Kampf gegen Wirtschaftskrisen:Verheddert zwischen Zombies

Wie löst man Wirtschaftskrisen? Politiker streiten, weil sie es selbst nicht genau wissen: Geld in die Wirtschaft pumpen, sagen die einen - konsequent sparen, die anderen. In Bulgarien und Japan wurde mit den gegensätzlichen Ansätzen experimentiert. Welche Folgen das rigorose Sparen haben kann - und was passiert, wenn der Staat massiv investiert.

Silke Bigalke und Hans von der Hagen

Zombie-Politik also. So jedenfalls geißelt der US-Ökonom Paul Krugman die "destruktive ökonomische Lehre", der Europa anhänge. Natürlich meint er, wenn er Europa sagt, vor allem Deutschland. Und die furchtbare Lehre ist die deutsche Sparkultur in Krisenzeiten, die einfach nicht totzukriegen sei. "Es ist die Natur des Zombies, dass er immer weiter vor sich hin stolpert, egal wie oft du ihn umgebracht hast", sagte er jüngst in einem Interview mit dem Spiegel. Seit mindestens zwei Jahren sei klar, dass sparen und kürzen nicht funktioniere, trotzdem werde es weiter als Erfolgsmodell gepredigt. Vor allem von den Deutschen. Doch was soll stattdessen kommen? Wie soll die Euro-Zone gerettet werden?

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Japan hatte Ende der achtziger Jahre seinen großen Crash - und arbeitet sich seither an den Folgen ab. Das Bild zeigt die Entwicklung des Nikkei-Index zwischen 2007 und 2008.

(Foto: REUTERS)

Für Krugman, der seine Ansichten gerne in Kolumnen der New York Times verbreitet und als Nobelpreisträger ebenso gerne gelesen wird, ist das ganz einfach: Er will die Krise mit Geld wegspülen. Mit "etwa 300 Milliarden Dollar" könnten in Europa zwei Prozent mehr Wachstum geschaffen werden, behauptet er.

Mit Geld gegen die Krise

Dummerweise ist das Chaos in Europa gerade dadurch entstanden, dass nach Einführung des Euros zu viel Geld vorhanden war - und das zu extrem günstigen Zinsen. Es hat in Ländern wie Spanien und Griechenland Arbeit und Immobilien verteuert und gleichzeitig alle Bemühungen der Regierungen erlahmen lassen, ihre Länder wirtschaftlich fit zu machen. Es waren die Jahre, in denen Deutschland in einer tiefen Krise steckte und darum Reformen auf den Weg brachte, die die Bundesrepublik jetzt vergleichsweise stabil dastehen lassen.

Krugman schert sich darum nicht, sondern schlägt vor, die Krise eben genau mit dem Mittel zu bekämpfen, das sie überhaupt erst verursacht hat. Die Europäische Zentralbank solle den Geldhahn noch weiter öffnen als bisher schon - und dann wird schon alles gut werden.

Genauso reagierte die US-Notenbank, als 2001 die Flugzeuge in das World Trade Center krachten. Auf diese Weise wollte sie die ohnehin schon vom Platzen der Dotcom-Blase verunsicherten Märkte beruhigen. Sie flutete die Vereinigten Staaten mit Geld und schuf damit die Voraussetzungen für die Finanzkrise im Jahr 2007. Denn das viele Geld suchte nach immer neuen Anlagefeldern - und fand diese in Immobilien und auch den verhängnisvollen Hypothekenpapieren, die den Banken später außer Kontrolle gerieten.

Das ist eine der Lehren aus jenen Jahren: Die Geldentwertung machte sich eben oft nicht in offiziellen Inflationsstatistiken bemerkbar, die lediglich die Preise von alltäglichen Produkten berücksichtigen, sondern vor allem in den Preisen für Vermögensgegenstände. Das gilt nicht nur für die USA, sondern auch für Europa

Vor zehn Jahren floss beispielsweise viel Geld in Länder wie Spanien und sorgte dort für einen Immobilienboom; jetzt fließt das Geld nach Deutschland und verteuert hier in vielen Städten Häuser und Wohnungen teils dramatisch.

Sparen oder Geld drucken - welcher Weg am Ende der beste ist, wissen auch die Experten nicht so genau. Darum wird in der Politik so heftig darüber gestritten. In der Realität wird die Trennlinie oft nicht so scharf gezogen. In Europa jedenfalls wird allen Schmähungen zum Trotz ein Mittelweg beschritten. Es wird gespart und gekürzt, gleichzeitig ist das Geld aber billig wie nie zuvor.

