Kakao:"Ausbeutung, die an Sklaverei grenzt"

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Ein begehrtes Gut: die Kakao-Bohne. (Foto: Wolfgang Kumm/picture alliance)

Das Geschäft mit Schokolade floriert. Das große Geld wird in den Industriestaaten gemacht, die Kakaobauern gehen dagegen fast leer aus.

Von Markus Balser und Bernd Dörries, Berlin/Kapstadt

Kwaki Baprui Asante kann sich noch gut daran erinnern, wie das war, als Ghana 1957 als erstes Land in Subsahara-Afrika seine Unabhängigkeit erlangte. Der erste Präsident Kwame Nkrumah hatte große Ziele, wollte sein Land nach vorne bringen, wollte die Schätze des Landes teuer verkaufen. Er plante den riesigen Obervolta-Stausee und auch für den Kakao, das Vorzeige-Produkt des Landes, hatte er große Pläne: Kwaki Baprui Asante war damals sein engster Mitarbeiter und hat dabei geholfen, eine Fabrik aufzubauen für die Produktion der Säcke, in denen der teure Rohstoff außer Landes gebracht wurde. "Wir wollten die Wertschöpfungskette ausbauen", sagt er. Die Säcke sollten nur der Anfang sein, die Weiterverarbeitung folgen, vielleicht sogar mit eigenen Schokoladenfabriken.

Die Landwirtschaftsministerin sieht die deutschen Verbraucher in der Verantwortung

Sechzig Jahre später funktioniert nicht einmal mehr die Fabrik für die Kakao-Säcke. "Wir müssen sie wieder aus China importieren", sagt Asante. Die Träume von damals, sie haben sich nicht erfüllt. "Wir haben immer noch zu wenig verarbeitende Industrie." Es ist das große Dilemma Afrikas. Die Rohstoffe werden unverarbeitet in die USA oder nach Europa exportiert, dort wird der äthiopische Kaffee geröstet und der ghanaische Kakao zu teurer Schokolade verarbeitet. In den Industriestaaten wird das große Geld gemacht. In den Herkunftsländern dagegen kommt noch immer nur wenig an. Gerade mal sechs Prozent des Kaufpreises einer Tafel Schokolade fließen zurück in die Erzeugerländer. Zum Kakaobauern selbst womöglich nur ein Prozent. Ruben Flores Agreda, der Agrarminister des lateinamerikanischen Kakaolandes Ecuador, weiß wo die Gewinne bleiben: 70 Prozent flössen an den Handel und die Hersteller in den Industriestaaten, klagte er dieser Woche auf der Welt-Kakao-Konferenz in Berlin. 1500 Teilnehmer aus mehr als 60 Ländern diskutierten bei dem Treffen über Qualität und Anbau von Kakao und die Situation der Kakaobauern in Afrika, Asien und Lateinamerika. Agredas Fazit fiel dabei vernichtend aus: "Etwas funktioniert nicht mehr. Der Markt benachteiligt die Bauern systematisch." Kameruns Handelsminister Luc Magloire Mbarga Atangana ging noch weiter und richtete einen dramatischen Appell an die versammelten Minister und Manager. "Wir müssen umsteuern. Unsere Bauern können nicht mehr. Sie erleben Ausbeutung, die an Sklaverei grenzt."

In den vergangenen zwei Jahren hatte sich die Situation vieler Bauern drastisch verschlechtert. Der Preis je Kilo Kakaobohnen war von drei auf zwei Dollar eingebrochen. Bitter sei für die Bauern, dass der Verkaufspreis von Schokolade im gleichen Zeitraum sogar leicht gestiegen sei, sagt Jean-Marc Anga, Chef des Weltkakaoverbandes ICCO. Zwar steigt auch der Kakao-Preis seit Jahresanfang wieder an. Die Situation der Bauern wird allerdings nicht besser. Denn Schuld am höheren Preis ist die schlechten Ernte und das deshalb geringere Angebot. "Alle am Markt sollten ein menschenwürdiges Einkommen erhalten", fordert Kakao-Funktionär Anga. "Doch das ist einfach nicht der Fall."

