Kakao:Bittere Note

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Junge Frauen in einer Kakaoplantage im afrikanischen Staat Elfenbeinküste. Das Anbauland setzt sich für eine bessere Bezahlung für die Beschäftigten der Branche ein. (Foto: Sia Kambou/AFP)

Kakaobauern sollen dank eines neuen Prämiensystems stärker vom Geschäft profitieren. Die Anbauländer Ghana und Elfenbeinküste werfen Unternehmen vor, die Maßnahmen zu umgehen.

Von Caspar Dohmen, Berlin

Mitten im Advent, der Hauptsaison für Leckereien aus Schokolade, werfen die beiden Hauptanbauländer von Kakao großen Konzernen vor, ihre Bemühungen um eine bessere Bezahlung der Bauern zu torpedieren. Ghana und die Côte d'Ivoire sind überzeugt, dass Hershey, Mars, Olam sowie weitere kleinere Anbieter das neue System der Prämien umgehen. Sie wendeten "verdeckte Strategien" an, um den Mechanismus zu vermeiden, das Einkommen für Kakaobauern zu verbessern - mit dem Ziel, "ihn zum Einsturz zu bringen", heißt es in einem Brief der beiden staatlichen Kakaobehörden, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die Entwicklung lasse Zweifel aufkommen, ob die Unternehmen wirklich interessiert seien, "die Armut von Kakaobauern effektiv zu bekämpfen", sagt Evelyn Bahn, Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte beim Inkota-Netzwerk. Die Unternehmen wiesen die Vorwürfe zurück.

Ghana und die Elfenbeinküste, die rund 60 Prozent der Weltkakaoernte produzieren, haben mit Beginn der seit Oktober laufenden Erntesaison ein neues staatliches Prämiensystem eingeführt. Für jede Tonne Kakao, die exportiert wird, muss - unabhängig vom Weltmarktpreis - eine Sonderabgabe von 400 Dollar bezahlt werden. Davon sollen alle Kleinbauern profitieren, anders als etwa bei einem privaten Zertifizierungssystem wie Fairtrade, bei dem naturgemäß nur ein Teil der Bauern mitmachen kann. Im Durchschnitt verdienen die rund drei Millionen Kakaobauern in den beiden westafrikanischen Ländern weniger als einen Dollar am Tag und leben damit unterhalb der Armutsgrenze von 1,90 Dollar, die ohnehin schon knapp bemessen ist. Sie haben meist keine Ersparnisse und können oft auch keine erwachsenen Helfer bezahlen, auf die sie aber angewiesen sind. Viele beschäftigen deswegen ihre eigenen oder fremde Kinder. Rund 1,56 Millionen Mädchen und Jungen im Alter von fünf bis 17 Jahren sind es einer jüngst veröffentlichten Studie der Universität Chicago zufolge alleine in Ghana und der Côte d'Ivoire.

Hershey und Mars weisen die Vorwürfe zurück

Wie aber sollen die Schokoladenunternehmen das Prämiensystem umgangen haben? Dem US-Hersteller Hershey werfen die Staaten in einem gesonderten Schreiben vor, den New Yorker Terminmarkt genutzt zu haben, um die Prämien zu unterlaufen. Üblicherweise sichern sich Unternehmen dort gegen Preisschwankungen beim Kakao ab. Es ist aber unüblich, dass sie sich auf diesem Wege tatsächlich physisch Kakao beschaffen. Genau dies hatte Hershey aber wohl getan. Dies sei ein "klarer Hinweis" auf die Absicht des Unternehmens, eine Zahlung des sogenannten Living Income Differential (LID) "zu vermeiden", heißt es in dem Brief des Ghana Cocoa Board und des Conseil du Café-Cacao der Côte d'Ivoire. Die Behörden nennen weitere Strategien, die ihrer Meinung nach Unternehmen nutzten, um das Prämiensystem zu unterlaufen. Dazu gehörten veränderte Rezepturen, bei denen weniger Kakao oder Kakaobutter aus den beiden Ländern eingesetzt würden, die für vergleichsweise gute Qualität im Massenmarkt für Kakao bekannt sind. Außerdem werde hochwertige Kakaobutter in Schokolade durch billigere Fette ersetzt. Die Behörden untersagten Hershey den weiteren Betrieb von Nachhaltigkeitsprogrammen für Schokolade in ihren Ländern, ein ungewöhnlicher Schritt. Die Maßnahmen seien richtig, wenn Konzerne die Prämie umgingen, selbst wenn dies einzelnen Bauern Nachteile bringe, erklärte die Ghana Civil Society Platform. Um das Misstrauen zwischen kakaoproduzierenden Ländern und Käufern zu beseitigen, brauche es Transparenz beim Verkaufsgeschehen.

