Karstadt:Alles muss raus

Karstadt in Hamburg-Billstedt

Der Karstadt in Hamburg-Billstedt. Die Filiale soll Mitte 2015 geschlossen werden.

(Foto: dpa)

Der neue Karstadt-Eigentümer René Benko will sechs Häuser schließen, 2000 Jobs sind in Gefahr. Die Mitarbeiter reagieren geschockt auf die Pläne. Und sie müssen sich auf weitere Einschnitte gefasst machen.

Von Kirsten Bialdiga, Josef Kelnberger und Kristina Läsker, Essen, Stuttgart, Hamburg

Barbie Ballerina ist aus. Wo vor Kurzem noch ein rosa Paket samt Blondine im Ballettkleid stand, klafft eine Lücke im Regal. Es ist eine von vielen Lücken im Untergeschoss von Karstadt in Hamburg-Billstedt. Über den Puppen hängt ein rotes Schild mit weißer Schrift: Sale. Seit Freitagfrüh haben diese roten Schilder - und es sind viele - etwas Bedrohliches. Morgens gleich hatte Filialleiter Michael Vollmar in Billstedt der Belegschaft angekündigt, dass diese Filiale Mitte 2015 dichtmachen wird.

Seither wissen die 75 Mitarbeiter am Ort, dass nicht nur Puppen, Pralinen und Daunenjacken in Billstedt im Ausverkauf sind. Auch sie müssen bald raus.

"Schmerzliche Entscheidungen"

Das gilt nicht nur für Hamburg-Billstedt. Am Tag nach der mit Spannung erwarteten Aufsichtsratssitzung wird ein wenig deutlicher, welche Pläne das Management um den neuen Karstadt-Eigentümer René Benko für den Warenhauskonzern verfolgt. Und das lässt zunächst nichts Gutes vermuten: Bis Mitte nächsten Jahres sollen sechs Filialen schließen. Neben dem Warenhaus in Hamburg-Billstedt trifft es auch den Standort in Stuttgart. Bei den übrigen vier Häusern handelt es sich um Schnäppchenmärkte in Frankfurt/Oder und Paderborn sowie um die Junge-Mode-Ableger "K-Town" in Köln und Göttingen. Rund 350 Beschäftigte sind allein davon betroffen.

Der neue Karstadt-Chef Stephan Fanderl, bisher Aufsichtsratsvorsitzender, nannte die Schließungen in der Mitteilung "schmerzliche Entscheidungen", die aber angesichts der Lage von Karstadt wirtschaftlich notwendig seien. Es sei ein "bitterer Tag" für die Beschäftigten, hieß es hingegen bei der Gewerkschaft Verdi. Sie würden erneut für Managementfehler der vergangenen Jahre "bestraft".

"Bitte sprechen Sie die Mitarbeiter nicht an"

Wie bitter der Tag für die Beschäftigten ist, lässt sich in Hamburg-Billstedt erahnen. Dort ist Karstadt in einem Einkaufszentrum untergebracht: eine kleine Filiale mit drei Etagen und wenig Fläche. Nebenan ist ein Media-Markt, gegenüber eine Thalia-Buchhandlung und ein Pralinenladen. Sie alle haben fast das gleiche Sortiment, aber eine größere Auswahl. Journalisten, die sich mit Karstadt-Verkäuferinnen über die Schließung unterhalten wollen, haben es schwer. Gleich am Eingang steht Filialleiter Vollmar. "Bitte sprechen Sie die Mitarbeiter nicht an", sagt er höflich. Dann schickt er einen Sicherheitsmann hinterher, einen Schatten, der ein paar Meter hinter einem klebt. Rolltreppe hinauf zur Wäsche, wieder hinunter zu den Schreibwaren und hinab zum Spielzeug. Der Schatten wandert mit.

Dafür fragen die Kunden umso beherzter nach. Eine ältere Frau spricht eine Kassiererin an. Und deren Miene verändert sich schlagartig. "Das haben andere entschieden, die ganz Schlauen da oben", schimpft sie leise. Aus den Worten ist die Wut zu hören, dass nun der eigene Job futsch ist - und das Unverständnis, dass "die da oben" es seit Jahren nicht schaffen, Karstadt und seine Häuser zu retten.

Warenhäuser ohne Kundenberatung?

Auch Arno Peukes ist verärgert. Der Karstadt-Aufsichtsrat, der für die Gewerkschaft Verdi auch die Tarifverhandlungen führt, sieht sich vom Management in die Irre geführt. "Noch am Dienstag war nicht die Rede davon, dass es konkrete Pläne gibt, sechs Filialen zu schließen", sagte er der Süddeutschen Zeitung am Freitag. In der Aufsichtsratssitzung seien die Arbeitnehmervertreter vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Das sei kein gutes Signal an die Beschäftigten.

