Süddeutsche Zeitung

Justus Haucap zur Energiewende:"Der Klimaschutz gerät völlig aus dem Blick"

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Hohe Strompreise, zu viel Planwirtschaft und massive Konstruktionsfehler im EEG-Gesetz: Die Kritik an der Gestaltung der Energiewende ist groß - und größtenteils berechtigt, sagt Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap. Im Interview mahnt er dringende Reformen an und schlägt ein neues Modell vor.

Interview: Oliver Klasen

Die Energiewende soll, so verspricht es die Kanzlerin, das Thema der kommenden Legislaturperiode werden. Die Regierung muss handeln, denn die Unzufriedenheit bei Experten und Bevölkerung droht die Ziele der Energiewende zu gefährden. Vor allem das komplizierte EEG-Gesetz steht in der Kritik. Professor Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE) und Mitglied der Monopolkommission, erklärt im Interview, wo nachgebessert werden muss und welche Alternativen es gäbe.

SZ.de: Herr Haucap, Kritiker sagen, die Strompreise steigen deshalb so stark, weil die erneuerbaren Energien zu schnell ausgebaut werden. Was halten Sie davon?

Justus Haucap: Am Tempo liegt es weniger. Das Ziel, bis 2020 etwa 35 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen, ist durchaus realistisch. Das Problem ist der Konstruktionsfehler des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, das den Betreibern der Anlagen auf 20 Jahre fixe Einspeise-Vergütungen garantiert, ohne dass diese sich an der Stromnachfrage orientieren müssen.

Was ist daran so schlimm?

In dem Gesetz steckt zu viel Planwirtschaft. Mir als Ökonom ist sonst kein einziger Markt bekannt, in dem 20 Jahre lang die Preise diktiert werden. Zwar wird die Einspeise-Vergütung für neue Anlagen mit der Zeit etwas abgesenkt, aber nur sehr, sehr langsam. Und die alten Anlagen aus der Frühphase des EEG-Gesetzes laufen ja auch noch, für sie gilt der Bestandsschutz. Es gibt zum Beispiel Photovoltaik-Anlagen, für deren Strom 60 Cent pro Kilowattstunde gezahlt wird. Zum Vergleich: Der Preis, der an der Strombörse in Leipzig gehandelt wird, liegt zwischen drei und sechs Cent.

Aber ist es nicht logisch, dass für "sauberen", aus erneuerbaren Energien erzeugten Strom mehr gezahlt werden muss?

Es ist klar, dass die erneuerbaren Energien nicht von Anfang an wettbewerbsfähig sein konnten. Aber der Preis, den wir für Strom aus erneuerbaren Energien draufzahlen, hat sich von 2001 bis 2011 verdoppelt, von 8,7 auf 17,9 Cent pro Kilowattstunde grünen Strom. Durch die Fehlkonstruktion des EEG-Gesetzes ist dabei ein sehr ineffizienter und kostspieliger Technologie-Mix entstanden.

Der Staat hat insbesondere die Solarenergie anfangs mit Superrenditen ausgestattet. Und wenn man sich anguckt, welche Windräder in Deutschland gebaut werden, dann sind es diejenigen, die besonders viel Strom erzeugen, egal wann. Weil der Windstrom garantiert abgenommen wird, besteht überhaupt kein Anreiz, in ausgeklügelte Anlagen zu investieren, die auch zu windärmeren Zeiten arbeiten können. So kam es zu der perversen Situation, dass sich das Angebot an erneuerbaren Energien komplett entkoppelt hat von der Nachfrage.

Wie ließe sich der Strompreis möglichst schnell senken?

Kurzfristig kann man beim Strompreis eigentlich nur über eine Senkung der Stromsteuer etwas machen. Die löst aber nicht das grundlegende Problem, dass wir den Erzeugern der erneuerbaren Energien viel zu viel zahlen. Deshalb muss man mittelfristig auch an das EEG ran. Dabei geht es aber nur darum, künftige Preissteigerungen zu verhindern. Für die Gegenwart nützt das nichts mehr.

Wenn Sie das EEG-Gesetz für eine Fehlkonstruktion halten - welches Modell schlagen Sie vor?

Mein Vorschlag, den wir auch in der Monopolkommission erarbeitet haben, ist ein Quotenmodell nach schwedischem Vorbild. Das funktioniert so: Jeder Anbieter, der Strom verkauft, wird verpflichtet, einen gewissen Anteil davon aus regenerativen Energien zu liefern. Die Münchner Stadtwerke müssten ihren Kunden dann zum Beispiel 35 Prozent Ökostrom anbieten. Aus welchem Energieträger dieser Anteil käme, aus Windenergie, Sonnenenergie oder Biomasse, wäre unerheblich. Auch woher die Stadtwerke den regenerativen Strom beziehen, ob sie selbst einen Windpark betreiben, oder ob sie den Strom zukaufen, wäre vollständig ihnen überlassen. Falls der 35-Prozent-Anteil nicht erfüllt wird, müssten die Stadtwerke eine Strafe zahlen. Die muss allerdings ausreichend hoch sein, es darf auf keinen Fall billiger sein, die Strafe zu zahlen, als in erneuerbare Energien zu investieren. Die Schweden machen das so, dort wird die Quote zu 99 Prozent erfüllt.

Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, beklagt, dass die Energiewende auf eine Strompreis-Diskussion reduziert werde.

Das Preisthema ist eben einfach wichtig, weil schon 50 Euro pro Jahr mehr an Stromkosten für manche Haushalte eine kaum zu stemmende Belastung sind. Außerdem gibt es ja die prinzipiell sinnvolle Idee, dass die Energiewende in Deutschland Vorbild sein soll für andere Länder. Das geht aber nur, wenn sie insgesamt bezahlbar ist. Wenn die Preise derart schnell steigen, dann ist die Energiewende vielleicht noch ein Vorbild für reiche Länder wie Norwegen oder die Schweiz, aber ganz sicher nicht für Staaten wie China oder Indien, auf deren Beitrag es entscheidend ankommt. Und noch etwas ärgert mich: Der ursprüngliche Grund für die Energiewende, nämlich das Klimaschutzziel, gerät völlig aus dem Blick. Wir fokussieren uns darauf, den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromproduktion zu erhöhen, aber ob das alles zu einer CO2-Einsparung führt, scheint kaum mehr jemanden zu interessieren. Insofern hat Herr Kretschmann durchaus recht.

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