Justiz:Chinas Anti-Korruptions-Kampf sucht sich willkürlich Opfer

Justiz: Guo Guangchang: Der Geschäftsmann ist nicht irgendwer, die Umstände seines Verschwindens sind mysteriös.

Guo Guangchang: Der Geschäftsmann ist nicht irgendwer, die Umstände seines Verschwindens sind mysteriös.

(Foto: AFP)

Ein reicher chinesischer Geschäftsmann verschwindet. Es gibt Indizien, dass er in Gewahrsam genommen wurde - doch Peking schweigt.

Kommentar von Marcel Grzanna

Es ist schon dubios. Ein prominenter Geschäftsmann verschwindet von der Bildfläche. Es gibt starke Indizien, dass er von Beamten in Gewahrsam genommen wurde und gegen ihn wegen des Verdachts der Korruption ermittelt wird.

Aber es gibt keine amtliche Stellungnahme, die den Verdacht bestätigen würde. Es gibt nicht einmal eine Bestätigung dafür, dass Guo sich in den Händen staatlicher Behörden befindet. Es gab zunächst nur Gerüchte um sein Verschwinden. Dieser Fall zeigt, wie weit China von einem Rechtsstaat entfernt ist.

Es drängt sich doch die Frage auf, weshalb die Behörden es offenbar nicht für notwendig ansehen, in einem solchen Fall selbst umgehend die Öffentlichkeit zu suchen. Wenn nichts dran wäre an den Gerüchten, weshalb stellen sie es dann nicht klar, um die Spekulationen zu beenden? Und wenn es stimmt, dass gegen Guo ermittelt wird, was hindert die Ermittler daran mitzuteilen, dass die Staatsgewalt schlicht und ergreifend ihres Amtes waltet?

Chinesischer Warren Buffett

Guo ist schließlich nicht irgendwer. Er ist Aufsichtsratschef eines Konzerns namens Fosun International, der groß im Ausland investiert und bestens verdrahtet ist. Der Mann ist steinreich und bewegt sich stets im Fokus von Medien und öffentlichem Interesse. Er wird als chinesischer Warren Buffett bezeichnet.

Man stelle sich vor, das amerikanische Original würde vom FBI verschleppt und kein Mensch wüsste, wo Buffett sich aufhält. Statt aber schnell Klarheit zu schaffen, gab es erst einmal keinen Laut der chinesischen Justiz. Lieber überließ sie es der Firma Fosun, der Welt mitzuteilen, dass Guo den Behörden in einem Ermittlungsverfahren "assistiere" und deswegen plötzlich verschwunden ist. Gegen wen ermittelt wird und weshalb, bleibt noch im Verborgenen.

Einer der Gründe für das Schweigen mag die Angst der Ermittler sein, schlafende Hunde zu wecken. Vielleicht benötigten sie 24 Stunden Vorsprung, um zu verhindern, dass einer der sogenannten Tiger, die Staatspräsident Xi Jinping in seiner Anti-Korruptions-Kampagne zur Strecke bringen will, frühzeitig die Jäger witterte.

Das scheint aus ermittlungstechnischen Gründen ja noch nachvollziehbar zu sein. Aber die Geheimniskrämerei und das Versteckspiel der Ermittlungsbehörden lassen den Vorsatz des Zentralkomitees zu mehr Rechtsstaatlichkeit geradezu lächerlich erscheinen. Nicht einmal den Versuch zu machen, das eigene Vorgehen transparenter zu gestalten, erhärtet eher die Vermutung, dass der Anti-Korruptions-Kampf des Staatschefs sehr willkürlich seine Opfer sucht und findet.

So gewinnt die Kampagne sicher keine Glaubwürdigkeit. Dazu bedarf es einer Institutionalisierung der Vorgänge, um ein nachvollziehbares Prozedere zu schaffen. Der Fall Guo war jedoch eher ein Schritt in die andere Richtung.

Mangel an Rechtssicherheit

Dabei benötigt die Volksrepublik dringend ein verlässlicheres Rechtssystem. Proportional zur langsamer wachsenden Wirtschaftsleistung steigt der Druck auf Peking, den Standort China für Investoren aus dem In- und Ausland an anderen Stellen so attraktiv wie eben möglich zu gestalten. Rechtssicherheit wäre eine charmante Ausprägung. Ihr Mangel aber treibt private chinesische Geschäftsleute, ihre Ideen und ihr Kapital ins Ausland. Denn wer in China reich wird, betritt eine öffentliche Bühne, auf der man den starken Mann oder die starke Frau mimen kann.

Die Regie aber übernimmt die Partei. Viele Unternehmer wollen deshalb lieber dorthin, wo sie sicher sein können, dass ihnen niemand ihr Geld abnimmt, solange sie es nur gut hüten. Diese "Landflucht" einer unternehmerischen Elite kann sich China aber nicht mehr leisten, weil der Staat alleine nicht mehr genug Kraft aufbringt, um seine Konjunktur nach Belieben anzufeuern.

Und auch unter den ausländischen Investoren sorgt die Unberechenbarkeit des Regimes für zunehmende Frustration. Niemand kann ausschließen, dass es morgen nicht er selbst ist, der den Ermittlungsbehörden bei ihrer Arbeit "assistieren" muss.

Die Unantastbarkeit aufgeben

Dieses ungute Gefühl begleitet die Firmen und verstärkt Überlegungen, anderswo zu expandieren und eben nicht mehr in China. Zusätzliche Faktoren wie steigende Löhne und die katastrophale Umweltsituation erleichtern den Managern dann ihre Entscheidung, Produktionen zu verlagern oder in Südostasien neue Kapazitäten aufzubauen.

Mehr Rechtsstaatlichkeit würde der zweitgrößten Volkswirtschaft einen neuen Schub geben. Das wissen die Genossen. Aber dazu müsste die Partei ein Stück ihrer Unantastbarkeit aufgeben. Dieses Zugeständnis ist und bleibt für ein autoritäres System die größte Herausforderung.

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