Kaiser's Tengelmann:Der Mann, der sich nicht entschließen kann

Tengelmann-Chef Haub hat lange an vielen unrentablen Supermärkten festgehalten. Sein Zaudern hat Tradition.

Von Michael Kläsgen

Jetzt ist Karl-Erivan Haub genau da angelangt, wo er vor zwei Jahren schon stand. Man könnte sogar noch weiter zurückgehen - bis ins Jahr 2000, als er von seinem Vater Erivan Haub die Führung der Unternehmensgruppe Tengelmann (Obi, Kik) übernahm. Nämlich bei der Frage: Wie werde ich diese Supermärkte bloß los? Und vor allem wann endlich? Am Freitag verschob er die Entscheidung darüber wieder um zwei Wochen. Man kennt das inzwischen von Haub. Er kann sich nicht entschließen. Man weiß eigentlich nicht genau, warum. Nur: Er macht damit alles schlimmer, für sich und die Mitarbeiter.

Dabei hätte er sich die Frage gar nicht stellen müssen. Haub hätte sich auch zu den Supermärkten bekennen können. Noch 1993, zum 100. Geburtstag der Tengelmann-Filialkette, meldete sein Vater einen Gruppenumsatz von mehr als 50 Milliarden D-Mark.

Tengelmann-Filiale in München, 1961

Es gab eine Zeit, da bedeutete "Ich geh' zum Tengelmann" so viel wie "Ich geh' einkaufen". Hier eine Filiale in München-Fürstenried.

(Foto: Otfried Schmidt/SZ Photo)

"Ich geh' zum Tengelmann"

Damit gehörte das Unternehmen aus Mülheim an der Ruhr zu den größten Lebensmittelfilialbetrieben der Welt. In manchen Städten Deutschlands war der Satz: "Ich geh' zum Tengelmann" gleichbedeutend mit: "Ich geh' einkaufen." Haub aber konnte und wollte mit den Supermärkten nichts anfangen. Es sah "kein Marktpotenzial". Und so war eine seiner ersten Entscheidungen als Konzernchef, die Plus-Märkte zu verkaufen.

Damit nahm das Drama seinen Lauf.

Man kann den Krimi um die Supermarktkette Kaiser's Tengelmann, der sich seit zwei Jahren abspielt, nicht in Gänze begreifen, wenn man die Ereignisse von damals nicht im Hinterkopf behält. Seine Plus-Märkte verkaufte Haub nicht an irgendeinen, sondern an Edeka, und damit begann Edekas Aufstieg zum unangefochtenen Marktführer in Deutschland.

CDU-Wahlkampf - Tengelmann

Karl-Erivan Haub machte gern Wahlkampf für die CDU. Seit April gilt er als verschollen, für tot wurde er noch nicht erklärt.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Aber auch der Edeka-Konkurrent Rewe ging nicht leer aus. Haub musste aus kartellrechtlichen Gründen etliche Plus-Märkte an Rewe abtreten, vor allem jene im Rhein-Main-Gebiet, wo Rewe deswegen heute Marktführer ist. Der entscheidende Punkt aber ist: Der Deal war offenbar für Haub wenig lukrativ. Es heißt, er musste am Ende draufzahlen. Ein Insider sagt: "Er fühlt sich bis heute von Rewe über den Tisch gezogen."

Das erklärt, warum er sich heute noch so schwer tut, mit Rewe-Chef Alain Caparros zu verhandeln. Persönliche Animositäten kämen noch hinzu, sagen Leute, die es wissen müssen. Im August 2014 rafft sich Haub dennoch auf, den Franzosen mit dem deutschen Pass zu Verkaufsgesprächen einzuladen. Haub will auch den letzten Supermarkt loswerden. Der Name Tengelmann soll über keinem Geschäft mehr stehen. Rewe bietet angeblich einen höheren Preis als Edeka. Dennoch schließt Haub wenige Tage später einen Kaufvertrag mit Edeka. Caparros schäumt. Er soll nicht eine einzige Filiale erhalten. Nicht mal dort, wo Edeka eh schon Marktführer ist, etwa in Berlin. Das "Gesamtpaket" soll an Edeka gehen, auf Biegen und Brechen.

Dabei muss man kein Experte sein, um zu erkennen, dass es problematisch ist, dem Branchenführer ein weiteres Stück vom Kuchen zu geben. Haub will es dennoch tun. Als das Kartellamt nein sagt, klagt er gegen die Entscheidung. Er versucht sogar, den Bundeswirtschaftsminister zu instrumentalisieren.