Doch es gibt Beispiele, in denen sich Länder auf die eine oder andere Lösung konzentrierten. Japan etwa, das wie auch später die Vereinigten Staaten durch einen Überfluss an Liquidität in eine verheerende Krise schlitterte - und dann die Krise mit noch mehr Geld zu bekämpfen versuchte. Oder Bulgarien, das ähnlich wie Griechenland heute lange Zeit alle Reformen verschludert hatte - und sich mit eiserner Disziplin aus der Krise herausarbeitete.

Japan - ein Land wird mit Geld geflutet

Japan hatte Ende der achtziger Jahre seinen großen Crash - und arbeitet sich seither an den Folgen ab. Das Land hat damals versucht, die Krise mit Geld wegzuspülen, also genau das, was Krugman jetzt für Europa vorschlägt. Deswegen ist Japan nun so hoch verschuldet wie keine andere Industrienation der Welt.

Die Vorgeschichte: Mitte der achtziger Jahre drängten die Amerikaner Japan, den Yen gegenüber dem Dollar aufzuwerten. Daraufhin wollten alle plötzlich in Anlagen investieren, die ihren Wert in Yen hatten, um von der Aufwertung zu profitieren. Japanische Aktien und vor allem Immobilien waren sehr gefragt. Um zu verhindern, dass die Währung zu teuer wurde, pumpte die japanische Notenbank viele Yen zu günstigen Zinsen auf den Markt. So wollte sie das Wachstum ankurbeln.

Doch anstatt es auszugeben, sparten die Japaner das Geld lieber und legten es an - zum Beispiel in Immobilien. Deren Preise stiegen so immer weiter. Eine Blase entstand und wurde größer. Sie platzte, als japanische Banken Kredite vergaben, die sie mit überbewerteten Immobilien gesichert hatten. Damals gingen Banken und Versicherungen pleite, und zogen andere Unternehmen mit in den Abgrund.

Brücken ins Nirgendwo

Viele Menschen wurden arbeitslos und begannen, noch mehr zu sparen. Die Wirtschaft stagnierte. Wieder nahm es die japanische Regierung in die Hand, für Wachstum zu sorgen. Sie gab sehr viel Geld aus, startete ein Konjunkturprogramm nach dem anderen. Die beschäftigten vor allem die Bauindustrie, sie baute Autobahnen und Flughäfen. Viel Geld floss in fragwürdige Projekte. In manchen Regionen gibt es heute ungenutzte Straßen, verwaiste Industrieparks und Brücken, die ins Nichts führen.

Den japanischen Staat hat das viel gekostet. Sein Schuldenberg ist heute etwa doppelt so groß wie die Wirtschaftsleistung des Landes. "Die Wirkung eines Konjunkturpaketes ist immer nur kurzfristig", sagt Andreas Rees, Chefvolkswirt für Deutschland bei Unicredit. "Irgendwann fängt es an zu versickern. Deswegen musste Japan auch immer wieder nachlegen." Für Japan sei es sehr schwierig, aus dieser Falle wieder herauszukommen, sagt der Analyst. Falls die Wirtschaft doch wieder wächst, würden auch die Zinsen steigen.

Und dann würden die Kredite, die der verschuldete Staat aufnehmen muss, auch teurer werden. Den Leitzins hält die Bank of Japan immer noch niedrig, immer noch will sie durch billiges Geld Investitionen ermöglichen. Viele Jahre lang lag der Zins sogar bei null Prozent. Doch wenn Unternehmen und Anleger das Geld nur horten, sitzt der Staat in der Falle. Er hat alle geldpolitischen Instrumente erfolglos ausgereizt.

Warum ist das so? Eine Begründung dafür könnte sein, dass die Unternehmer auf die hohe Staatsverschuldung schauen. Sie rechnen damit, dass Japan irgendwann seine Steuern erhöhen muss, um die Schulden abzubauen. Deswegen sparen sie vorsorglich.

Ganz anders machte es Bulgarien. Viele Staaten in Osteuropa stellten sich nach dem politischen Systemwechsel Ende der achtziger Jahre zügig neu auf - nicht so Bulgarien. Dort fand bis weit in die neunziger Jahre Politik der ruhigen Hand statt. Allerdings nicht im Schröderschen Sinne, der diesen Ausdruck einmal eher unglücklich gebraucht hatte, um seine Wirtschaftspolitik Anfang der Nuller-Jahre zu beschreiben. Vielmehr war die Hand in Bulgarien derart ruhig, dass gar nichts passierte. Eine Reform der Strukturen, gar Privatisierungen, gab es nicht, dafür regierte Misswirtschaft.

