Kaiser's Tengelmann:Fehlende Protokolle bringen Gabriel in Not

German Vice Chancellor and Economy Minister Sigmar Gabriel visits

Schlampereien haben seine Ministererlaubnis ins Wackeln gebracht. Auch Gabriel selbst sieht bei der ganzen Sache nicht gut aus.

(Foto: dpa)
  • Von wichtigen Gesprächen zwischen Sigmar Gabriel und den Chefs von Edeka und Kaiser's Tengelmann sind keine Protokolle vorhanden - dabei wird normalerweise jedes Treffen penibel dokumentiert.
  • Diese Nachlässigkeit hat dazu geführt, dass das Oberlandesgericht Gabriels Ministererlaubnis zur Edeka-Tengelmann-Fusion außer Kraft gesetzt hat.
  • Einige spekulieren mittlerweile bereits mit einer Zerschlangung des Kaiser's Tengelmann-Reichs.

Sigmar Gabriel und seine Beamten hätten gewarnt sein müssen. Hätten aufpassen müssen, dass alles seine Ordnung hat, bis ins kleinste Detail. Als der Wirtschaftsminister prüfte, ob die Supermarktketten Edeka und Tengelmann entgegen dem klaren Votum des Bundeskartellamtes zusammengehen dürften, lag längst ein Kurzgutachten aus dem Bundestag vor. Die Wissenschaftlichen Dienste des Parlaments hatten eigens zu diesem Fall aufgeschrieben, eine politische Entscheidung des Ministers lasse sich gerichtlich im Prinzip nicht angreifen. Im Prinzip - aber Verfahrensfehler seien sehr wohl überprüfbar.

Genau solche Versäumnisse sind es, die jetzt das in diesen Fällen immer zuständige Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf beanstandet. Ausgerechnet im Fall Edeka/Tengelmann ging es nach Recherchen von SZ, WDR und NDR in Gabriels Ressort hemdsärmelig wie selten zu; in einer Art und Weise, die schwer nachvollziehbar ist. Die den Verdacht hervorruft, dass geschludert und geschlampt wurde. Die dazu führte, dass das OLG die Ministererlaubnis für einen Zusammenschluss außer Kraft setzte. Die den Vizekanzler, Wirtschaftsminister und SPD-Chef Gabriel jetzt schwer in Bedrängnis bringt. Weil manches, wie interne Vorgänge zeigen, kaum erklärbar ist.

In den Akten fehlen wichtige Protokolle

Ausgerechnet von einem der wichtigsten Gespräche in diesem Verfahren gibt es kein Protokoll. Am 1. Dezember 2015 traf sich Gabriel erst mit Edeka-Chef Markus Mosa und dann mit Karl-Erivan Haub, dem Chef von Kaiser's Tengelmann, um über die Konditionen für eine De-facto-Übernahme von Tengelmann zu reden. Doch in den Akten findet sich dazu nichts: Ein Vermerk über den Mosa-Termin liege "nicht vor", musste das Ministerium später eingestehen, als Edeka-Konkurrent Rewe um die Unterlagen bat.

Tengelmann-Eigner Haub hatte frühzeitig und vehement auf einen Termin bei Gabriel gedrängt, um ihn von den Vorteilen eines Zusammengehens mit Edeka zu überzeugen. Seine Supermarktkette gehe davon aus, "dass Sie mit uns sprechen werden, wenn Sie Auflagen beabsichtigen sollten, sodass wir Ihnen auch die Folgen von Auflagen vor Augen führen können", hatte Haub am 26. August 2015 an Gabriel geschrieben. Widersacher Rewe wiederum legte ein Angebot vor, das einem SPD-Mann eigentlich hätte gefallen müssen: Arbeitsplätze sollten erhalten statt gestrichen werden; Gewerkschaften sollten mehr Einfluss bekommen. Haub aber, das ist bekannt, hat Vorbehalte gegen Rewe.

Das war die Lage, als sich Gabriel dann am 1. Dezember 2015 tatsächlich nacheinander mit den Chefs von Edeka und Tengelmann traf - ohne Protokollführer, der hätte notieren können, was genau besprochen wurde. Dieser Umstand fällt auf.

