Süddeutsche Zeitung

Kanzlerin Merkel verstimmt Wirtschaft:Von Kritikern umgeben

Eiszeit zwischen der Kanzlerin und ihren einstigen Unterstützern: Mächtige Wirtschaftsbosse verstärken den Druck auf Angela Merkel und fordern ein Ende des Zögerns.

Markus Balser

Sie legt nicht nach. Nicht einmal nach diesem Eklat. Fünf Monate nach der Wahl herrsche Orientierungslosigkeit in Deutschland, hatte BDI-Chef Hans-Peter Keitel Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der ganzen Bundesregierung Anfang der Woche vorgeworfen.

Einer der mächtigsten Wirtschaftsvertreter legte sich per Zeitungsinterview mit der Bundeskanzlerin an und warf ihr Konzeptlosigkeit und handwerkliche Fehler vor - eine Ohrfeige, die ein Raunen durch die Republik schickte. Verbissen wie lange nicht mehr, beharkt sich die deutsche Wirtschaft derzeit mit ihrer schwarz-gelben Wunschkoalition.

Der Terminkalender meint es nicht gut

An den Krach in der Koalition hatte sich Merkel schon fast gewöhnt. Die Kritik in den Medien ist zur Gewohnheit geworden. Doch dass die deutsche Wirtschaft zur Opposition wird - das hatte es für die Union seit Jahren nicht gegeben.

Am Freitag meinte es ihr Terminkalender nicht gut mit Merkel. Auf der Pressekonferenz zum Spitzengespräch der Wirtschaft saß sie Seite an Seite mit ihrem Kritiker. Kaum ein Gemütszustand, sagte die Körpersprache der Kontrahenten, kann eine Beziehung so nachhaltig stören wie enttäuschte Liebe.

Das Lächeln, das sie sonst auf Dienstreisen trägt, war verschwunden. Es herrschte Eiszeit zwischen der Kanzlerin und ihren einstigen Unterstützern. Wie sich das anhört? "Ich betrachte die Kritik als Ansporn", sagte Merkel und presste zwei schmale Lippen aufeinander.

Von Entspannung nichts zu hören

In München ist von der in Berlin erhofften Entspannung nichts zu hören. Die Reformen zu zögerlich angepackt, zu hohe Schulden, zu viel Streit in der Koalition: Die führenden Wirtschaftsverbände legen im traditionellen Spitzengespräch der Deutschen Wirtschaft am Rande der Handwerksmesse in München nach und erhöhen den Druck auf Kanzlerin Merkel.

Schon vor der Aussprache veröffentlichen die großen Wirtschaftsverbände - der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) - in einer gemeinsamen Erklärung eine Neuauflage der Kritik.

Nicht schnell genug

Die Chefetagen der Wirtschaft gehen erneut hart mit dem zögerlichen Regierungskurs ins Gericht. Seit gut vier Monaten ist die Bundesregierung nun im Amt. Steuerreform, Kampf gegen die Kreditklemme, Umbau in Gesundheitswesen und Sozialstaat - überall geht es den einstigen Unterstützern der Kanzlerin nicht schnell genug.

Dabei würden die Probleme, so die Verbandsbosse, immer drängender. "In der Öffentlichkeit hat sich auch wegen der stabilen Arbeitsmarktentwicklung das Bild eingestellt, die Krise sei vorbei", sagte Keitel. "Das ist längst nicht der Fall."

Die Probleme in Griechenland machten deutlich, wie schwer die Krise Europa treffe. Zum Risiko für den Aufschwung könne vor allem die exorbitante Staatsverschuldung im Euroraum werden. "Sorge macht uns in Deutschland, dass gerade die Unternehmen, die für sich eine erheblich verbesserte Geschäftslage und insbesondere steigende Exporte erwarten, gleichzeitig überdurchschnittlich verschlechterte Kreditbedingungen klagen", sagt Keitel weiter.

Die Kanzlerin weiß, wie gefährlich es für sie werden könnte, die einflussreichen Unterstützer zu verlieren. Groß waren die Erwartungen, mit der die Wirtschaft den Start ihres Regierungsbündnisses begleitet hat. Merkel weiß um das schwache Erscheinungsbild der Koalition. Und sie weiß um viele Enttäuschungen.

"Ich bin proaktiv auf diese Kritik eingegangen"

"Ich kann verstehen, dass nicht jede Diskussion applaudierend betrachtet wird", sagt sie nach einem Gespräch mit 80 Unternehmern. Und: "Ich bin proaktiv auf diese Kritik eingegangen und habe deutlich gemacht, dass das Allerwichtigste ist, was die Ergebnisse der Politik sind." Merkel verweist auf das bereits Geleistete, beispielsweise die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes.

Hinter verschlossenen Türen aber wird Merkel in München deutlicher. Sie wirbt um Verständnis für aktuelle Reibereien in ihrem Regierungsbündnis. Vor allem CSU und FDP müssten "ihre Rolle noch finden", sagt die Kanzlerin nach Angaben aus Teilnehmerkreisen.

Als Reaktion auf die Kritik an der hohen Staatsverschuldung erklärte sie: Das "sehr hohe Defizit" in diesem Jahr sei "allein und ausschließlich der Krise geschuldet". Merkel betonte, dass die Koalition die Neuverschuldung in den kommenden Jahren wieder zurückfahren wolle: "Ich habe mich eindeutig zur Schuldenbremse bekannt."

"Wir leben in einer komplizierten Zeit"

Doch längst bahnt sich mehr an, als nur eine kurze Verstimmung zwischen Regierung und der Wirtschaft. Was die Verbandsbosse zu hören bekommen, wird sie kaum besänftigen. Denn Merkel lässt durchblicken, für wie schwer sie es hält, Reformen durchzusetzen: "Wir leben in einer komplizierten Zeit." Und: "Die Krise ist noch nicht überall sichtbar, aber in fast jedem Winkel manifest."

Die Finanznot der Kommunen, die Abstiegsangst der Bürger. Die Regierung müsse auf viele Sorgen Rücksicht nehmen. Arbeitgeberpräsident Hundt will das so nicht stehen lassen. Jetzt müsse alles "Priorität" haben, was den Wirtschaftsaufschwung unterstütze und stabilisiere. So sei es wichtig, dass die Koalition ihre Vereinbarungen zur Gesundheitspolitik umsetze.

Die Kosten der Kranken- sowie der Pflegeversicherung müssten "vom Arbeitsverhältnis abgekoppelt werden". Der Arbeitgeberpräsident warnte: "Sonst steigen unsere Arbeitskosten weiter. Das ist ein Nachteil im internationalen Wettbewerb, der Wachstum und Beschäftigung hemmt".

Die Botschaft ist klar: Die Schonfrist ist vorbei. Merkel hat es eilig. Zum traditionellen Messerundgang bleibt keine Zeit. Ohne Schlusswort aber lässt BDI-Chef Keitel die Kanzlerin nicht gehen: "Wir kämpfen mit Leidenschaft."

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SZ vom 06.03.2010/pak
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