Süddeutsche Zeitung

Jungunternehmer im Kongo:Der Müllmann von Goma

Der Schmutz in seiner Heimatstadt im Osten des Kongo störte Joël Tembo Vwira schon lange. Deshalb führt er nun eine Entsorgungsfirma - mit privaten Geldgebern.

Von Judith Raupp, Goma

Die Flasche mit dem Desinfektionsmittel begleitet Joël Tembo Vwira überall hin: ins Büro, in die Kneipe, in die Kirche. Der Kongolese reibt seine Hände mit dem durchsichtigen Gel ein, bevor er seine Teetasse, die Bananen oder Avocados berührt. Selbst seine Bücher über "Führen" und "Kapitalismus", und erst recht die Bibel fasst der Jungunternehmer nur an, nachdem er die Finger desinfiziert hat. "Ich habe einen Putzfimmel", sagt Vwira.

Man könnte auch sagen, der Mann ist besessen. Er will seinen Landsleuten Sinn für Sauberkeit beibringen. Ausgerechnet im Osten des Kongo, in einer Region, die seit 20 Jahren für Chaos, Armut und Gewalt steht.

2008 gründete der studierte Betriebswirt in der Provinzhauptstadt Goma die Business and Services Company (BSC), eine Müllabfuhr- und Reinigungsfirma. Vwira störte schon als kleiner Junge, dass die Leute ihren Müll direkt vor ihren Hütten verbrennen oder ins Gebüsch werfen. Eine städtische Abfallwirtschaft existiert bis heute nicht in Goma. Schmutz und Kloaken machen viele Menschen krank. Kinder sterben an Durchfall, Erwachsene klagen über Kopfschmerzen und Atemnot.

Das will Vwira mit seiner Firma ändern. Der 34 Jahre alte Unternehmer stellt bei seinen Kunden Mülleimer mit Plastiksäcken auf. Die Ausrüstung importiert er aus Kenia. Einmal pro Woche holen die Arbeiter die Säcke mit dem Lastwagen ab und fahren sie zum Schuttplatz 20 Kilometer außerhalb der Stadt.

Anerkennung aus dem Ausland

Diese Initiative hat die amerikanische Botschaft im Kongo vor Kurzem mit einem sechswöchigen Aufenthalt in Texas belohnt. In Austin, der Hauptstadt des US-Bundesstaates, besuchte Vwira im Rahmen des Programms für Young African Leaders Kurse über gute Unternehmensführung, und er hat an einem Ideenwettbewerb teilgenommen. Die Juroren in Austin haben die Firma des Kongolesen unter die besten drei von 25 Vorschlägen gewählt. Lob erhält Vwira auch aus London. Eine britische Hilfsorganisation führt ihn auf ihrer Liste der "inspired individuals", also jener Unternehmer und Aktivisten, die für das Wohl der Gesellschaft arbeiten.

Anerkennung im Ausland bedeutet aber nicht automatisch Erfolg zu Hause. Erst 1000 Haushalte und 200 Gewerbebetriebe entsorgen ihren Abfall mit BSC. Das sind wenige bei einer Million Einwohner. Angesichts der hohen Kosten für das Benzin des Müllautos und für die Plastiksäcke aus Kenia muss Vwira die Müllabfuhr quersubventionieren. Er schickt seine 15 Mitarbeiter auch als Putzkräfte, Kammerjäger und Gärtner los. Um weitere Einnahmen zu generieren, kompostiert er inzwischen bis zu 70 Prozent der Abfälle und verkauft den Dung an Gartenbesitzer. Gebrauchte Plastiktüten liefert er an Frauen in einer Hilfsorganisation. Die Frauen waschen die Säcke, desinfizieren sie und nähen daraus Hüte und Haarschmuck. So erzielt BSC insgesamt einen Jahresumsatz von 60 000 Dollar, umgerechnet 46 000 Euro. Davon bleiben laut Vwira 10 bis 15 Prozent als Gewinn übrig.