Doch es drohen noch härtere Einschnitte. Gegen den Widerstand der Arbeitnehmerseite habe der Aufsichtsrat beschlossen, 2000 Stellen bei Karstadt auf den Verkaufsflächen und in der Zentrale abzubauen, sagte Peukes. "Ein Warenhaus lebt von der Beratung der Kunden. Das passt nicht zusammen mit den Plänen, Tausende Stellen abzubauen." Eine Schließungsliste über eine bestimmte Anzahl von Häusern gebe es zwar noch nicht. In den vergangenen Wochen habe aber das Management immer wieder deutlich gemacht, dass 23 der 83 Warenhäuser Verluste schrieben, die auf Dauer nicht hinnehmbar seien.

Bis zu zehn Filialen haben wohl keine große Zukunft

Zwei Dutzend Häuser zu schließen, das dürfte den österreichischen Immobilieninvestor Benko mindestens 200 Millionen Euro kosten, rechnen Handelsexperten vor. Dass Benko allein für die Sanierung so viel Geld in die Hand nehmen wolle, sei unwahrscheinlich, heißt es in der Branche.

So spricht der neue Chef Fanderl auch lieber von acht bis zehn Filialen, für die es "standortindividuelle Lösungen" geben müsse. Die also wohl keine große Zukunft mehr haben. "Wir sprechen etwa mit den Vermietern, ob es alternative Nutzungen für den Standort gibt und eine Chance besteht, früher aus den laufenden Mietverträgen herauszukommen", sagte er in einem Interview mit dem Handelsblatt.

Den größten Sanierungsbeitrag erbringen die Arbeitnehmer

Bis in die Nacht hinein diskutierte der Aufsichtsrat am Donnerstag das geplante Sanierungskonzept. Danach stand eines fest: Der größte Beitrag wird auf die Arbeitnehmer entfallen. "Zum Sanierungskonzept sollen die Beschäftigten 40 Prozent beitragen, durch Stellenabbau und Einschnitte bei der Bezahlung", sagte Peukes. Einsparungen bei Sachkosten würden dem Konzept zufolge mit etwas weniger als 40 Prozent zu Buche schlagen. Der Rest solle aus dem laufenden Geschäft kommen. Zudem will Benko in den 17 Häusern, die ihm gehören, auf Mieterhöhungen vorläufig verzichten. Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe habe Benko erst nach erfolgreicher Sanierung ab 2017 in Aussicht gestellt, sagte Peukes.

Wenn alles nach Plan läuft, könnte das Karstadt der Zukunft so aussehen: In größeren Städten kann der Kunde in "Erlebnishäusern" shoppen, die mit Aktionen und vielfältigem Angebot locken. In kleineren Städten gehe es um die Dinge des täglichen Bedarfs. Lebensmittelabteilungen, Restaurants, Coffeeshops und Friseure - all das soll künftig wieder bei Karstadt zu finden sein. Allerdings nicht unter der Regie des Konzerns - fremde Mieter könnten in die Häuser einziehen. In Stuttgart können sie über diese Pläne nur müde lächeln.

"Diesmal ist das Schlimmste gekommen"

Michael Markowsky, der Betriebsratsvorsitzende, sitzt am Freitagnachmittag sehr gefasst in seinem Büro. Tags zuvor hatte das Haus schon um 18 Uhr geschlossen, die Mitarbeiter wurden in die Kantine gebeten. Markowsky sagt: "Der Mensch stellt sich ja immer das Schlimmste vor, damit er hinterher sagen kann: Gott sei Dank alles halb so wild. Aber diesmal ist das Schlimmste gekommen." Im Juni 2015 soll das Haus geschlossen werden. Die Mitarbeiter waren enttäuscht, wütend, schockiert. Eine Gruppe, um die 25 Leute, ging zusammen einen trinken, am Ende herrschte Galgenhumor.

Und nun? "Und nun?", fragt Markowsky zurück und atmet tief durch.

Sie wollen die Politik um Unterstützung bitten, sie wollen protestieren. Zuletzt hatte man ihnen noch erzählt, die Stuttgarter Filiale entwickle sich gut, besser als erwartet, besser als der Rest von Karstadt. Natürlich haben zuletzt zwei riesige Shopping Malls in der City eröffnet, das Gerber und das Milaneo, die Konkurrenz ist riesig geworden. Aber diese Lage: Königstraße, Ecke Schulstraße, nahe am Schlossplatz, in Stuttgart gibt es keine bessere. Man argwöhnt, Benko wolle mit dem Standort anderweitig Reibach machen, auf Kosten der Belegschaft. Über eine neue Mall wird spekuliert.

Markowsky, 58 Jahre alt, ist seit 43 Jahren im Unternehmen, ein Karstadt-Mann mit Leib und Seele und insofern typisch für die Belegschaft in Stuttgart. Die 200 Beschäftigten des Hauses sind im Schnitt 46 Jahre alt. "Treue Karstadt-Leute", sagt Markowsky. Das Ende? Sie wollen es noch nicht wahrhaben.

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