Kampagne gegen 4chan:Rätsel um Nacktfotos von Emma Watson
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Drei Tage, dann würden Nacktfotos von Emma Watson veröffentlicht, lautete die Drohung. Sie kam als Reaktion auf die Feminismus-Rede der Schauspielerin vor den UN. Angeblich steckt hinter der Aktion eine PR-Firma - die sehr unprofessionell agiert.
Von Hakan Tanriverdi
Es hätte wahr sein können und niemand hätte sich gewundert, das ist der traurige Teil der Geschichte. Der positive ist: Anscheinend hat sich niemand in die Intimsphäre der Schauspielerin Emma Watson gehackt und dort Nacktbilder von ihr geklaut, um diese im Internet zu veröffentlichen. Genau das war die Drohung, zu lesen auf der Seite EmmaYouAreNext.com, übersetzt: Emma, du bist die Nächste. Die Seite ist eine PR-Aktion einer vermutlich fiktiven Firma namens Rantic.com. Je länger man sich die Seite anschaut, desto mehr Fragen entstehen.
Es ist erst ein paar Tage her, da hielt Emma Watson eine beeindruckende Rede vor den Vereinten Nationen ( hier der Wortlaut). Watson ist UN-Botschafterin für Frauenrechte, ihr Thema an diesem Tag war Feminismus. In ihrer Rede sagte Watson, dass Gleichberechtigung für Männer ebenfalls wichtig sei. Dass Feminismus nicht heiße, Frauen mehr, sondern die gleichen Rechte zu geben und dass dies nur dann funktionieren könne, wenn auch Männern mehr Emotionalität zugestanden würde: "Ich habe junge Männer gesehen, die psychisch erkrankt und unfähig gewesen sind, sich Hilfe zu suchen. Sie hatten Angst, das würde sie weniger 'Macho' erscheinen lassen", sagte sie und legte nach, dass in Großbritannien die meisten Männer zwischen 20 und 49 Jahren durch Suizid sterben würden. Als sie fertig war, erhielt sie stehende Ovationen.
Zusammen mit der Rede veröffentlichte Watson die Seite HeForShe.org. Dort sollen Männer unterschreiben, wenn sie sich für Gleichberechtigung aussprechen; bis dato gibt es 95 000 Unterschriften, davon 2200 aus Deutschland (wobei nicht überprüft werden kann, ob die Personen, die unterschreiben, Männer oder Frauen sind). Größtenteils wurde die Kampagne positiv aufgenommen. Bis auf eine Internet-Seite: 4chan. Dort gibt es ein Unterforum mit dem Namen /b/, das bekannt ist für zwei Dinge: politischen Aktivismus - dort entwickelte sich das Kollektiv Anonymous - und grenzenlosen Hass: Rassismus, Schwulen- und Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus - alles wird geduldet.
Für Frauen ist das Internet eine Gefahrenzone
Laut dem US-Blog Death and Taxes startete dieses Subforum den Versuch, Twitter mit einem Hashtag zu fluten, unter #RIPEmmaWatson. Die Botschaft: Emma Watson solle in Frieden ruhen, weil sie nach dieser Rede gestorben sei, zumindest für diese Menschen. Zeitgleich wurde die Seite EmmaWatsonYouAreNext.com veröffentlicht. Ein Countdown war zu sehen samt einer Ankündigung, dass bald Nacktbilder von Watson veröffentlicht würden. Weil beide Aktionen quasi zeitgleich starteten, vermuteten viele einen Zusammenhang.
Die Drohung wurde ernst genommen - und das zu Recht. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, wie stark Frauen im Internet drangsaliert werden. Die Organisation "Working to Halt Online Abuse" kommt zu dem Ergebnis, dass von 3787 Menschen, die Drohungen im Internet angezeigt haben, 72,5 Prozent Frauen waren. Laut der Behörde, die sich um frauenfeindliche Gewalt kümmert, sind 60 Prozent aller Cyberstalking-Opfer weiblich. Das Bündnis gegen "Revenge Porn" (deutsch: "Rachepornos") gibt an, dass eine von zehn Frauen von ihrem Partner mit Nacktbildern unter Druck gesetzt werde. Von diesen zehn Prozent machen etwas mehr als die Hälfte, also ungefähr sechs von 100 Männern, ihre Drohung wahr und stellen intime Bilder der Frauen ins Netz. All das zeigt: Für Frauen ist das Internet eine Gefahrenzone.
Dazu kommt, dass erst in den vergangenen Wochen Fotos von US-Prominenten veröffentlicht wurden, auch damals auf 4chan. Alles gute Gründe, eine Drohung wie die gegen Emma Watson ernstzunehmen.
Schlecht formatiert, viele Grammatikfehler
Doch wie sich nun herausstellt, steckt hinter der Seite eine PR-Firma, die Rantic heißt und nach eigener Aussage ein Marketing-Unternehmen ist, das "an einigen der viralsten Kampagnen und Musikvideos teilgenommen hat." Denn wer jetzt auf die Seite EmmaYouAreNext.com surfen will, wird auf Rantic.com weitergeleitet. Dort zu lesen ist ein offener Brief, gerichtet an Barack Obama. Darin heißt es, dass die Menschen hinter Rantic von "berühmten Publizisten" angeheuert wurden, um dieses "widerliche Thema" an den US-Präsidenten zu tragen. Das widerliche Thema: Die Veröffentlichung von Nacktfotos durch Dritte. "Das Internet muss zensiert werden", heißt es in dem Brief, der auffällig schlecht formatiert ist und voll von grammatikalischen Fehlern. 4chan solle gestoppt werden.
Über Rantic finden sich nur wenige Informationen im Netz. Der erste Tweet des Unternehmens stammt vom 17. September und lautet: "Manche behaupten, Viralität könne nicht vorausgesagt werden. Aber wir haben das Rezept". Der unprofessionell geschriebene Brief und diese Selbstinszenierung des Unternehmens hinterlassen mehr Fragen als Antworten. Dass die Firma beauftragt wurde, ist bis dato jedenfalls nur eine Behauptung. Unter dem Brief stellt sich Rantic in einer Kurzbeschreibung vor und gibt an, dass der Chef der Firma Brad Cockingham heiße, der Nachname enthält das englische Wort für Penis. Seiten wie Business Insider vermuten deswegen, dass die Agentur nicht existiert. Laut Spiegel Online ist Rantic die "elaborierte Schöpfung eines sehr ehrgeizigen Trolls."
Vor allem aber ist der Umgang mit Emma Watson fragwürdig. War sie eingeweiht oder wurde ihre Person ausgenutzt, weil sie für Geschlechtergerechtigkeit eingetreten ist? Wurde also in Kauf genommen, dass Watson über sich Drohungen im Internet lesen musste? Diese Fragen bleiben ungeklärt. Je nach Antwort wäre die Aktion mindestens unprofessionell - oder ein Desaster. Ein weiterer Beweis dafür, dass das Internet für Frauen eine Gefahrenzone ist.