Normalerweise wird penibel jedes Treffen dokumentiert

Seit Jahr und Tag wird im Ministerium beinahe alles dokumentiert, was der Ressortchef macht oder wissen soll. Ein Beispiel aus dem Juni 2014: Damals setzte sich Gabriel mit der Autoindustrie zusammen. Knapp vier Wochen später, am 7. Juli 2014, erhielt der Minister auf dem Dienstweg eine vierseitige "Informationsvorlage" über diesen Termin. "Ihr Abendessen am 10. Juni 2014 mit Spitzenvertretern der Fahrzeugindustrie (Hersteller, Zulieferer, VDA-Präsident) war der Auftakt zu einem Branchendialog", hieß es dort.

Gabriels Beamte hielten penibel fest, welche "konkreten Schritte" zwischen dem Wirtschaftsministerium und der Branche geplant seien. Fünf Maßnahmenpakete und einiges mehr. Gewissenhaft listeten sie Chancen und Grenzen eines solchen Dialogs auf. Und so geschieht das eigentlich immer zu Terminen mit Konzernchefs. Frage an das Wirtschaftsministerium: Warum aber wurde das Treffen vom 1. Dezember 2015 nicht schriftlich dokumentiert? Antwort des Ministeriums: "Ein Protokoll war nicht notwendig."

Was in den Kaiser's-Tengelmann-Filialen auf dem Spiel stand - und steht

Bei diesem Termin und weiteren Gesprächen mit Edeka und Tengelmann im Dezember 2015 habe Gabriel mitgeteilt, dass eine Erlaubnis zum Zusammenschluss "nur unter klaren Auflagen" erfolgen könne. Die Sicherung von Arbeitnehmerrechten sei für den Minister "ein wichtiger Gemeinwohlgrund und ein wichtiges Entscheidungskriterium". Im Übrigen würden sich die Inhalte des Treffens vom Dezember 2015 aus den Vorbereitungsunterlagen zu diesem Termin ergeben.

Gabriel selbst erklärte diese Woche nach seiner Niederlage bei Gericht, die Vorbereitung der betreffenden Gespräche und die Schlussfolgerungen ließen sich den Verfahrensakten entnehmen. Diese lägen dem OLG Düsseldorf vor. Er habe keine "Geheimgespräche" geführt. Warum aber hat das Ministerium dann nicht Protokoll geführt? Das wird Gabriel der Justiz, bei der er weiter für eine Erlaubnis des Zusammenschlusses von Edeka und Tengelmann kämpfen will, erklären müssen. Aber eben nur schwer erklären können, in Ermangelung eines Protokolls.

Gabriels Vorgänger Rösler nahm schon das Schlecker-Schicksal hin

Doch das Ministerium trieb zu dieser Zeit längst eine andere Sorge um. Was, wenn die Fusion nicht zustande käme? Wenn Tengelmann-Eigner Haub seine immer mal wieder dezent platzierte Drohung, das Filialnetz zu zerschlagen und einzelne Teile in die Insolvenz zu schicken, wahr machen würde? Wenn Kaiser's Tengelmann tatsächlich Leute entlassen müsste, weil Gabriel seine Macht nicht nutzt? Für Sozialdemokraten ein Graus. "Herr Minister Gabriel, wie viel sind Ihnen unsere Arbeitsplätze wert?", schrieb im September 2015 der Betriebsrat der Tengelmann-Fleischwerke Birkenhof an den Wirtschaftsminister. "Es wird Zeit, dass sich die SPD wieder an ihre Ursprünge und ihre Wählergruppe erinnert. Dann wird auch diese wieder erfolgreicher sein."

Es ist diese Frage, die von Anfang an über dem Verfahren schwebte. Sollte Gabriel seinem Amtsvorgänger Philipp Rösler (FDP) folgen, der Schlecker in der Krise abblitzen ließ und das Schicksal der "Schlecker-Frauen" hinnahm? Wenn Gabriel in der Folge immer wieder auf die miserablen Löhne von Verkäuferinnen und Staplerfahrern hinwies, dann auch deshalb.