Skepsis bei einheimischen Aktivisten

Nicht alle sind uneingeschränkt begeistert. Die Umweltaktivistin Rachel Mululu begrüßt das Engagement von BSC zwar. Allerdings findet sie, dass die Menschen in Goma zunächst aufgeklärt werden müssten. "Sie verstehen den Nutzen fachgerechter Abfallentsorgung für ihre Gesundheit und die Umwelt nicht." Zudem sei der Service der Firma "nur etwas für Reiche". 2,75 Dollar bezahlen Privatkunden für die Entsorgung eines Müllsacks von 60 Litern. "Wie soll das gehen, wenn doch zwei Drittel der Bevölkerung nicht einmal einen Dollar pro Tag zum Leben haben?", fragt sie.

Vwira sagt, er könnte den Preis deutlich senken, wenn die Stadt mit ihm einen Vertrag für eine flächendeckende Müllentsorgung abschließen würde. Dann könnte er auf einer Tour mehr Säcke sammeln, wodurch die Kosten für Benzin und Material weniger ins Gewicht fielen. "Ich verhandle mit den Behörden. Aber Wille und Wissen fehlen dort", klagt er.

Vwira hat auch vergeblich um einen Polizisten gebeten, um in der Nacht die Müllhalde außerhalb Gomas zu bewachen. Der Platz gehört der Gemeinde. Zaun und Beleuchtung fehlen. Straßenkinder wühlen im Abfall auf der Suche nach Eisen, Plastiktüten oder sonstigen Dingen, die sie für ein paar Cent verkaufen können. Nachbarn schmeißen ihren Müll auf Haufen, die die Arbeiter zuvor mit Hacke und Schaufel nach Plastik, Glas und Kompost sortiert haben. Die Müllhalde stinkt faul, Fliegen schwirren den Arbeitern um den Kopf. Der Backsteinofen, in dem der Restmüll verbrannt wird, ist eingebrochen. "Miserable Bauweise", schimpft Vwira. An Schadstofffilter hat niemand gedacht.

Überzeugungsarbeit bei den Investoren

Unterkriegen lässt sich der gläubige Christ trotzdem nicht, er ist ein Kämpfer. Schule und Studium hat er selbst finanziert, indem er Brot, Benzin, Bohnen und Telefonkarten verkaufte. Und nun hat er sich in den Kopf gesetzt, in Goma eine Oase der Reinlichkeit zu schaffen. "Sauberkeit ist ein Wert an sich", sagt er, während er in Gummistiefeln und mit Mundschutz über vollgekackte Windeln und Schnapsflaschen stapft.

Während seines Besuchs in Texas hat Vwira amerikanischen Geschäftsleuten einen Investitionsplan über 1,57 Millionen Dollar vorgestellt. Sollte er das Geld bekommen, will er in weiteren Städten im Kongo den Müll entsorgen und in Goma einen Recyclinghof nach westlichem Standard bauen. Er will aus recyceltem Plastik Ziegelsteine herstellen. Ein Professor an einer Universität in Goma hat bereits eine Maschine entwickelt und Prototypen fabriziert.

Ginge es nach Vwira, würde er den gesamten Gewinn in den Aufbau des Geschäfts stecken. Aber er muss seine 33 privaten Geldgeber bedienen. Geschäftsleute und Kirchenmitglieder haben 150 000 Dollar in das Unternehmen investiert. Vwira hat nur vier Prozent beigetragen. Er muss oft harte Überzeugungsarbeit leisten, bis die Geldgeber einer Investition zustimmen. Selbst Gummistiefel für die Arbeiter halten manche für Verschwendung von Kapital. Die könnten doch barfuß auf der Müllkippe arbeiten, so die Einstellung manches Miteigentümers.

Immerhin, von manchem Sondermüll bleiben die Arbeiter auf der Abfallhalde unbelastet. Batterien werfen die Leute in Goma in ihre Latrinen. Angeblich stinkt das Plumpsklo dann weniger penetrant.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2014/sry
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