Mittels einer Ministererlaubnis will Haub das "Gesamtpaket" durchboxen. Was ihn bewegt, ist rätselhaft. Er hat Kaiser's Tengelmann in Grund und Boden gewirtschaftet und seit 2000 keinen Cent zu viel in die Kette investiert. Dabei sprüht Haub durchaus vor Kreativität und Ideen. Er steigt früh beim erfolgreichen Online-Modehändler Zalando ein und hat sich ein ansehnliches Portfolio von Start-ups im E-Commerce zusammengestellt. Kaiser's Tengelmann aber verordnet er den schleichenden Tod.

405 Supermärkte

...wird Kaiser's Tengelmann Ende des Jahres nur noch in ganz Deutschland betreiben. Bestenfalls sind bis dahin Käufer gefunden und die Läden existieren weiter und tragen nur andere Namen. Warum der Eigentümer Karl-Erivan Haub so wenig mit Supermärkten anfangen kann, ist ein Rätsel.

Eine Filiale nach der anderen schließt er. Die Fleischwerke, die Verwaltung und die Logistik hält er aber am Leben. Der Umsatz sinkt, die Kosten bleiben hoch. Seit 2000 macht die Kette insgesamt Verlust. Dabei ist sie an attraktiven Standorten vertreten: in München und Berlin. Die Region Nordrhein hingegen ist ein Desaster.

Wenn Haub sich, was selten geschieht, öffentlich äußert, preist er die Mitarbeiter: "Uns geht es im Wesentlichen um Menschen", sagt er. An Sigmar Gabriel appellierte er: "Bitte, Herr Minister, entscheiden sie am Ende für die Menschen." Und auch in dem in der Nacht zu Freitag versandten Kommuniqué geht es darum, eine Lösung "für die Beschäftigten von Kaiser's Tengelmann zu finden".

Genau diese Mitarbeiter ertragen aber schon seit zwei Jahren eine zermürbende Hängepartie. Wer kann, springt ab und sucht sich einen neuen Job. Der Geschäftsbetrieb ist an einigen Orten kaum aufrechtzuerhalten. "Von Tag zu Tag wird es schlimmer", sagt Geschäftsführer Raimund Luig. Genau diese Situation hat Haub mit seinem zögerlichen und widersprüchlichem Management herbeigeführt.

Mitarbeiter in ständiger Angst

So schlimm ist die Situation, dass er sich schließlich doch überwand, noch einmal Caparros zu treffen. Das Treffen in Frankfurt, an dem auch Edeka-Chef Markus Mosa und Frank Bsirske, Chef der Gewerkschaft Verdi teilnahmen, wurde nach drei Stunden "ergebnislos vertagt", ehe Verdi das besagte Kommuniqué verschickte. Die Gewerkschaft hatte das Krisentreffen eingefädelt, um die verbliebenen etwa 15000 Arbeitsplätze zu retten.

Haub droht in seiner widersprüchlichen Art schon seit zwei Jahren mit der "Zerschlagung" und jagt damit den Menschen Angst ein, um die es ihm nach eigenem Bekunden geht. Er hat ihre Lage mit seinem Pokern gegenüber dem Kartellamt und seinem Umweg über die Ministererlaubnis in zwei Jahren noch einmal gravierend verschlechtert. Für Haub hat sich hingegen kaum etwas geändert. Er ist die Kette, die er aus welchen Gründen auch immer abstoßen will, noch immer nicht los.

Er wirkt wie ein Milliardärssohn, der mit dem Erbe hadert. Er schafft es nicht, sich zum erlösenden Befreiungsschlag durchzuringen. Vielleicht auch, weil Vater Erivan genau beäugt, wie sein Ältester mit dem Vermächtnis umgeht.

Jetzt also wieder zwei Wochen Aufschub. Bis dahin, so Haubs Kalkül, soll Rewe seine Klage gegen den Verkauf des Gesamtpakets an Edeka beim Oberlandesgericht Düsseldorf zurückziehen. Caparros wird sich dies, wenn er es überhaupt erwägt, etwas kosten lassen. Zum Beispiel: Dass Edeka still hält, wenn oben im hohen Norden Rewe mit Coop Kiel fusioniert. Der Vollzug der Fusion ist bereits in vollem Gange. Das Kartellamt hatte seine Zustimmung signalisiert. Warum?

Auch weil sich Caparros geschickter als Haub im Umgang mit den Wettbewerbshütern verhält. Der Rewe-Mann zeigte sich von Beginn an bereit, notfalls auch Märkte an die Konkurrenz abzutreten. Er verbiss sich nicht in eine "Alles-oder-nichts-Strategie", so wie Haub es beim Verkauf seiner Supermärkte bis zur vergangenen Woche getan hat. Am Ende lernte aber auch Haub dazu. Ihm ist jetzt klar, dass er die Kläger, Rewe, Markant und Norma, befrieden muss. Erst dann wird er die Supermärkte endlich los. Vielleicht. Hoffentlich. Anfang der Woche gehen die Gespräche weiter.

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