Kapitalismus mit Maß:Das Leben danach

Der Kapitalismus erscheint vielen wie ein großer Spielzeugladen: Die Waren sind bunt, das Angebot uferlos. Und der Mensch offenbart sich, wie er ist: maßlos.

Alexandra Borchardt

Wer zum ersten Mal mit kleinen Kindern einen großen Spielzeugladen besucht, wird dieses Erlebnis so schnell nicht wiederholen wollen. Lassen Tretautos, Bausteinstapel und Plastikritter am Anfang noch die Augen leuchten, endet der Ausflug meist im Zorn. "Das will ich auch", wird der junge Erdenbürger schimpfen und zuweilen unter Tränen aus dem Geschäft gezerrt werden müssen. Ein paar Jahre später klappt der Versuch schon besser. "Dann wünsch' ich mir das zum Geburtstag", sagt das Kind.

Für einen Kapitalismus mit Maß und Ideen

Damit die Kasse auch in Zukunft klingelt gilt es Maß zu halten.

(Foto: Foto: ddp)

Die Fähigkeit, Maß zu halten, ist eine Kulturleistung, ohne die Gesellschaften nicht funktionieren. Das Kleinkind beherrscht sie noch nicht, vernünftige Eltern bringen sie ihm bei. Und doch wird die Fähigkeit immer wieder auf die Probe gestellt, vor allem, wenn der Spielzeugladen sehr groß ist. Auch der Kapitalismus erscheint vielen wie ein großer Spielzeugladen. Die Waren sind bunt, das Angebot ist schier uferlos. Und der Mensch offenbart sich, wie er ist: maßlos.

Das gilt für den Aufschwung wie für die Krise. Geht es bergauf, muss es von allem immer noch ein bisschen mehr sein: mehr Rendite, ein paar Prozentpunkte mehr Zinsen, ein höheres Gehalt. Und geht nicht doch noch ein größeres Haus, die Übernahme eines größeren Konkurrenten? Irgendwann, wenn aus dem Aufschwung Überschwang geworden ist, kommt die Krise. Und mit ihr neue Maßlosigkeit.Plötzlich können sie nicht groß genug sein, die Konjunkturprogramme, alle mögen bitte konsumieren, was das Zeug hält, wer jetzt nicht nach Subventionen ruft, ist selber schuld. Haushalten zum Wohl kommender Generationen? Konsumverzicht zum Wohl der Ökologie? Vergessen. Weltweit streifen politisch Verantwortliche derzeit diese Prinzipien ab wie einen unbequemen Anzug. Sie müssen Endzeitstimmung spüren. Denn offenbar macht es ihnen nichts mehr aus, nackt dazustehen, wenn die Schulden unbezwingbar geworden sind.

Es ist die Stunde der Untergangspropheten. Die einen überbieten sich mit Negativ-Szenarien zur Wirtschaftsentwicklung. Die anderen beerdigen gleich den Kapitalismus als Ganzes. Der Markt habe versagt, sagen sie. Weil sie sich ein System erträumen, bei dem es zu jeder Zeit nur Gewinner gibt. Dabei funktioniert der Markt: Er korrigiert brutal, was unvorstellbar aus dem Ruder gelaufen war. Durch Maßlosigkeit.

Doch es gibt ein Leben danach. Und es wird ein Leben mit mehr Kapitalismus sein. Es ist abzusehen, dass sich viele Staaten mit ihren Schulden so strangulieren werden, dass der Weg aus der Krise nur mit mehr Marktwirtschaft zu schaffen ist. Wenn der Staat eine Aufgabe hat, ist es jene, die Entwicklung der Märkte intelligent zu steuern. Das Ziel muss sein, die Wirtschaft zukunftsfähig zu machen, also so auszurichten, dass sie kommende Generationen ernährt und dabei die natürlichen Grundlagen erhält. Wachstum wird dafür gebraucht, es ist aber kein Wert an sich. Auf die Qualität des Wachstums kommt es an.

Blind den Konsum zu unterstützen, das ist schlechte Politik. Oder wollen wir wirklich, dass Autofahrer wieder hemmungslos Geländewagen ordern? Dass sich alle 39 Millionen deutschen Haushalte einen neuen Kühlschrank bestellen? Selbst wenn neue Geräte weniger Strom verbrauchen: Deren Herstellung verschlänge so viel Energie und Material, dass die Ökobilanz negativ wäre.

Es könnte schlecht aussehen für einige Sieger von gestern, die Banken- und die Autobranche vorneweg. Für die Menschen, die dort arbeiten, ist das schlimm. Etliche werden neue Arbeit suchen müssen. Es gilt deshalb, die Sieger von morgen zu finden - mit Ideen, Initiativen und Investitionen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum die Politik konsequent Existenzgründer fördern sollte.

Das Leben danach

Bedarf für neue Produkte, Einrichtungen und Dienstleistungen gibt es reichlich. Es reicht ein Blick auf die Herausforderungen unserer Zeit: Da geht es um umweltverträgliche Energieversorgung, Mobilität und Siedlungsstrukturen, um die alternde Gesellschaft, um die Entwicklung benutzerfreundlicher Technologien, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, und natürlich um Bildung. All diese Felder haben Innovationen nötig.

Der Staat wird diese nicht bieten können, er kann nur Anreize setzen. Eher als den Konsum sollte die Politik deshalb Existenzgründer fördern. Sie haben es angesichts der Kreditklemme besonders schwer, aber es sind nun einmal vor allem Unternehmer, die Arbeitsplätze schaffen. Die Freude daran, aus einer Idee ein Geschäft zu machen, ließe sich schon in der Ausbildung wecken - auch wenn einige auf Lebenszeit verbeamtete Lehrer und Professoren da über einen großen Schatten springen müssten.

Immerhin, viele kluge und leistungsfähige Menschen müssen sich demnächst neue Aufgaben suchen. Vielleicht könnten einige ihre Tatkraft in Geschäfte umlenken, die zukunftsfähiges Wachstum fördern. Vielleicht gibt es ja in den Chefetagen noch den einen oder anderen Shai Agassi, den ehemaligen SAP-Vorstand, der Elektroautos zu seiner Mission gemacht hat. Daraus könnte dann der eine oder andere Bill Gates oder Dietmar Hopp werden, die Gründer von Microsoft und SAP, die Millionen ihres Vermögens in soziale Projekte oder Wachstumsbranchen investieren. Neue Unternehmer sollten aber mindestens drei Dinge beherzigen: Nur in Dinge investieren, die sie verstehen. Von der Leistungskraft, die ihnen gegeben ist, der Gesellschaft etwas zurückgeben. Und Maß halten.

Der Staat wiederum kann investieren und steuern. Aber die Kraft für einen neuen Aufschwung muss von den Menschen kommen.

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