebt haben, sagen: "Er ist ein Mensch, der Geld verdienen will und gut angesehen werden will. Ganz einfach. Nicht mehr."

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