Kampf ums Kleingeld:Nicht ohne meine Münze

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Die Angst ist: Erst verschwinden die kleinen Münzen, dann das Bargeld insgesamt. (Foto: dpa)

Ein- und Zwei-Cent-Münzen einfach abschaffen? Die Deutschen tun sich damit unheimlich schwer.

Von Lea Hampel

Als Italien vor Kurzem verkündete, ab 2018 keine neuen Ein- und Zweicentmünzen mehr zu prägen, ging es im Euro-Partnerland Deutschland schnell hoch her: "Bald auch bei uns?" war die große Frage, die plötzlich die Boulevardmedien, Einzelhändler und normalen Bürger umtrieb. Da halfen auch alle gegenteiligen Beteuerungen seitens der Politik, namentlich des für Münzen zuständigen Bundesministeriums für Finanzen, nichts. Denn: Das Verhältnis der Deutschen zu ihren kleinsten Münzen ist bezeichnend für ihr Verhältnis zum Bargeld im Allgemeinen.

Die kleinen Eisentaler mit Kupferummantelung schüren Emotionen. Sie sehen den alten Pfennigen ähnlich, sind für Kinder oft der erste Obolus fürs Sparschwein, bis heute klemmen sie als Glückssymbol im Maul manches Marzipanschweins. "Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert" gehört zum Sprüchekanon der deutschen Kindererziehung wie des Supermarkt-Smalltalks.

Und so stimmten dieser Aussage laut einer Bundesbankumfrage zum Zahlungsverhalten in Deutschland im Jahr 2011 immer noch 91 Prozent der Menschen zu. Die Münze gilt immer auch als Urform des Geldes: Wert und Schulden wurden einst in Metall gegossen, nachdem der Sachwerttausch und Ersatzwährungen wie Muscheln sich als weniger nützlich erwiesen haben. Aus guten Gründen zieren diese kleinen Münzen in den verschiedenen Ländern eher emotional denn inhaltlich aufgeladene Symbole: Mufflons in Zypern, ein Storch in Slowenien.

Aufgeladen ist die Debatte aber auch aus einem anderen Grund: Sie nährt die Theorien jener Menschen, die, nachdem zuletzt der 500-Euro-Schein abgeschafft wurde, fürchten, das Bargeld habe ausgedient. An Letzterem hängen die Deutschen besonders - und das, obwohl sie immer häufiger mit Karte zahlen und die Bundesbank schätzt, dass demnächst nur noch die Hälfte aller Einkäufe bar bezahlt wird. Doch mit einem ausschließlich elektronischen Zahlungsverkehr verbinden viele Deutsche auch Überwachung, Verlust von Freiheit und Anonymität im Alltag und die Angst vor Hackerangriffen auf das Bankensystem.

Und so ist es eine Mischung aus nostalgischer Zuneigung zur Münze, Sparermentalität und Freiheitsliebe, die den Deutschen den Schritt, den Italien nun geht, als schwer erscheinen lässt.

Die Angst ist: Erst verschwinden die kleinen Münzen, dann das Bargeld insgesamt

Dabei ist die Abschaffung der Ein- und Zweicentmünzen kein absolutes Novum. Belgien, Finnland, Irland und die Niederlande verzichten seit geraumer Zeit auf die Kleinmünzen, und das in verschiedenen Varianten: Mal gibt es nur Preise, die auf fünf oder zehn Cent enden, mal wird bei Barzahlung gerundet, bei Kartenzahlung aber der genaue Betrag überwiesen. Und auch in Deutschland gibt es erste Schritte: Beim Drogeriemarkt dm gibt es nur Preise die auf fünf oder null enden.

Ein Ort aber hat es mit dieser Art von Revolution zu besonderer Aufmerksamkeit geschafft: Kleve am Niederrhein. Anfang des Jahres 2016 verkündete dort eine private Händlerinitiative: "Geehrte Kunden, wir runden." So stand es auf Schildern in mehreren Dutzend Geschäften - und so wurde es nun über viele Monate praktiziert.

Die Stadt liegt keine zehn Kilometer von der deutsch-niederländischen Grenze entfernt, viele der Kunden kommen aus dem Nachbarland und sind es gewohnt zu runden. Mehrere Dutzend Händler machten bei dem Projekt mit. Die, die sich dagegen entschieden, konnten entweder ihre Kassensysteme nicht umstellen oder fürchteten, es würde zu langen Schlangen an ihren Theken führen oder Kunden würden ausbleiben. "Die haben befürchtet, die Kunden denken, sie werden übervorteilt", sagt Joachim Rasch von der Händlervereinigung.