Hershey wies den Vorwurf entschieden zurück und erklärte, bei dem Prämiensystem in der laufenden Saison "voll beteiligt zu sein". Das US-Familienunternehmen Mars, welches in Viersen am Niederrhein ein großes Werk betreibt, widersprach ebenfalls kategorisch: Man habe seine Einkaufspraktiken nicht geändert, um die Zahlung des LID zu vermeiden. Mars habe als erstes Schokoladenunternehmen das LID öffentlich unterstützt und sei "enttäuscht, dass andere in der Branche in letzter Zeit andere Einkaufswege gewählt haben". Ein Hinweis darauf, dass die Kritik der beiden Staaten berechtigt sein könnte. Olam sprach gegenüber der Financial Times von der großen Bedeutung der beiden Länder für sein Geschäft und verwies auf seine Investitionen und Unterstützung für die Bauern. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Singapur ist einer der großen Anbieter von Kakaovorprodukten, die auch in Deutschland in Schokoladenleckereien landen. Der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie steht der Sonderabgabe auf Kakao grundsätzlich "positiv gegenüber". Ihm liegen "keine Informationen vor", ob Mitgliedsunternehmen sich wegen des Prämiensystems anderswo Kakao beschafften.

Deregulierungen haben die Situation für die Bauern kaum verbessert

Für Ghana und die Côte d'Ivoire stehe viel auf dem Spiel, wenn sie einen Teil ihrer Ernte nicht verkaufen könnten, sagt Branchenexperte Friedel Hütz-Adam von der NGO Südwind. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie könnten sie sich das kaum leisten. Die harsche Kritik der beiden Staaten gegenüber den Schokoladenkonzernen erklärt sich auch aus der Vergangenheit. Fast alle Kakaoanbauländer hatten seit dem Ende der 1980er-Jahre ihren Markt dereguliert, ohne dass sich die Situation für die Kakaobauern in der Folge wesentlich verbessert hätte. Ghana behielt damals seine Regulierung bei, einschließlich Mindestpreisen für den Kakao. Die Côte d'Ivoire kehrte nach einer Phase der Deregulierung in den 2010er-Jahren zu einer Regulierung zurück, ebenfalls mit Mindestpreisen. Einen herben Rückschlag gab es dann jedoch in der Erntesaison 2016/17. Aufgrund des Preisverfalls für Kakao an den Weltmärkten konnte das Land den versprochenen Mindestpreis nicht halten und senkte ihn mitten in der Erntesaison deutlich ab. Die Erwartung der Bauern an die neue Sonderabgabe waren hoch, zu erleben Anfang des Jahres in dem kleinen Dorf Kofesso Bioula Bougon in der Côte d'Ivoire. Die Regierung habe die Macht, höhere Kakaopreise durchzusetzen, sagt Tayama Bekoua, einer der Wortführer der dortigen Kakaobauern. Das Prämiensystem sei dafür wichtig.

Unstrittig ist auch in der Industrie, dass die Kakaobauern dringend ein höheres Einkommen benötigen. Dabei setzt sie vor allem auf eine Steigerung der Produktivität durch Mehrarbeit, einen höheren Einsatz von Pestiziden und die Bewirtschaftung größerer Flächen. Friedel Hütz-Adam bezweifelt, dass das Rezept im Falle der Kakaobauern tatsächlich aufgehen und die Bauern so mehr netto verdienen könnten. "Ich kenne keine Studie, die das belegt", sagte er. Inflationsbereinigt ist der Weltmarktpreis für Kakao seit 1980 um 40 Prozent gefallen. Das liegt vor allem an einer höheren Produktion. Hinzu kommt die immense Konzentration der Schokoladenherstellung auf wenige Konzerne entlang der Lieferkette mit entsprechender Marktmacht. Gerade einmal sechs Prozent des Preises einer Tafel Schokolade gehen heute im Durchschnitt an die Kakaobauern. Nutznießer sind Unternehmen und Konsumenten in Europa, den USA oder Japan. Sie machen höhere Profite oder zahlen niedrigere Preise. Der Aufschlag von 400 Dollar je Tonne Kakao in Ghana und der Elfenbeinküste macht sich dabei kaum bemerkbar. Laut dem Kakaoverarbeiter Barry Callebaut würde eine Tafel Milchschokolade um rund ein Prozent teurer, Eis oder Kekse um ein halbes Prozent.

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