Es war einer der Momente, in denen Mario Reißlandt nur noch ächzen konnte. Reißlandt ist Jungbauer in Brandenburg, wie viele andere gerade dabei, einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb aufzubauen. Freunde hatten ihm einen Artikel aus der Taz weitergeleitet.
Darin ging es um ein Thema, das gerade viele Landwirte in Ostdeutschland beschäftigt: Landkäufe von Investoren, die mit Landwirtschaft nichts zu tun haben, aber Agrarflächen als lukrative und vergleichsweise risikoarme Anlage betrachten. Konkret wurde in dem Artikel ein Geschäft aufgegriffen, das der Rückversicherungskonzern Munich Re bereits 2015 mit einer Tochtergesellschaft der KTG Agrar abgeschlossen hatte. Die KTG Agrar war bis zum Sommer Deutschlands größter Agrarkonzern - nun ist er pleite. Und weil er wohl auch schon 2015 klamm war, verkaufte er Land. Beispielsweise wohl gut 2400 Hektar an die Munich Re.
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Genauso solche Geschäfte machen den Bauern das Leben schwer. Nicht nur, weil sie das Land gerne selbst bewirtschaften würden, sondern weil das billige Geld der Investoren die Preise treibt. Darum gelten strenge Regeln für den Verkauf landwirtschaftlicher Fläche.
Doch die Münchner bedienten sich eines Tricks: Die KTG reichte nicht das Land selbst weiter, sondern nur 94,9 Prozent der Anteile an der Tochtergesellschaft ATU Landbau, die die Flächen in Brandenburg besitzt. Unmittelbar vor diesem Geschäft übertrugen aber zunächst 14 weitere Tochtergesellschaften der KTG ihr Land an die ATU Landbau. Ausweislich eines Wertpapierprospekts der KTG aus dem Jahr 2015 waren das 2840 Hektar. Es waren offenbar nicht zufällig 94,9 Prozent, die die Munich Re übernahm: Ab einer Summe von 95 Prozent muss ein Käufer normalerweise Grunderwerbssteuer zahlen.
Bauer Reißlandt verglich: Knapp sechs Hektar Land hatte er selbst kürzlich gekauft. Dafür musste er 10 000 Euro an Grunderwerbssteuern zahlen. Die Munich Re übernahm mehrere Tausend Hektar - ob sie dafür Steuern zahlte, war nicht zu klären: Kommentieren will der Versicherer den Vorgang nicht. Die KTG lässt Anfragen gleich ganz unbeantwortet.
Für die zuständigen Behörden ist der Fall beispiellos - auch der großen Fläche wegen
Bevor die Landwirtschaftsbehörden in Brandenburg von der Beteiligung der Münchner erfuhren, schienen die Landübertragungen innerhalb der KTG an die ATU Landbau zunächst unproblematisch zu sein. Denn die betreffenden Tochtergesellschaften waren fast alle in Brandenburg ansässige Landwirtschaftsbetriebe. Entsprechend wurden die Genehmigungen für die 14 einzelnen Übertragungen erteilt. "Erst kürzlich", so das Ministerium, "habe sich herausgestellt, dass schon zum Zeitpunkt der Genehmigung geplant war, die Flächen gar nicht bei der ATU Landbau" zu belassen, sondern dass sie in das "Eigentum eines außerlandwirtschaftlichen Investors übergehen sollten" - eben das der Munich Re.
Für die zuständigen Behörden ist dieser Fall beispiellos - allein schon der großen Fläche wegen. In Brandenburg wird nun geprüft, ob die Genehmigungen nachträglich entzogen werden. Eine Voraussetzung dafür wäre, dass Landwirte in den entsprechenden Gebieten 2015 einen "dringenden Aufstockungsbedarf" hatten. Zum Beispiel, weil ihr Eigenanteil an Land verglichen mit anderen Höfen zu gering war. Erste Interessenten für die Flächen hätten sich schon gemeldet, heißt es im Landwirtschaftsministerium. Selbst nutzen könnten sie das Land aber vorerst nicht. Es ist noch für 18 Jahre an ehemalige KTG-Betriebe verpachtet. Die gehören mittlerweile zur Deutschen Agrarholding, eine Tochtergesellschaft der Gustav-Zech-Stiftung mit Sitz in Liechtenstein. Die hatte nach der Pleite weite Teile der KTG übernommen.
