Kampf gegen Korruption in Griechenland:"Das Geld gehört dem Volk"

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In Griechenland ist eine neue Welt mit neuen Regeln entstanden, immer öfter wird Korruption verfolgt und bestraft. Im Zappeion (Bild) wurde der Vertrag für den Beitritt Griechenlands in die Eurοpäische Union unterzeichnet. (Foto: AFP)

Lukrative Deals, korrupte Beamte und jede Menge Schmiergeld: Jahrzehntelang war die Wirtschaftspolitik Griechenlands vom illegalen "Geben und Nehmen" geprägt. Damit soll nun Schluss sein. Etwa 30 junge Staatsanwälte versuchen, das gewaltige Netz der Korruption zu zerschlagen - von zu Hause aus und mit Hilfe selbst gekaufter Computer.

Von Hans Leyendecker und Klaus Ott, München, und Tasos Telloglou, Athen

Papagiotis Efstathiou war viele Jahre Offizier bei der griechischen Marine. Sein Wort zählte und Offiziere reden gern über Ehre. Bevor der 83-Jährige am Donnerstag mit seinem Verteidiger zur Vernehmung bei der Athener Staatsanwaltschaft erschien, wird er wohl schon geahnt haben, dass es keine Teestunde werden würde, kein Austausch von Freundlichkeiten. Die Strafverfolger behandelten ihn wie jemanden, der dem Land geschadet und Griechenland verraten hat. Wie einen Staatsfeind.

Zwölf Stunden lang vernahm der Ermittler Gavriil Mallis im Athener Landesgericht den alten Mann und irgendwann wurde es sehr laut: "Ich will die komplette Liste derjenigen, die Geld erhalten haben" schrie der Staatsanwalt. Sogar auf den Gerichtsfluren konnte man das angeblich hören: "Von ganz unten bis ganz oben. Die komplette Aufstellung. Das Geld gehört dem griechischen Volk". Der Alte brach am Ende zusammen. Nur gegen 500.000 Euro Kaution bleibt er auf freiem Fuß.

Ex-Verteidigungsminister hinter Gittern

Efstathiou gilt als eine der Schlüsselfiguren im neuesten Schmiergeldverdacht bei deutsch-griechischen Rüstungsverträgen. Es ist nicht der erste derartige Fall. Im vergangenen Jahr war in Athen der frühere Verteidigungsminister Akis Tsochatzopoulos zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden, wegen Geldwäsche. Er hatte nach Erkenntnissen der Ermittler beim Kauf von deutschen U-Booten und russischen Raketen die Hand aufgehalten. Mit Tsochatzopoulos begann in Griechenland die Aufklärung und Aufarbeitung dubioser Rüstungsdeals, jetzt folgt die Fortsetzung.

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:Neuer Verdacht gegen Rüstungskonzern

Mit fragwürdigen Gegengeschäften soll der Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann Griechenland zum Kauf von "Leopard"-Panzern gelockt haben. Zudem tauchen Hinweise auf, dass Schmiergelder ins Verteidigungsministerium nach Athen geflossen sein könnten.

Von Klaus Ott, München, und Tasos Telloglou, Athen

Das Ausmaß mutmaßlicher Schmiergeldzahlungen ist in Umrissen durch ein umfassendes Geständnis des früheren Rüstungsdirektors im Verteidigungsministerium, Antonios Kantas, sichtbar geworden. Kantas hatte unter anderem zugegeben, von Efstathiou bei Geschäften mit deutschen Rüstungsfirmen bestochen worden zu sein. Jetzt hat der Alte die Aussage von Kantas bestätigt. Er fügte hinzu, er sei von dem ehemaligen Direktor quasi "erpresst" worden: "Hätte ich nicht gezahlt, hätte ich nicht den Auftrag gekriegt". Versteht man das unter Erpressung?

