Süddeutsche Zeitung

Geldpolitik:EZB soll geheimes Abkommen offenlegen

  • Nationale Notenbanken der Euro-Zone kaufen im großen Stil Wertpapiere.
  • Die genauen Regeln dafür kennt niemand. Die Regierungskoalition fordert nun Aufklärung.

Von Cerstin Gammelin, Markus Zydra, Berlin/Frankfurt

Nicht nur die Europäische Zentralbank (EZB), sondern auch Nationale Notenbanken kaufen im großen Stil Euro-Wertpapiere und pumpen im Gegenzug frisches Geld in den Markt. Diese Vorwürfe müssten vollumfänglich aufgeklärt werden, fordert die Berliner Regierungskoalition. Carsten Schneider, Vize-Chef der SPD-Bundestagsfraktion verlangt, dass die Vereinbarung offengelegt wird, die diese Aufkäufe erlaubt. "Im Interesse von Transparenz sollten die nationalen Notenbanken das Abkommen veröffentlichen", sagte Schneider der Süddeutschen Zeitung. Falls sie nicht dazu bereit seien, "sollte der EZB-Rat dies mit Mehrheit erzwingen", fügte er hinzu. Andernfalls würde "Verschwörungstheorien Vorschub geleistet, das kann nicht im Interesse des Zentralbanksystems sein."

Im Fokus steht das sogenannte Anfa-Abkommen (Agreement on the Net-Financial Assets). Es gibt den nationalen Notenbanken des Eurosystems großen Spielraum, nach eigenem Gutdünken Wertpapiere zu kaufen. Der Inhalt des Abkommens ist geheim und wird bisher nicht publiziert. Niemand kennt die genauen Regeln, nach denen Notenbanken auf eigene Rechnung Wertpapiere kaufen dürfen. Die Gesamtsumme dieser Investitionen der 19 nationalen Zentralbanken der Euro-Zone liegt aktuell bei rund 575 Milliarden Euro, wie die EZB auf Anfrage mitteilte. Das ist doppelt so viel wie im Jahr 2006.

Der starke Anstieg ist nur zu einem geringen Teil dem Zuwachs an neuen Mitgliedsländern und technischen Gründen geschuldet. Vielmehr haben einige nationale Notenbanken ihr Privileg stark ausgenutzt. "Manchmal ist es sehr schwer zu verstehen, warum sie bestimmte Anleihen kaufen", sagte EZB-Präsident Mario Draghi in der vergangenen Woche. "Ich würde aber definitiv ausschließen, dass es sich hier um Staatsfinanzierung handelt."

Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus betonte, sowohl der Europäischen Zentralbank als auch den nationalen Notenbanken sei eine direkte Staatsfinanzierung untersagt. Allerdings habe die EZB "nach unserem Verständnis allein dieses Jahr mehrmals am Rande ihres Mandats agiert". Größtmögliche Transparenz sei "in dieser Stunde das oberste Gebot".

In seiner aktuellen Doktorarbeit zeichnet der Finanzwissenschaftler Daniel Hoffmann die Entwicklungen der letzten Jahre nach, in denen die Banca d'Italia, die Banque de France und auch die Bank of Ireland auf Basis des Anfa-Abkommens an den Finanzmärkten stark aktiv waren. Es gibt auch innerhalb der EZB schon längere Zeit Kritik an der Intransparenz. Die Öffentlichkeit erfahre nicht, welche Wertpapiere gekauft worden seien. Es sei daher nicht auszuschließen, dass nationale Notenbanken ihren eigenen Kreditinstituten riskante Anleihen abgekauft hätten.

Darüber hinaus könnten sie auch viele Staatsanleihen erworben haben. Das wäre brisant, denn die EZB steuert selbst ein eigenes Billionen-Kaufprogramm. Auch aus diesem Grund fordert die Zentrale in Frankfurt seit einem halben Jahr mehr Informationen. Die nationalen Notenbanken müssen nun jedes einzelne Wertpapier, das sie gekauft haben, gegenüber der EZB ausweisen.

Die EZB gibt im Rahmen des Anfa-Abkommens die Obergrenze vor, wie viel beispielsweise die Banca d'Italia auf eigene Rechnung kaufen darf. Bei der Berechnung wird die Bilanzsumme der einzelnen Notenbank und des gesamten Eurosystems zugrunde gelegt. So werden auch Limits vorgegeben, wie viel eine Notenbank täglich kaufen darf. Grundsätzlich dürfen nur Wertpapiere erworben werden, für die es einen funktionierenden Markt gibt. Genau das war zuletzt bei griechischen Staatsanleihen nicht der Fall. Trotzdem hat die griechische Notenbank im Sommer auf Basis des Anfa-Regelwerks einige Staatsanleihen des eigenen Landes gekauft.

Anfa-Abkommen ist intransparent

Der Ursprung des Abkommens geht zurück in die 1990er-Jahre, als die Idee der Euro-Zone geboren wurde. Damals haben die EU-Regierungschefs festgelegt, dass die Geldpolitik künftig zentral von der EZB gemacht werden sollte. Doch alle anderen Aufgaben sollten weiter von den nationalen Notenbanken ausgeführt werden. Dieses Subsidiaritätsprinzip war im Interesse der nationalen Zentralbanken, die mit eigenen Aufgabenbereichen auch ihre weitere Existenz legitimierten. Außerdem wollten einige Regierungen sicherstellen, dass die nationale Macht nicht vollständig beschnitten wird.

Der EZB-Rat könnte mit einer Zweidrittelmehrheit das Anfa-Abkommen modifizieren, doch derzeit sieht es nicht danach aus, als ob sich dafür die notwendige Mehrheit finden ließe. Bei der EZB hat man zuletzt die Transparenz verbessert. So werden nun die Sitzungsprotokolle der EZB-Rats veröffentlicht. Auch wurden die Regeln für den Umgang zwischen EZB-Führungsriege und Finanzsektor verschärft.

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SZ vom 08.12.2015/vit
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