Süddeutsche Zeitung

Kanzlerin besucht Volkswagen:"Ein tolles Stück Deutschland"

18.000 Volkswagen-Mitarbeiter in Halle 11 - und mittendrin Golf-Fahrerin Angela Merkel, die ihre Rolle als Kämpferin für das VW-Gesetz sichtlich genießt.

Michael Kuntz, Wolfsburg

Sie ist "Golf-Fahrerin seit der deutschen Einheit", sagt sie gleich zu Beginn. Angela Merkel ist an diesem trüben Dienstag mit dem Hubschrauber durch Nieselregen nach Wolfsburg geflogen.

Die Bundeskanzlerin nimmt sich siebzig Minuten Zeit für die Betriebsversammlung in Halle 11 von Volkswagen. Dann werden CDU-Kandidaten für Bürgermeister-Ämter in Hessen und Rheinland-Pfalz ihre nächsten Gesprächspartner sein.

So eine Versammlung am Vormittag mit 18.000 Menschen in einem dreihundert Meter langen Abschnitt einer Halle im Stammwerk des größten deutschen Industrieunternehmens ist auch für Merkel ein "bewegendes Ereignis". Sicher nicht nur wegen des werkseigenen Blasorchesters, das alte Filmmelodien gefühlvoll spielt.

Denn Angela Merkel wäre keine Kanzlerin, wenn sie aus dem sie bewegenden Ereignis nicht eines machen würde, bei dem sie einiges bewegt. Zunächst hebt sie die 205. Betriebsversammlung im VW-Werk Wolfsburg in den Rang eines Ereignisses von mindestens nationaler, wenn nicht globaler Bedeutung.

Zu wenig Regeln, zu wenig Transparenz

Milliarden Menschen in aller Welt verbinden Volkswagen mit Deutschland, meint die Kanzlerin. Und das solle so bleiben. "VW ist ein tolles Stück Deutschland", sorgt Merkel für Stimmung. Das gelte nicht nur wegen der Autos. VW sei auch ein Sinnbild für die Entwicklung der Bundesrepublik, den Willen zum Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dann sagt sie, worauf hier alle gewartet haben. Die Geschichte von Volkswagen habe dazu geführt, dass es ein VW-Gesetz gab "und auch in Zukunft geben wird". Eine Sperrminorität des Landes Niedersachsen, dem mit gut 20 Prozent zweiten Großaktionär neben Porsche, sei vom Europäischen Gerichtshof nicht verboten worden. Die komplette Bundesregierung sei der tiefen Überzeugung, dass derartige Regeln langfristiges Denken befördern. Sie schadeten keinesfalls der Wettbewerbsfähigkeit von Volkswagen.

Für Merkel macht das gerade in Zeiten der Globalisierung viel Sinn. Denn die jüngste Krise habe gezeigt, dass es an den Finanzmärkten zu wenig Regeln und Transparenz gebe mit der Folge, dass Menschen nun zu leiden haben.

"Nicht ein Einzelner sollte das Sagen haben"

Merkels Parteifreund, der niedersächsische Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Christian Wulff (CDU) hatte zuvor etwas betont, was der kurz vor der Mehrheitsübernahme stehende größte Aktionär Porsche möglicherweise bei seinem Einstieg nicht ausreichend bedacht hat: Niemand, der sich VW-Aktien gekauft habe, könne sagen, von den durch das Gesetz garantierten Sonderrechten des Landes Niedersachsen nicht gewusst zu haben.

Denn die Mitwirkung bei Fragen des Firmensitzes, Standorten und Beherrschungsverträgen seien nicht nur im Gesetz verbrieft gewesen sondern auch in der Satzung der Aktiengesellschaft und die sei sogar älter als das Gesetz.

Bei der Privatisierung von Volkswagen im Jahr 1960 sei nicht ohne Grund festgelegt worden, dass der Bund und das Land Niedersachsen jeweils 20 Prozent übernehmen und 60 Prozent als Volksaktien breit gestreut werden. "Nicht ein Einzelner sollte das Sagen haben. Das gilt auch heute noch."

Lesen Sie im zweiten Teil alles über die Bedeutung des neuen Golfs - und warum die VW-Belegschaft mehr als nur Hochdeutsch kann.

Wulff fordert unter starkem Beifall der VW-Belegschaft in Halle 11 die Porsche-Spitze auf, sich zu entscheiden, ob man mit dem Bundesland zusammen arbeiten wolle oder "alleine durchmarschieren" will. Weiterhin begrüße er das Engagement von Porsche ausdrücklich. Die Sportwagenfirma sei ein guter Partner für Volkswagen. Allerdings könne eine solche Partnerschaft nur funktionieren, "wenn jeder Partner den anderen respektiert". Die beteiligten Menschen brauchen Sicherheit, dass sich ihr Einsatz lohnt, ruft Wulff in die Halle.

So wie in Baden-Württemberg mit der gescheiterten Fusion von Daimler und Chrysler dürfe es in Niedersachsen nicht laufen. Der damalige Daimler-Chef Schrempp habe das Geld versenkt und keiner habe ihn daran gehindert. Wulff: "Wir wollen den Erfolg von Volkswagen und dafür streiten wir gemeinsam."

Auf dem Weg zur Nummer eins

Immerhin geht es in Niedersachsen um 90.000 Arbeitsplätze bei VW und weitere 60.000 bei Zulieferern. Eine der größten Betriebsversammlungen Deutschlands findet im größten Autowerk der Welt statt. Hier arbeiten 44.000 Menschen, viele von ihnen am neuen Golf. Die sechste Generation des Brot- und Butter-Autos wurde im September auf Island den Motorjournalisten und nun den Mitarbeitern in der Halle 11 vorgestellt. Designpapst Walter De Silva persönlich erläuterte neue kantige Linien, die das Auto markanter erscheinen lassen ohne das bewährte Erscheinungsbild nachteilig zu verändern.

Schließlich wurden bereits 26.116.729 Exemplare des weltweit erfolgreichsten Autos gebaut - bis am Dienstag morgen um sechs Uhr übrigens.

Angela Merkel ist nach Konrad Adenauer, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder die vierte Bundeskanzlerin bei einer Betriebsversammlung des Unternehmens, das bis zum Jahr 2018 den japanischen Wettbewerber Toyota als größten Autohersteller der Welt ablösen will.

Merkel versichert ausdrücklich, sie wolle sich nicht in den internen Streit zwischen Volkswagen und seinem Großaktionär Porsche einmischen. Die Bundeskanzlerin tut es dann doch. Auf eine sehr launige Art beendet sie ihre Ansprache mit einem Seitenhieb, für den es stärksten Beifall gibt in Wolfsburg: "Die Baden-Württemberger können alles außer Hochdeutsch. Sie hier können auch alles und noch Hochdeutsch dazu."

Dann gratulierte die VW-Fahrerin Merkel noch zum neuen Golf VI. Der wird erst Anfang Oktober ausgeliefert. Die Bundeskanzlerin schien an diesem für sie so erfreulich verlaufenen Vormittag in der Wolfsburger Golf-Fabrik doch etwas zu bedauern: "Fahren konnte man ihn ja noch nicht."

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SZ vom 24.09.2008/tob
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