Einblicke in eine schmierige Welt

Die Geständnisse von Kantas und Efstathiou erlauben Einblicke in eine schmierige Welt, in der den Akteuren offenbar das Gefühl für Recht und Unrecht verloren ging. Bei seinem Verhör jedenfalls hat der 83-Jährige zugegeben, für die Bremer Unternehmen Atlas Elektronik GmbH und Rheinmetall Defence Electronics eine Führungsgarde von Amtsträgern in seinem Land bestochen zu haben: Dabei sei es um neue Elektronik für die alten Poseidon-U-Boote und um den Kauf des Flugabwehrsystems Asrad mit Stinger Boden-Luft-Raketen gegangen.

Sogar die frühere Spitze des Militärs soll in den Bestechungsskandal verwickelt sein: Angeblich seien der verstorbene ehemalige Chef der Marine, Admiral Theodorulakis Giorgos, und der noch lebende Chef des Heeres, Kostas Panajiotakis und acht weitere höhere Offiziere mit insgesamt drei Millionen Euro bestochen worden. Die beiden Chefs haben den Ruf integrer Offiziere, die sich auch mit Politikern anlegten. Und obwohl die Rüstungsbranche anfällig für Schmiergeld-Deals sein soll, galt die griechische Armee, mehr oder weniger, als eine der wenigen nicht korrupten Institutionen des Landes.

Angeblich, so sagte der Alte noch aus, habe die deutsche Firma Atlas Elektronik das Geld an zwei Londoner und eine panamesische Firma überwiesen, die ihm gehörten. Von dort sei das Geld nach Genf geflossen und dann im Koffer nach Griechenland gebracht worden. Angeblich habe er über das Genfer Konto auch Geld an drei hochrangige Mitarbeiter von Atlas überwiesen. Kick-Backs heißen solche Zahlungen in der Fachsprache. Atlas Elektronik erklärt dazu, man untersuche die Vorwürfe aus Griechenland nun selbst. Rheinmetall sagt, es habe keine unzulässigen Zahlungen an griechische Amtsträger gegeben. Einen Vertrag mit Firmen von Efstathiou hat Rheinmetall aber gehabt. Bis 2009.

In dem Fall ermitteln auch Bremer Staatsanwälte. Ihnen liegen Informationen vor, dass Efstathiou insgesamt 18 Millionen Euro Schmiergelder verschoben habe. Der Athener Ermittler Mallis konfrontierte den Alten mit den Erkenntnissen seinen Bremer Kollegen. Mallis will offenbar ganz weit nach oben. Zu den Hauptakteuren. Am Ende könnten die Fahnder auf viele geheime Vermögen stoßen.

Die Fertigkeit, sich zu bereichern, galt früher in Griechenland, aber auch in anderen Gegenden der Welt, als geschickt. Diejenigen, die schroff alle Erkenntlichkeiten ablehnten, standen im Ruch, etwas verschroben zu sein. Wenn einer Jahrgang 1928 ist wie der alte Efstathiou, dann muss ihm die heutige Aufregung um das Geben und Nehmen merkwürdig vorkommen.

Lange bevor er geboren wurde, gab es in seinem Land schon das Zauberwort "Rousfetia". Das stammt aus dem Türkischen. "Rüsvet" sind die vielen kleinen Gefälligkeiten, die einer im Austausch für andere Gefälligkeiten leistet. "Fakelo" ist der Umschlag, den man jemandem zuschiebt, um eine Dienstleistung etwa im Krankenhaus zu erhalten. "Fakelaki" ist gewissermaßen das System der Umschlags-Wirtschaft, die viele Jahre Teil der politischen Kultur war, die aus dem Jahrhunderte alten "Klientelismus" der Parteien entstanden ist.

"Rousfetia", "Fakelaki" - das klingt fast so harmlos wie das deutsche "Anfüttern", das seit einigen Jahren zum Abc der hiesigen Korruptionsliteratur gehört, ist aber weit exotischer und viel verbreiterter.

Es gibt eine ziemlich frische Erhebung der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International (TI), nach der sechs von zehn Griechen mindestens einmal Bestechungsgeld gezahlt oder kassiert haben. Seit Jahren ist Griechenland im Korruptions-Index von TI das am schlechtesten bewertete Land in der Europäischen Union. In Hellas waren früh alle Voraussetzungen für Korruption gegeben: Klientelismus, Bürokratie, schwache Justiz, viele Schlupflöcher in der Gesetzen.

