Kapitalismuskongress des DGB:Alles, was schlecht ist

"Umdenken, gegenlenken": Gewerkschafter diskutieren in Berlin über den Kapitalismus - finden jedoch auch keine Alternative.

Detlef Esslinger, Berlin

Es ist die Frage, die in der Luft liegt, seit Monaten schon. Und auch hier im Saal scheint sie mehr oder weniger jedem durch den Kopf zu gehen, zumindest wenn man vom Lachen der Zuhörer auf ihre Gedanken schließt. Deutlicher als jetzt könne die Krise ja kaum noch werden, sagt der Moderator, und fügt dann an: "Müsste das für Gewerkschaften nicht die Chance überhaupt bedeuten?"

IG Metall, Kind, Fahne, Maikundgebung, Remscheid, dpa

Kind mit Fahne der IG Metall bei einer Maikundgebung in Remscheid: Die Krise als Chance - oder doch nicht?

(Foto: Foto: dpa)

Die Frage ist ein bisschen rhetorisch, denn natürlich finden die Menschen hier im Saal, dass sie im Grunde schon immer recht gehabt haben; sie spüren aber auch, dass es nicht sie sind, die die öffentlichen Debatten bestimmen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Dachverband von acht Einzelgewerkschaften, gilt nicht unbedingt als die wichtigste Inspirationsquelle der deutschen Arbeitnehmerschaft; insofern ist diese Veranstaltung einfach mal überfällig. "Umdenken, gegenlenken", das ist das Motto beim "DGB-Kapitalismuskongress" in Berlin.

Der Steuerzahler zahlt die Rechnung

Warum es zur Krise gekommen ist, darüber herrscht Einigkeit unter den Rednern. Der Vorsitzende Michael Sommer sagt, die Politik, die den "ungebremsten Marktradikalismus" ermöglicht habe, sei am Ende. Der Brite Sony Kapoor, der seine Karriere als Investmentbanker bei Lehman Brothers begann und heute einen Think-Tank in London und Oslo leitet, sagte, wenn Banken eine Rendite von 25 Prozent erstrebten, werde es am Ende immer der Steuerzahler sein, der die Rechnung zahlt.

Heiner Flassbeck, Chefökonom der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (Unctad) in Genf, sagt, die Banker hätten sich in den vergangenen Jahren auf Spielfeldern rumgetrieben, auf denen sie nichts zu suchen hätten. Und wiederum Kapoor fügt an, es sei wohl vergessen worden, dass man Finanzen nicht essen könne - und dass Banken aus dem Grund nicht herrschende, sondern dienende Funktion hätten: indem sie der produzierenden Wirtschaft das Geld zur Verfügung stellen.

Spekulation "eindämmen"

Alles gut und wahr; nur dass es jetzt darauf ankommt, mit eigenen Vorschlägen wahrgenommen zu werden. "Wir können uns nicht nur analytisch mit der Krise auseinandersetzen, sondern sind auch praktisch gefordert", sagt der DGB-Chef. Ihm gefällt nicht, in welcher Reihenfolge die große Koalition agiert: Bad Banks zu beschließen, ohne erst den Finanzmarkt neu reguliert zu haben. "Wir müssen alles tun, dass die Verursacher der Krise nach einer kurzen Überwinterungsphase weitermachen können wie früher", sagt Sommer. Er schlägt vor, die Eigenkapitalregeln zu "überprüfen", der Neuverpackung von Krediten "einen Riegel vorzuschieben" sowie, mit Hilfe von Finanztransaktionssteuern die Spekulation "einzudämmen".

Das sagt er in seiner Eröffnungsrede, anschließend bleibt es, in seiner Diktion, nicht immer praktisch; vielen Rednern geht es darum, sich Luft zu verschaffen. Als treibende Kräfte gelten vielen Gewerkschaftern die Pensionsfonds, die als Finanzinvestoren für überzogene Renditevorstellungen in Unternehmen verantwortlich waren. "Wo sind heute die Menschen, deren Namen die Produkte tragen?", sagt Heide Pfarr, die Chefin der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung, "Herr Riester" also. So lange die nicht zugäben, dass sie sich geirrt hätten, so lange sei sie sehr pessimistisch, "dass es eine wirkliche Änderung gibt". Beifall, na klar.

Aber auch Sony Kapoor, der Ex-Banker, hat noch etwas zu sagen. Einen Rat an seine heutigen Freunde, sozusagen. Es sei ja inzwischen allgemein bekannt, wogegen Redner wie er und andere seien. "Aber gescheitert sind wir bei der Aufgabe, zu erklären, wofür wir Progressive sind." Die Arbeit daran wird an diesem Freitag fortgesetzt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: