Junge Versicherungsfirmen:Makler im Telefon

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Wer die Organisation seiner Versicherungen einer App überlässt, dem kann eigentlich egal sein, ob die Allianz oder die Zurich die Policen ausgestellt hat. Den etablierten Konzernen geht der Kundenkontakt verloren.

(Foto: imago/Westend61)

Versicherungsapps waren vor allem Konkurrenten, jetzt will ein Start-up mit etablierten Maklern zusammenarbeiten.

Von Herbert Fromme und Anna Gentrup, Köln

Erst fanden die etablierten Versicherungskonzerne die kleinen Start-ups einfach nur niedlich. Ernst nehmen mochte niemand die neuen Unternehmen, die mit viel Technologie den Finanz- und Versicherungskonzernen Konkurrenz machen wollen und sich Fintech oder Insurtech nennen.

Das hat sich radikal geändert: Die jungen Unternehmen werden von Anlegern mit Millionen ausgestattet. Ihre Chefs werden eingeladen, gemeinsame Workshops veranstaltet, ihr Ansatz - wo möglich - kopiert.

Die Start-ups in der Versicherungswirtschaft sind bisher vor allem elektronische Makler. Sie versprechen Kunden, ihnen die lästige Beschäftigung mit dem Thema Versicherungen abzunehmen. Diese müssen lediglich einmal bestehende Verträge nennen und damit einen elektronischen Versicherungsordner anlegen. Den Rest macht die App oder der telefonische Berater beim Start-up. Dort werden die bestehenden Verträge geprüft, Alternativen gesucht, Versicherungslücken identifiziert. Für das alles kassiert das Start-up eine Maklerprovision vom Versicherer.

Damit greifen die Start-ups die Versicherer an: Sie nehmen ihnen den Kontakt zum Kunden. Die Konzerne werden zu anonymen Dienstleistern. Wenn etwa ein junger Mensch bei Knip oder Getsafe versichert ist, spielt für ihn keine Rolle mehr, ob seine Hausratpolice bei der Allianz oder der Zurich ausgestellt wird.

Viele sind neugierig und laden sich die App erst einmal herunter, ohne dann sofort Kunde zu werden. Zum ersten Mal nennt Dennis Just konkrete Zahlen. Just ist Chef des Start-ups Knip, das aus der Schweiz stammt und seit 2015 auch in Deutschland aktiv ist. Die Knip-App sei inzwischen allein bei Apple 229 000 Mal heruntergeladen worden, teilt Just mit. Die Getsafe-App komme auf 76 000 App-Downloads bei Apple, Financefox auf 33 000 und Clark auf 20 000.

Financefox hat die Technik, klassische Vermittler haben die Kunden

Rivalen bestätigen die Zahlen, relativieren aber ihre Bedeutung. "Sie sagen wenig über die tatsächlichen Kundenzahlen", sagt Christian Wiens von Getsafe, "Knip hat nach eigenen Angaben 20 000 Kunden in Deutschland und der Schweiz. Wir haben 15 000 Kunden allein in Deutschland."

Aber alle erwarten große Zuwachszahlen: Mehr als zwei Millionen Kunden werden 2017 in Deutschland ihre Versicherungsgeschäfte über eine App abwickeln, prognostiziert Just. Traditionelle Versicherer und Makler versuchen zu kontern und bringen eigene Smartphone-Anwendungen auf den Markt. Mit sehr geringem Erfolg. "Der Trend zu mobilen Maklern bringt die physischen Makler noch nicht um, wird das aber in der Zukunft tun", sagt Just.

Auch der Konkurrent Financefox vermittelt Policen über die eigene App. Eines aber unterscheidet die Berliner von anderen jungen Onlinemaklern wie Knip, Getsafe oder Clark: Die Berliner wollen mit konventionellen Versicherungsmaklern zusammenarbeiten. Statt den Vermittlern das Geschäft streitig zu machen, will Financefox sie in seinen Onlinevertrieb einspannen.

Financefox hat die Technik, klassische Makler haben die Kunden und genießen ihr Vertrauen. Das passt gut zusammen, dachten sich die Chefs des Berliner Unternehmens. Financefox macht konventionellen Maklern, die Versicherungen bislang im persönlichen Gespräch vermitteln, ein Angebot: Sie können ihren Kundenbestand auf die Financefox-Plattform übertragen und fortan ihrer Kundschaft eine Versicherungs-App anbieten. In der App können Nutzer ihre Policen einsehen, Daten anpassen und Angebote prüfen.

Für die Anbindung an Financefox muss der Makler zwischen 30 Prozent und 50 Prozent seiner Provision an die Firma zahlen. Das Geschäft lohne sich dennoch. "Wir sorgen letztendlich dafür, dass der Umsatz des Maklers steigt", sagt Financefox-Gründer Julian Teicke.

Bald schon werden die Unternehmen ins eigentliche Geschäft vordringen

Das junge Unternehmen hat starke Investoren hinter sich, darunter den US-Softwareriesen Salesforce. Bislang flossen 5,5 Millionen Dollar (etwa fünf Millionen Euro). Seit September 2015 ist Financefox in der Schweiz aktiv, seit November in Deutschland. Die Firma habe mehr als 25 000 Kunden, davon 12 000 in Deutschland, sagte der Gründer. 80 Prozent der Kunden seien über Makler gekommen, die ihren Bestand auf die Plattform übertragen haben. 40 Makler taten das bereits, 15 in Deutschland und 25 in der Schweiz.

Versicherte können sich auch direkt bei Financefox registrieren, ihre Policen eintragen und Financefox ein Maklermandat erteilen. Dann kümmert sich ein Mitarbeiter des Start-ups um den Versicherungsschutz. Sechs Berater hat Financefox in der Schweiz, fünf in Deutschland.

Die Versicherer sieht Teicke bei der Digitalisierung vor einem Problem: "Sie haben eine Organisationsform, die für die heutige Zeit nicht mehr geschaffen ist", eine Zeit, in der immer mehr Menschen ihr Leben über das Smartphone oder Tablet organisieren. "Die Versicherer werden nicht in der Lage sein, sich so schnell zu wandeln, so schnell Entscheidungen zu treffen und auf sich ändernde Bedingungen in der Umwelt zu reagieren", sagt Teicke.

Bald startet das Unternehmen eine TV-Kampagne. Eine weitere Finanzierungsrunde - deutlich größer als die erste - stehe unmittelbar bevor, sagt der Gründer. Mit dem Geld will Financefox wachsen. Nach der Schweiz und Deutschland sollen Österreich, Frankreich, die Niederlande und Großbritannien folgen, später auch die USA. Marktbeobachter erwarten, dass sich Financefox und die anderen jungen Unternehmen nicht lange mit dem Dasein als Vermittler begnügen werden. Schon sehr bald werden sie in den eigentlichen Kern der Versicherung vordringen: Risiken übernehmen und Versicherungsprodukte zusammenstellen, möglicherweise zunächst in Zusammenarbeit mit etablierten Anbietern. Erste Versuche gibt es bereits.

Von einem sind alle ziemlich überzeugt: In zehn Jahren wird der Versicherungsmarkt fundamental anders aussehen als heute.

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