Aber, das zeigen Ermittlungen wie die von Mallis, die Verhältnisse ändern und bessern sich, von Fall zu Fall. Es ist nicht einmal zehn Jahre her, da gab es noch keine ausgewiesenen Korruptionsermittler im Land. Man legte sich mit den politischen Gönnern nicht an. Der größte deutsche Korruptionsfall, der 2006 aufgeflogene Siemens-Schmiergeldskandal, hat auch die griechischen Verhältnisse durcheinandergebracht. Rasch wurde klar, dass auch in Hellas die Landschaft gepflegt worden war und die umfänglichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I lieferten den Griechen viel Material für eigene Nachforschungen. Draus sind dann viele Verfahren entstanden.

In der Geschichte der Korruption in Griechenland war der Fall Siemens möglicherweise sogar das Ereignis, das die Zeit in ein Davor und ein Danach scheidet. Dann kam der wirtschaftliche Zusammenbruch des Landes; Misswirtschaft und Korruption wurden Themen. Die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds drängten die Griechen, mehr gegen das Fakelaki-System zu unternehmen. In Athen und Saloniki wurden Einheiten von Strafverfolgern etabliert, die vor allem gegen Korruption und Untreue kämpfen. Insgesamt ist das ein kleine Truppe. Etwa 30 Staatsanwälte - eigentlich nicht viel für so ein Land. Allein München hat weit mehr Strafverfolger, die sich mit der Aufklärung von Wirtschaftsstraftaten beschäftigen.

Für Griechenland bedeutete diese Truppe aber eine deutliche Zäsur. Die meisten Korruptionsermittler sind zwischen 28 und 40 Jahre alt, viele Frauen sind darunter. Die unteren und jüngeren Staatsanwälte beim Landgericht Athen arbeiten teilweise von zu Hause, da in den öffentlichen Gebäuden kein Raum für diese neuen Einheiten ist. Sie teilen sich Schreibkräfte, arbeiten mit eigenen Computern, eigenen Büchern und zahlen selbst das Papier, auf das sie ihre Ergebnisse drucken. Ihr Verdienst liegt im Schnitt bei 2000 Euro netto, die Chefin bekommt 2500 Euro.

Sieben Staatsanwälte nehmen Rüstungsdeals unter die Lupe

Mit den Schmiergelduntersuchungen bei den Rüstungsdeals sind sieben Frauen und Männer beschäftigt. Die bekannteste Ermittlerin ist Popi Papandreou. Sie kümmert sich um Geschäfte mit deutschen U-Booten und russischen Hubschraubern, aber auch um die Plünderung von Krankenkassen und Feinheiten wie den Kauf des englischen Abiturs gegen Geld.

Natürlich fehlt es noch an Expertise, mancher Ermittler tut sich schwer, Bilanzen zu lesen. Einige sprechen kaum Englisch, die meisten verstehen wenig von IT. Aber im Verfassen von Rechtshilfeersuchen an andere Staaten haben es die Griechen zu einer Meisterschaft gebracht.

Die Beschuldigten bei den Rüstungsgeschäften überbieten sich in der Bereitschaft, auszusagen, da sie nach einem vor gut zwei Jahren verabschiedeten Gesetz auf Milde hoffen können. Die meisten von ihnen werden wohl wegen Diebstahls staatlicher Gelder angeklagt, und wer rechtzeitig auspackt, muss möglicherweise nicht ins Gefängnis. Im Krankenhaus, bei der Genehmigung von Bauanträgen und auch sonst in der Verwaltung, wird noch immer bestochen, aber die Summen sind kleiner geworden und nicht selten wird der Korrupti verhaftet.

Es ist eine neue Welt entstanden mit eigenen neuen Regeln, und für die Alten wie Efstathiou sind die Regeln nicht leicht zu verstehen. Immerhin haben es seine Anwälte am Freitag geschafft, ihn fürs Erste vor der Haft zu bewahren. Die Kaution in Höhe von 500.000 Euro wird er wohl noch aufbringen können.

© SZ vom 04.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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