Damals stand viel auf dem Spiel. In den Kaiser's-Tengelmann-Filialen in Nordrhein-Westfalen sollten, so sah es das Angebot von Edeka und Tengelmann noch Mitte November vor, mindestens 950 Stellen wegfallen, in Berlin mindestens 220. Edeka sollte nach der Übernahme noch einmal 1000 Stellen streichen. Die Forderung der Arbeitnehmerseite, die Kaiser's-Tengelmann-Filialen keinesfalls an Lebensmitteleinzelhändler abzutreten, sei nicht zu erfüllen. Rewe hingegen stellte in Aussicht, alle Arbeitsplätze zu erhalten, und zwar für fünf Jahre.

Eine handschriftliche Notiz, die Gabriel zur Vorbereitung auf die Gespräche mit Haub und Mosa am 1. Dezember angefertigt hatte, deutet zwar darauf hin, dass der Minister noch mit dem Gedanken spielte, seine Erlaubnis zu verweigern. Aber es findet sich dort auch noch ein anderer Hinweis: "Rückfallposition: Edeka darf in diesen fünf Jahren maximal zehn Prozent des Personals abbauen." Warum kam der Minister dem Einzelhandelskonzern entgegen? Fürchtete er, dass die Auflagen zu streng geraten könnten und Edeka als Käufer abspringen würde?

Eigentlich hätte Gabriel gut beraten gewesen sein müssen

Nach Darstellung von Gabriel und seinem Ministerium hatten mehrere Beamte an den Treffen mit Haub und Mosa teilgenommen. Von "Geheimgesprächen", wie vom OLG Düsseldorf gerügt, könne keine Rede sein. Auf einen Vermerk habe man deshalb verzichten können. Die bittere Ironie: Wegen des fehlenden Protokolls kann das Ministerium vermutlich nun nicht mehr zweifelsfrei nachweisen, worum es bei den Terminen im Detail ging. Selbst dann nicht, wenn Gabriel die allerbesten Motive gehabt hätte.

Als die Anwälte von Rewe im Januar 2016 Einsicht in das nicht vorhandene Gesprächsprotokoll und andere Unterlagen verlangten, antwortete ihnen Armin Jungbluth, der zuständige Ministerialrat in Gabriels Amt. Jungbluth ist bemerkenswerterweise nicht nur ein ausgewiesener Spezialist im Wettbewerbsrecht. Er kennt sich auch hervorragend mit dem Akteneinsichtsrecht aus. Noch am 12. November 2015, also gut zwei Wochen vor Gabriels Terminen mit Mosa und Haub, hielt Jungbluth in Brüssel dazu einen Vortrag. Es ging um genau die Fragen, die Gabriel jetzt in Bedrängnis bringen: Wer hat wann Ansprüche darauf, dass Akten offengelegt und eingesehen werden können?

Über eine Zerschlagung von Kaiser's Tengelmanns wird schon spekuliert

Genügend juristisches Fachwissen für das heikle Kartellverfahren war also da im Wirtschaftsministerium, nur wurde es offenbar nicht ausreichend genutzt. Stattdessen ging es vorrangig um die politischen Aspekte. Das Gesetz verlange schließlich eine "Abwägung" zwischen Wettbewerb und Allgemeinwohl, heißt es aus Gabriels Ressort. Genau diese Abwägung habe im vergangenen Herbst und Winter stattgefunden, mit allem Für und Wider, mit unterschiedlichsten Varianten. In dem Gespräch am 1. Dezember habe man den beiden Managern lediglich klar- machen wollen, dass es eine Fusion ohne Bedingungen nicht geben werde. So hart die Unternehmer sich in den mündlichen Verhandlungen noch zeigten, so hart versuchte Gabriel wohl dagegenzuhalten.

Unterdessen wird schon auf eine Zerschlagung Kaiser's Tengelmanns spekuliert. Jörg Blunschi, Chef der Migros-Genossenschaft Zürich, sagte der SZ: "Eine Übernahme der Tengelmann-Filialen im Raum München ist für Tegut, die seit 2013 zur Migros Zürich zählt, weiterhin eine Option, die wir ernsthaft prüfen würden." 2013 hatten die Schweizer die hessische Supermarktkette Tegut übernommen. Heute gibt es knapp 276 Filialen. Migros will in Deutschland wachsen, und Bayern würde den Schweizern perfekt ins Konzept passen. Kaiser's Tengelmann hieße dann in München und wohl auch im Rest des Freistaats Tegut. Auch eine Alternative.

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