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Dabei spricht einiges für die Abschaffung der Münzen: Sie wiegen schwer im Geldbeutel, die Kosten für ihre Herstellung sind höher als ihr eigentlicher Wert. Vor allem die Logistik ist teuer, insbesondere für kleine Einzelhändler: Es kostet, die Münzen zur Bank zu bringen, es kostet, neue zu besorgen. Beide Posten sind in den vergangenen Jahren aufgrund neuer Verordnungen gestiegen. Hinzu kommt: "Die Bezahlung durch den Kunden mit Kleinmünzen ist sehr zeitaufwendig", sagt Frank Horst vom EHI Retail Institute. Aber würden nicht die Kunden draufzahlen, wenn gerundet wird? Nein. "Egal welches Rundungsszenario sich durchsetzen würde, die wirtschaftlichen Auswirkungen wären relativ gering", lautet ein Fazit im Bericht des EHI vom März 2016.

Für die Untersuchung wurde ausgerechnet, ob häufiger ab- oder aufgerundet würde. Der Vorteil für die Verkäufer war in der Analyse minimal. 0,02 Prozent höher waren die Einnahmen durch Rundung, vor allem, weil es so viele 99-Cent Produkte gibt.

Auch bei den Kunden sind die kleinen Münzen mehr in der Theorie denn in der Praxis beliebt. 43 Prozent der Befragten der Bundesbankstudie gaben an, Kleinmünzen nicht gern zum Bezahlen zu verwenden und sie lieber beiseitezulegen. 208 Centstücke, schätzt Carl-Ludwig Thiele aus dem Vorstand der Bundesbank, hat der Durchschnittsdeutsche überall außer im Geldbeutel: in Spardosen, der Küchenschublade, der Sofaritze.

Auch finden sich gerade jene nun besonders beäugten Münzen häufig auf dem Asphalt oder werden in Brunnen geworfen. Seit der Euroeinführung wurden deshalb mehr als elf Milliarden Eincentstücke und mehr als 8,5 Milliarden Zweicentstücke allein für die Bundesrepublik produziert.

Fein austariertes System

Die Münzen abzuschaffen, scheint nicht abwegig - deshalb haben EU-Parlament und -Rat 2012 beschlossen, regelmäßig die Akzeptanz der Münzen zu überprüfen.

Allerdings: Wie hilfreich das wäre, ist ebenso fraglich. Denn so lange es weiter Münzen gibt, würden Kosten durch die Bargeldlogistik entstehen, weil andere Münzen bisherige ersetzen müssten. Viel gewichtiger aber: Es müsste übers Runden verhandelt werden - denn die Bundesbankumfrage hat auch gezeigt, dass sich die Bürger nicht einig sind, ob und wie gerundet werden sollte. Diskussionen darüber dürften nicht selten an der Ladentheke und der Kasse stattfinden. "Genau das ist im Alltag nicht machbar", sagt Ulrich Binnebößel vom Handelsverband Deutschland (HDE).

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Hinzu kommt: Preise sind ein fein austariertes System. Sie haben eine bestimmte Höhe, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen oder um eine psychologisch wichtige Marke nicht zu überschreiten. Dieses System würde durcheinandergebracht. "Wir brauchen die Preiszwischenlage - es macht eben einen Unterschied, ob der Liter Milch 43 oder 45 Cent kostet", sagt Binnebößel. Er findet: Wenn man die Münzen abschaffen wolle, dann europaweit, einheitlich und rechtsverbindlich. Dieses Thema anzustoßen, sei aber nicht Aufgabe der Händler, findet Binnebößel. "Das muss aus Politik und Gesellschaft kommen."

Zu diesem Fazit ist man auch in Kleve gekommen. Als diese Woche nach mehr als einem Jahr Experiment inklusive wissenschaftlicher Begleitung Bilanz gezogen wurde, kam zwar heraus, dass 80 Prozent der Kunden das Rundungsexperiment positiv bewerteten. Das Urteil der mehr als 40 Händler, die beteiligt waren, hingegen fiel geteilt aus. Zwar wollen die Initiatoren an dem Projekt festhalten. Doch einzelne Händler sind unterwegs ausgestiegen - vor allem, weil es zu viel Zeit gekostet hat, den Kunden zu erklären, wie gerundet wurde. Kein Wunder. Teil der wissenschaftlichen Untersuchung war, die Kunden zu fragen, wie bestimmte Beträge wohl zu runden wären. Nur wenige schafften es, den korrekten Rundungsbetrag bei einem Preis von 1,97 Euro zu nennen.

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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