Kaiser's Tengelmann-Entscheidung:Gabriels sozialdemokratische Weihnachtspredigt

Gabriel zur Kaiser`s Tengelmann Übernahme durch Rewe

Wie ein Star wird Gabriel von den Kaiser's Tengelmann Mitarbeitern empfangen. Viele wollen ein Selfie mit ihm.

(Foto: dpa)

Auf einer Tengelmann-Weihnachtsfeier wird der Wirtschaftsminister von den Mitarbeitern mit Dankestränen empfangen. Ein Supertermin für den Sozialdemokraten.

Von Christoph Dorner, Berlin

Die Frau mit den roten Haaren wischt sich Tränen aus den Augen, als Sigmar Gabriel ihr die Hand reicht. "Wir haben schon nicht mehr dran geglaubt", sagt einer der Lagerarbeiter, und es ist nicht ganz klar, ob er die Rettung seines Arbeitsplatzes meint oder die Ankunft des Wirtschaftsministers. Ein Russe, ein Pole und ein Italiener wollen ein Selfie mit Siggi. Sie bekommen es.

"Das war die wichtigste Entscheidung der letzten drei Jahre", sagt Gabriel, nachdem er am Zentrallager von Kaiser's Tengelmann aus seiner Dienstlimousine steigt und sich um ihn eine Art Jubeltraube gebildet hat. Gabriel meint die Entscheidung, dass Edeka und Rewe am Donnerstag endlich den Kaufvertrag über die bundesweiten Filialen von Kaiser's Tengelmann unterschrieben haben. Vor allem meint er seine Entscheidung, drei Jahre lang für die 15 000 Arbeitsplätze zu kämpfen - gegen alle Widerstände. Dann kam die Einladung des Berliner Betriebsrats, mit geretteten Arbeitnehmern Weihnachten zu feiern - ein Supertermin für einen Sozialdemokraten.

Ab Januar wird die Hälfte der Berliner Filialen Rewe oder Edeka gehören

Seit zwölf Jahren hat Kaiser's Tengelmann in Marienfelde im Berliner Süden sein Zentrallager. Das hippe, das boomende Berlin ist hier, vor diesem grauen, schuhschachtelartigen Hallenkomplex, einen kleinen Fußmarsch und eine Dreiviertelstunde mit der U-Bahn entfernt.

Insofern ist es genau der richtige Ort für Gabriel, der nach der Wahl von Donald Trump in einem Essay für den Spiegel geschrieben hatte: "Wer die Arbeiter im Rust Belt verliert, den können die Hipster in Kalifornien nicht mehr retten."

Von dem Zentrallager aus werden noch bis Ende des Jahres jede Nacht die 120 Kaiser's-Supermärkte in Berlin und Umgebung beliefert, mit Tempo 70 donnern die Lebensmittellaster durch die schlafende Stadt. Ab Januar wird jeweils die Hälfte der Berliner Filialen einem der beiden Schwergewichte im Einzelhandel gehören. Das Zentrallager in Marienfelde bekommt Rewe. Doch den Beschäftigten hier ist es ohnehin schnuppe, welche Waren sie ab Januar kommissionieren.

Gabriel steuert die Treppe hinauf in Richtung Kantine, wo etwa 70 Menschen auf ihn warten. Die Tische sind einfach mit grünen Papierdecken, Tannenzweigen und Kerzen geschmückt. Auf Papptellern liegen Nüsse, Lebkuchen, Schokoladen-Nikoläuse. An der Theke gibt es Sekt, Bier und das Limo aus Plastikflaschen - alles stammt aus dem Sortiment eines Supermarkts, den es bald nicht mehr gibt. Die Musikanlage ist noch leise gestellt und flüstert die Weihnachtslieder von Shakin' Stevens, Slade, Wham. Kurzum, es ist wie auf jeder anderen Weihnachtsfeier an diesem Freitagabend in Deutschland.

Gabriel hält eine große sozialdemokratische Weihnachtspredigt

Der Minister steuert in die Mitte des Raums, dorthin, wo die älteren Frauen sitzen, die den Laden wahrscheinlich in den allerschwersten Zeiten zusammengehalten haben. Denn darauf ist Betriebsrat Volker Bohne, Typ Rocker mit grauer Mähne und schwarzer Lederjacke, besonders stolz: Trotz der 26 Monate andauernden Hängepartie habe es in den Filialen von Kaiser's keine leeren Regale gegeben. Und schon gar keine Havarie, sagt Bohne.

Gabriel bekommt ein Mikrofon in die Hand gedrückt, und was nun folgt, ist so etwas wie eine große sozialdemokratische Weihnachtspredigt. Er komme ja aus Goslar, erzählt Gabriel, und dort sei es seltsam gewesen, als eines Tages der Tengelmann weg war, der über Jahrzehnte zum Stadtbild gehörte. Die Marktsituation im Einzelhandel könne sich verändern. Er habe das später im großen Stil noch einmal erlebt, bei der Pleite der Drogerie-Kette Schlecker. "Ich wollte nicht noch einmal vor so vielen Frauen ohne Job stehen", sagt der SPD-Chef.

"Ein bisschen Mumm muss man als Politiker halt auch haben"

Als er entschieden habe, eine Zerschlagung von Kaiser's Tengelmann zu verhindern, habe es eine Menge Ärger gegeben. Gabriel will die Geschichte von der Ministererlaubnis, den Gerichtsurteilen und all den vermeintlichen Durchbrüchen, die am Ende keine waren, nun nicht noch einmal wiederkäuen.

Lieber sagt er: "Ein bisschen Mumm muss man als Politiker halt auch haben." Und "das Herz am rechten Fleck". Die Politik müsse sich mehr von den Schicksalen der Menschen berühren lassen, sagt Gabriel zum Schluss. Die Leute, die heute bei Kaiser's arbeiten und bald für Rewe, sind es auch: berührt. Denn ihre Arbeitsplätze sind für mindestens fünf Jahre gesichert.

Dimitri Lening, kurzgeschorene Haare, schwarze Adidas-Jacke, ist einer der Männer, die draußen ein Selfie mit Gabriel gemacht haben. Das dürfe nur seine Mutter sehen, nix mit Facebook, sagt er. Seit 14 Jahren arbeitet der 37-jährige Russe hier als Gabelstaplerfahrer, davon müsse er eine Familie mit zwei Kindern ernähren. Was wäre aus ihm geworden, wenn er seinen Job verloren hätte? Lening weiß es nicht.

Gabriel sei ein guter Mann, weil er ihm geholfen habe, sagt Lening. Wählen wird er ihn trotzdem nicht: "Mein Lieblingspolitiker", sagt er und grinst, "ist Putin."

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