Mitte der neunziger Jahre erreichte das Chaos ein Ausmaß, das das Griechenland von heute vergleichsweise gut aussehen lässt. Die Inflationsrate schnellte 1997 auf gut 1000 Prozent, die Wirtschaft schrumpfte um sieben Prozent. Das Land kollabierte ökonomisch - und keiner stellte sich mehr die Frage, ob gespart werden sollte oder das Land durch Wachstum gerettet werden könnte. Das Wachstum hätte auf Pump finanziert werden müssen, doch es gab keine Geldgeber. Bulgarien bekam keinen Kredit mehr.

Zwang zur Glaubwürdigkeit

In der Situation übernahm der Internationale Währungsfonds (IWF) die Kontrolle über die Wirtschaftspolitik des Landes. Sein ganzes Programm wurde durchgespielt. Das Ziel: Stabilität. Bulgarien sollte wieder glaubwürdig werden. Der Weg: sparen - und die Währung stabilisieren.

Faktisch bedeutete das, dass ein Wechselkursregime eingeführt wurde, ein sogenanntes Currency Board. Konkret bedeutete das in Bulgarien, dass die Landeswährung Lew an die Deutsche Mark und später an den Euro gekoppelt wurde, um die enorme Inflation einzudämmen.

Bulgarien hatte zwar im Vergleich zu Griechenland den Vorteil, dass es selbst entscheiden konnte, zu welchem Kurs es die Lew an die Mark band. Doch seither ist dieser Kurs fix - Bulgarien kann den Lew nicht ohne weiteres abwerten und muss durch rigide Sparmaßnahmen den Haushalt im Lot halten. Das Land verzichtet auf eine eigenständige Geldpolitik.

Das Programm hat, zumindest gemessen an den Kriterien der Finanzmärkte, einigen Erfolg: Heute erfüllt es fast alle Voraussetzungen für den Beitritt zur Währungsunion: 2004 bis 2008 habe das Land sogar einen Budgetüberschuss gehabt, sagt Gabor Hunya, Osteuropaexperte beim Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche.

Die Staatsverschuldung sei sehr niedrig, weil das Currency Board Regierung und Nationalbank stark diszipliniere. Allerdings führe die Wirtschaftskrise auch in Bulgarien dazu, dass bei gleichen Ausgaben die Einnahmen gesunken seien, es daher jetzt ein Defizit im Haushalt gebe.

Doch das ist mit 2,1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt 2011 noch vergleichsweise schmal. Die Inflationsrate beträgt rund drei Prozent, die Arbeitslosenquote gut elf Prozent (Durchschnitt 2011).

Aus Sicht potentieller Geldgeber ist Bulgarien also fit - doch die Sparpolitik hat ihren Preis: Armut. Im Schnitt liegt das monatliche Nettoeinkommen bei knapp 300 Euro - etwa knapp einem Fünftel des Durchschnittseinkommens in der Europäischen Union.

Und in keinem anderen EU-Land gibt es so viele Menschen, die unter erheblicher materieller Entbehrung leiden. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung ist davon betroffen. Der Weg Bulgariens habe eben auch große Nachteile, sagt Hunya. "Es gibt fast keine Sozialpolitik und die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur wie etwa das Straßennetz gehen kaum voran."

Dennoch - könnte Bulgarien ein Modell für Griechenland sein, zumindest sofern sich die Hellenen entschließen sollten, auf den Euro zu verzichten? Hunya hält dies für denkbar. Die Griechen könnten die Drachme zunächst deutlich abwerten und dann wieder an den Euro koppeln.

Der Vorteil: Die Wettbewerbsfähigkeit würde sich verbessern und die Auslandsdefizite könnten abgebaut werden. Doch der Vorteil eines Currency Boards läge eigentlich in der fortlaufenden Kontrolle der Budgets durch eine Organisation wie dem Internationalen Währungsfonds, sagt Hunya. Der schicke Experten ins Land und rechne die Staatsfinanzen durch. Von der Europäischen Union gebe es allenfalls mal eine Rüge.

In Bulgarien sei die Lage Mitte der neunziger Jahre derart prekär gewesen, dass die meisten verstanden hatten, dass sich etwas grundlegend ändern müsste. Im benachbarten Griechenland hatte die Einführung des Euros und der damit verbundene anstrengungslose Aufschwung diese Erkenntnis lange Zeit verhindert.

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