Schuld an der Misere aber ist nicht nur der Verfall der Weltmarktpreise und die Dominanz westlicher Großkonzerne. Ein Teil der Probleme liegt auch in Afrika, Asien und Südamerika. Länder wie Ghana haben sich über Jahrzehnte nicht bemüht, mehr aus ihren Schätzen zu machen. Es wurde so gut wie nichts in die weiterverarbeitende Industrie investiert. Es gab kaum Absprachen unter den Anbauländern.

Deutschland ist Exportweltmeister für Schokoladenprodukte

Warum, so fragen Kritiker heute, gründeten die Länder nicht so etwas wie die Opec für Kakao, ein Kartell, das die Preise mitbestimmt? Auch Kakaoverbands-Chef Anga fordert mehr Engagement. "Viele Regierungen sagen, sie hätten keinen Einfluss auf den Preis. Aber sie versuchen es ja nicht mal." Es gebe oft nicht einmal Statistiken darüber, wie viel geerntet worden sei. "Wie soll man da das eigene Angebot besser steuern?" Trotz großer Armut unter den Bauern gibt es in den Erzeugerländern für viele Menschen kaum eine andere Chance, etwas zu verdienen. Die Folge: Wälder werden weiter illegal gerodet und neue Plantagen errichtet. Bauern müssen mehr produzieren, um das gleiche zu verdienen. Das verstärkte zuletzt noch jenes Überangebot, das zum weltweiten Preissturz führte. Bis heute hat sich der Markt davon nicht erholt. Es müsse nun darum gehen, die Entwicklung zu überwinden, die den Bauern als "Spirale in die Hölle" erscheine, sagt Kameruns Handelsminister Luc Magloire Mbarga Atangana.

Nur wie? Ghana und die Elfenbeinküste, die zusammen etwa 65 Prozent der Weltmarktproduktion exportieren, haben im vergangenen Jahr angekündigt, mehr für die Preisgestaltung zu tun. Sie wollen moderne Lagerhäuser bauen, in denen sie Teile der Produktion lagern und so den Markt verknappen können. Das könnte zu steigenden Preisen führen. Auch beim Marketing und der Forschung wollen die beiden Länder zusammenarbeiten. Es ist ein Anfang. Doch die meisten Bauern sind noch immer nicht organisiert und stehen großen verarbeitenden Konzernen allein gegenüber. Ihre Interessen können sie nur schwer vertreten. Der überwiegende Teil von ihnen lebt in großer Armut. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sieht die deutschen Verbraucher beim Schokoladenkonsum in der Verantwortung. "Jeder entscheidet beim Kauf mit", sagte sie. "Jeder entscheidet für oder gegen Kinderarbeit, für oder gegen illegale Rodung von Regenwald."

Ziel sei es, dass bis zum Jahr 2020 insgesamt 70 Prozent der in Deutschland zu Süßigkeiten verarbeiteten Schokolade aus nachhaltigem Anbau stamme, kündigte sie an. Deutschland habe als Exportweltmeister für Schokoladenprodukte eine herausgehobene Position und Verantwortung. Mehr Nachhaltigkeit, mehr Fairness. Die Welt-Kakao-Konferenz ging am vergangenen Mittwoch in Berlin mit der Verabschiedung einer Vision für den Kakao-Markt der Zukunft zu Ende. Ob sich wirklich etwas ändert? In Afrika und Südamerika hat man da Zweifel. Es brauche dringend eine echte "Botschaft der Solidarität", sagte Ecuadors Agrarminister Agreda. Denn "Ungerechtigkeit und Ungleichheit drücken sich in Flüchtlingsströmen aus, die man mit Mauern nicht bremsen kann."

© SZ vom 03.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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