Süddeutsche Zeitung

Karlsruhe zu Kinderarmut:Hartz, aber fair

Jedes siebte Kind in Deutschland lebt in Armut. Karlsruhe verhandelt nun über die Hartz-IV-Sätze für Kinder - und kann ein wichtiges Signal an die Bedürftigen senden.

Felix Berth

Die meisten Menschen, die den Satz in ihrer Jugend hören mussten, haben ihn gehasst: "Ihr sollt es einmal besser haben als wir." So redete die Mutter, wenn sie Bescheidenheit von sich und den Kindern verlangte. So redete der Vater, wenn er mehr Disziplin bei den Hausaufgaben erwartete. Und so redeten die Großeltern, wenn sie die Sparsamkeit der Gegenwart verteidigten, die doch nur dem künftigen Wohlstand dienen würde.

Stets hatte dieser Satz der Älteren einen mahnenden Unterton: Für euch Jüngere halten wir uns zurück, dafür sollt ihr fleißig und dankbar sein. Es war ein lästiger Appell, dem der Nachwuchs in den achtziger Jahren rotzig entgegenhielt: "Sie wollen nur unser Bestes, aber das kriegen sie nicht."

Wie wichtig der Satz von der besseren Zukunft trotzdem ist, lässt sich erst ermessen, wenn er in vielen Familien gar nicht mehr ausgesprochen wird, weil das Grundgefühl dort ein anderes ist: "Ihr werdet es nicht besser haben als wir."

Fehlender Glaube an die bessere Zukunft

Das sagen Eltern zwar selten laut zu ihren Kindern, aber im Deutschland des Jahres 2009 gibt dies die Stimmung in etlichen Familien wieder - dort, wo Arbeitslosigkeit den Alltag prägt und das Geld von den Sozialbehörden kommt.

Wer Brot und Gemüse bei einer von vielen hundert caritativen Essensausgaben holt, wer seine Kinder gelegentlich zum Fastfood-Lokal und manchmal ohne Frühstück in die Schule schickt, glaubt nicht daran, dass der Nachwuchs es irgendwann besser haben wird.

Natürlich, die Mehrheit der deutschen Kinder wächst nicht unter solchen Umständen auf. Die meisten haben wohlwollende und auch finanziell halbwegs wohlhabende Eltern.

Doch es ist eine viel zu große Minderheit: Jedes siebte Kind in Deutschland lebt von Hartz IV, weil seine Eltern keine Jobs haben; jedes zwölfte Kind verlässt die Schule ohne Abschluss. Beides hängt zusammen: Zwar schafft ein Teil der armen Kinder den Auf- und Ausstieg aus schwierigen Verhältnissen. Doch der größere Teil steckt fest - in der Chancenlosigkeit und dem Gefühl, dass überall unüberwindliche Grenzen stehen.

Auf eine Kindheit in Armut folgen oft Erwachsenenjahre in schlecht bezahlten Jobs. Und bald werden aus den Betroffenen dann Eltern, die die Armut an ihre eigenen Kinder weitergeben. "Soziale Vererbung" nennen dies die Sozialwissenschaftler.

Nun lassen sich gute Perspektiven und eine Grundstimmung der Sicherheit nicht staatlich verordnen; auch in Sachen Lebensgefühl der Jugend sollte man den Einfluss der Politik nicht überschätzen.

Doch wenn das Bundesverfassungsgericht nun über die Hartz-IV-Sätze für Kinder verhandelt und - was zu erwarten ist - Korrekturen verlangt, dokumentiert dies das Versagen der Politik: In Städten wie Berlin, Halle und Kiel lebt jedes dritte Kind von staatlichen Zahlungen; hier ist Kinderarmut zu einer Normalität geworden, die man bloß übersehen kann, wenn man in einer wohlhabenden Region des Landes lebt.

Andere Industrienationen haben diese Schwierigkeiten ebenfalls; sie entstehen, weil der klassische Sozialstaat auf moderne Risiken nicht reagiert: Partnerschaften sind nicht mehr so stabil wie früher, weshalb die Zahl der Alleinerziehenden steigt. Sie haben schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt, und mit ihren Kindern gehören sie zur typischen Kundschaft der Sozialämter.

Auch der Arbeitsmarkt ist für die Jüngeren riskanter geworden: Wer zur "Generation Praktikum" gehört, muss mit unsicheren und niedrigen Einkommen leben - ein Trend, der sich verschärfen wird, wenn die neue Regierung die Regeln für befristete Jobs lockert. All das lässt Biographien der jungen Erwachsenen brüchig werden, manchmal mit fatalen Folgen für Töchter und Söhne.

"Du gehörst dazu"

Damit die Kinder von heute nicht die Armen von morgen sind, braucht es eine ökonomisch wie psychologisch kluge Politik. Wichtig ist der Ausbau der Kitas, denn die beste Versicherung gegen Kinderarmut ist die Erwerbstätigkeit der Mütter.

Nötig ist eine moderate Erhöhung des Hartz-IV-Satzes, denn mit 251 Euro monatlich können Eltern einen Zwölfjährigen nicht vernünftig großziehen. Wenn das Verfassungsgericht dies korrigieren lässt, ist das auch eine Botschaft, die die Betroffenen bisher selten bekommen: Ihr gehört dazu, ihr werdet nicht von der Politik übersehen, denn dieses Land blickt nicht bloß auf seine wohlhabenden Eltern, die von den Kinderfreibeträgen profitieren.

"Du gehörst dazu" - dieses Signal wäre so wichtig für viele Kinder, die heute an den Grenzen scheitern: Du gehörst zu denen, die eine exzellente Kita besuchen, auch wenn deine Eltern nicht in einem schicken Stadtviertel leben.

Du gehörst zu denen, die in der Mittagsbetreuung der Schule garantiert etwas zum Essen kriegen, auch wenn die Regelsätze des Sozialamtes das nicht vorsehen.

Du gehörst zu denen, die bei den Hausaufgaben professionell unterstützt werden, auch wenn das bisher nur in Familien der Mittelschicht üblich ist.

Du gehörst zu denen, die eine Fahrkarte zum Gymnasium kriegen, falls deine Noten gut genug sind.

Nur solche Signale helfen den Kindern, den einen, wichtigen Glauben zu entwickeln: dass es ihnen eines Tages besser gehen kann als ihren Eltern.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2009/jab/pak
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