"Darling, das ist ja jetzt ein ganz netter Erklärungsversuch." Oder: "Honey, wir wissen doch beide, dass der Angeklagte schuldig ist." Solche Sätze fallen in den USA nicht nur in Fernsehsendungen, sie haben eine Funktion im echten Gerichtssaal: "Honeys" und "Darlings" - "Schätzchen" also - sehen vor einem Richter und besonders vor einer Laien-Jury aus, als müsse man sie nicht ganz ernst nehmen, was dem Gegner hilft. Noch vor Kurzem hätte ein Anwalt zur Gegenanwältin diese Sätze genau so sagen dürfen.
Jetzt nicht mehr. Seit Mitte August sind Ausdrücke wie "Honey" oder "Darling" für Anwälte verboten. Die amerikanische Anwaltskammer American Bar Association ABA hat erklärt, es sei ab sofort "professionelles Fehlverhalten", die gegnerische Anwältin - oder Zeuginnen oder sonst irgendjemanden - zu diskriminieren, sei es wegen Geschlecht, Religion, Hautfarbe, einer Behinderung oder aus sonst irgendeinem Grund. In fast allen Unternehmen in den USA gibt es solche Regeln seit Jahren. Anwältinnen berichteten der ABA, wie gegnerische Anwälte ihnen öffentlich den Kopf tätschelten, eine erzählte, ein Anwalt habe vor dem Richter zu ihr gesagt, sie solle nicht so laut argumentieren, "das steht Frauen nicht".
Ohne ausdrückliches Verbot hätte sich nie etwas geändert, sagen die 5200 Frauen, die für die neue Berufsvorschrift kämpften. Welche Konsequenzen sie hat, etwa der Verlust der Zulassung oder eine Geldstrafe, dürfen die regionalen Anwaltskammern festlegen.
Amerikas Anwältinnen begehren auf. Es ist nicht nur die Diskriminierung vor Gericht, der sie nun ein Ende setzen wollen, sondern auch die in ihren Kanzleien. Denn auch die sei allzu häufig, klagen die Frauen, vor allem wenn es um gleiches Geld für gleiche Arbeit geht. Und sie kämpfen an renommierter Stelle: Die erfolgreiche Prozessanwältin Kerry Campbell aus Washington hat Klage wegen Unterbezahlung gegen die große alte Kanzlei Chadbourne & Parke eingereicht. Es ist der dritte öffentlich gewordene Rechtsstreit einer Partnerin gegen eine der großen US-Anwaltsfirmen in diesem Jahr. Obwohl Campbell ihrer Kanzlei mehr Umsatz bringt, bekommt sie deutlich weniger Geld, gibt sie in den Dokumenten an, die sie bei dem Gericht in Washington eingereicht hat.
Ein fünfköpfiges Gremium verteile bei Chadbourne Punkte an die Partner, die sich später in Dollar umrechnen lassen. Laut Campbell brachte sie dem Unternehmen pro Jahr zahlreiche neue Mandanten und zwei Millionen Dollar Umsatz, trotzdem bekam sie nur 500 Punkte. Ein männlicher Partner brachte nur 253 000 Dollar Umsatz, bekam aber 850 Punkte. Die Kanzlei hat Campbell vor einigen Monaten verkündet, dass sie sie gern loswerden würde, und ihr Gehalt auf rund 100 000 Dollar heruntergestuft, weniger als Berufseinsteiger bekommen. Nach offiziellen Angaben passt das Rechtsgebiet der Anwältin, die erst Anfang 2014 zur Firma stieß, nicht mehr zum Kanzleiprofil.
Frauen bekämen grundsätzlich weniger Punkte in der Kanzlei, sagt Campbell. Alle fünf Mitglieder des Punkteverteilungs-Gremiums sind Männer. Die Kanzlei-Kultur sei "männer-dominiert", Frauen würden von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen. Campbell verlangt 100 Millionen Dollar Schadensersatz für sich und die anderen Partnerinnen der Kanzlei, die ihre Klage für haltlos hält.
Erfolgreiche Anwälte bei den großen Kanzleien verdienen im Jahr Hunderttausende Dollar, manchmal sogar mehr als eine Million. Frauen sind im Anwaltsberuf in den USA noch immer in einer Minderheit. Zwar stellen sie die Mehrheit der Absolventen an den Law Schools und machen inzwischen rund 45 Prozent aller Berufseinsteiger in den Kanzleien aus. In den großen Anwaltsfirmen sind aber laut der ABA nur 18 Prozent der Partner Frauen, also der einflussreichen Eigentümer der Kanzleien. Der Fortschritt ist langsam: vor zehn Jahren lag der Prozentsatz bei 16 Prozent.
Laut Campbell ist die Lage ihrer Kolleginnen in der Kanzlei so unerträglich, dass von den 20 Anwälten, die Chadbourne 2014 und 2015 verließen, 17 Frauen sind. "Honey" oder "Darling" nennt sie allerdings niemand mehr.