Bisher sei er der Ansicht gewesen, das Landgrabbing - die Landnahme im großen Stil via Gesetzeslücke - in Deutschland eigentlich kein Thema sei, sagt Andreas Tietz vom Thünen-Institut, eine Forschungseinrichtung des Landwirtschaftsministeriums. Aber dieses Geschäft zwischen der KTG und der Munich Re ist seiner Einschätzung nach genau das: Landgrabbing. Tietz kennt sich da aus. Er hat erforscht, in welchem Ausmaß sich Investoren in der Landwirtschaft beteiligen.
Bodenmarkt ist hierzulande streng geregelt
Bis 2007 sei alles "wunderbar glatt" gelaufen, sagt er. Zumindest, was die Preisentwicklung für Land angeht. Doch dann habe die Treuhand-Nachfolgerin BVVG begonnen, Flächen öffentlich auszuschreiben. Zuvor war das Land der BVVG direkt verkauft worden, meist an Agrarunternehmen und Landwirte. Daneben wuchs in der Finanzkrise das Interesse von Investoren für Land, weil es Sicherheit versprach. Binnen weniger Jahre hätten sich dann in Ostdeutschland die Preise verdreifacht - "und die Bauern begannen, mit dem Finger auf die bösen Investoren zu zeigen".
In Deutschland sei der Bodenmarkt so streng geregelt, dass sich eigentlich jeder Investor mit Grausen abwenden müsse, sagt Tietz. Aber sie finden dann eben doch die Gesetzeslücken, so wie jetzt die Munich Re. Land wird dann nicht mehr direkt verkauft, sondern nur noch in Form von Anteilen an dem Unternehmen, dem das Land gehört. Darum heißen diese Geschäfte auch "Share Deals". Mit ihnen wird der nur schwer handelbare Boden wundersam mobil. Neu sind die Geschäfte nicht - neu ist aber, dass auch Finanzinvestoren auf diese Weise versuchen, an Land zu kommen. Die Politik sieht diese Share Deals als großes Problem, hat aber noch kein Rezept dagegen gefunden. Eine neue Arbeitsgruppe soll nach dem Willen der Länder-Finanzminister nun Lösungsvorschläge entwickeln.
Aber was ist so schlimm daran, wenn Firmen, die mit Landwirtschaft nichts zu tun haben, Land kaufen? Tietz kennt Beispiele, in denen solche Firmen regionsverbunden Landwirtschaft betreiben. Er bezweifelt aber, dass reine Finanzinvestoren mit ihrer klaren Renditeorientierung dies täten.
Größtes Problem ist aber: Die hohen Preise erschweren es den Bauern, die Existenz ihrer Betriebe etwa durch Kauf neuer Flächen zu sichern. Denn schon jetzt zählen die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft aufgrund des hohen Kapitaleinsatzes zu den teuersten überhaupt. Und den Neueinstieg in die Landwirtschaft wagt ohnehin fast niemand: Die Pachten können aus den Erträgen oft kaum mehr bezahlt werden. Wer Land derzeit auf Kredit kaufen will, zahlt dafür mitunter bis an sein Lebensende.
So wie Mario Reißlandt, der Jungbauer in Brandenburg. Auch er musste sich für seine knapp sechs Hektar das Geld borgen. Die Zinsen dafür könne er zwar bezahlen, sagt er, doch wie er den Kredit tilgen soll, weiß er noch nicht. Es ist ein Privatdarlehen über 30 Jahre - eine Bank würde sich nie darauf einlassen. Mit dem Gläubiger hat er einen Deal: Zahlt Reißlandt das Geld am Ende der Laufzeit nicht zurück, gibt er stattdessen sein Land ab.
Normalerweise ist das eigene Land die Alterssicherung der Bauern. Reißlandt müsste dann ohne auskommen.