Kanada: Einkommen der Indianer-Häuptlinge:Großverdiener im Reservat

Eklat in Kanada: Der dortige Bund der Steuerzahler enthüllt die Einkommen der Indianer-Häuptlinge. Die Bevölkerung ist entsetzt: Der Premierminister verdient weniger.

Bernadette Calonego, Vancouver

Brian Smith, ein Mi'k-maq-Indianer aus der kanadischen Provinz Nova Scotia, ist schockiert. In seinem Reservat Glooscap residiert der bestbezahlte indianische Politiker Kanadas. Glooscap ist winzig: Hier leben derzeit nur 87 der insgesamt 304 registrierten Einwohner. Es gibt einen Laden, eine Tankstelle, einen Video-Verleiher, eine Krankenstation und das Büro des Stammesrates. Das Reservat gilt als so arm, dass es im vergangenen Jahr von der kanadischen Regierung mit umgerechneten 680.000 Euro unterstützt wurde. Und ausgerechnet hier leben ein paar wenige im Überfluss.

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(Foto: dpa)

Eines der Mitglieder des dreiköpfigen Stammesrates wies im Steuerjahr 2009 ein Einkommen von fast einer Million kanadischen Dollar oder umgerechnet 750.000 Euro aus. Die zwei anderen Mitglieder, darunter der weibliche Häuptling, verdienten zusammen mehr als dreihunderttausend Euro, was Brian Smith nicht fassen kann. "Was immer sie dazu zu sagen haben, es rechtfertigt nicht die Riesensumme, die sie bezogen haben", sagt der Vater von sechs Kindern, der früher als Bankier arbeitete.

Die phantastisch hohen Saläre im Reservat Glooscap, die auf Regierungsdokumenten erfasst waren, hat der Bund der kanadischen Steuerzahler veröffentlicht. Der Name des höchstbezahlten indianischen Politikers in Kanada war auf den Regierungsdokumenten zwar mit schwarzen Balken verdeckt. Doch Journalisten der kanadischen Zeitung National Post fanden rasch heraus, dass es nur ein einziges Reservat in Nova Scotia mit 304 registrierten Einwohnern gibt, wie es in den Unterlagen vermerkt war. Laut Zeitungsberichten handelt es sich bei dem Schwerverdiener um den Cousin des Häuptlings Shirley Clarke. Sie bildet mit ihrer Schwester und dem Vetter Mike Halliday den Stammesrat.

Höhere Einkommen als der Premierminister

Halliday bezog als Mitglied des Stammesrates ein Salär von 72.000 Euro. Dazu erhielt er weitere 90.000 Euro, weil er im winzigen Reservat zuständig für die Finanzkontrolle, die Fischerei, das Arbeits- und das Häuseramt ist. Darüber hinaus verdiente Halliday mehr als eine halbe Million Euro mit Aufträgen, die ihm die Verwandten im Stammesrat erteilten: etwa für Bauverträge, die aus Einnahmen von reservatseigenen Unternehmen wie der Tankstelle und dem Glücksspielsalon bezahlt wurden.

Als Vetternwirtschaft sieht Häuptling Shirley Clarke das nicht, sie erklärte vor Journalisten, sie habe keine Probleme damit. Halliday ist nicht der einzige indianische Funktionär mit einem erstaunlich hohen Einkommen in Kanada. Wie der Bund der Steuerzahler enthüllte, gab es im selben Jahr über 80 Häuptlinge und Stammesräte, die mehr als der kanadische Premierminister Stephen Harper verdienten. Harper erhielt ein Nachsteuer-Salär von 184000 kanadischen Dollar (etwa 137000 Euro).

Über 220 Indianerführer in den Reservaten haben auch mehr eingenommen als die Ministerpräsidenten ihrer Provinzen, die im Schnitt ein Nachsteuer-Einkommen von 109893 kanadischen Dollar (rund 82000 Euro) bezogen.

Von der Einkommensteuer befreit

Kanadische Indianer, die in den 570 Reservaten leben, genießen zudem ein Privileg: Sie müssen keine Einkommensteuern bezahlen. Die kanadische Regierung hilft den Reservaten jährlich mit insgesamt 5,2 Milliarden Euro, unter anderem, um die dort grassierende Armut zu bekämpfen.

In seiner Gemeinde Glooscap, sagt Brian Smith, gebe es Menschen, die zu wenig Nahrung und keine richtige Unterkunft hätten. Die drei Mitglieder des Stammesrates hätten sich aber einen Swimming Pool geleistet, jedes Jahr neue Autos gekauft oder für ihre Familien immer mehr Häuser erstellen lassen. Die Menschen von Glooscap hätten dennoch nicht geahnt, wie viel sich der Stammesrat habe ausbezahlen lassen.

"Was hätte man mit dem Geld nicht alles für unsere Gemeinde tun können", sagt Smith: "Es gibt keine Transparenz oder Rechenschaftspflicht in unserer Gemeinde." Das ist ein Problem in vielen Indianer-Reservaten in Kanada, die oft von einflussreichen Familien regiert werden.

Was mit den Hilfsgeldern aus Ottawa geschieht, ist einzig Sache des Stammesrates. Er untersteht keiner öffentlichen Verantwortlichkeit. Indianische Politiker, die ihr Salär offenlegten, sagt Smith, seien die Ausnahme.

Angst vor Repressalien

Ironisch ist, dass Smith in einer nationalen gemeinnützigen Organisation arbeitet, die indianischen Politikern Rechenschaftspflicht, Verantwortlichkeit und Bürgermitsprache nahebringen will. Jetzt muss er das in seinem eigenen Reservat anpacken.

In der Hauptstadt Ottawa fordert die konservative Abgeordnete Kelly Block derweil, dass Häuptlinge und Stammesräte künftig ihre Saläre offenlegen müssten wie alle anderen gewählten Politiker in Kanada. Block hat zu diesem Zweck im Parlament eine Gesetzesvorlage eingereicht. Aber der nationale Vorsitzende der 630 kanadischen Häuptlinge, Shawn Atleo, kritisierte, dass die Probleme mit der Rechenschaft vor allem bei der Regierung in Ottawa und beim Ministerium für Indianische Angelegenheiten lägen.

In Glooscap ist die Welt nicht mehr so, wie sie vorher war. Smith sagt, Mitbürger, die den Stammesrat hinterfragten, hätten Angst vor Repressalien. Er sammelte Unterschriften, um die Verwaltung des Reservats zu zwingen, eine Sonderversammlung einzuberufen. "Wir müssen diese Situation ändern, damit sie nicht mehr vorkommt", sagt er. Häuptling Shirley Clarke hat nun mehr Tansparenz und Aufklärung versprochen. Ihr Cousin indes schweigt bis heute über seine wundersamen Einnahmen.

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