Julia Klöckner sagt es nur ungern, aber dann ist es irgendwann raus. Womöglich, sagt die Landwirtschaftsministerin von der CDU, müsse man "den Absatz fördern". Schließlich lagerten in den Kühlhäusern mittlerweile 260 000 Tonnen unverkauftes Schweinefleisch. Die Zahl sagt sie vorsichtshalber gleich zweimal. "Wir müssen nur achtgeben, dass die Preise nicht dermaßen in den Keller gehen, dass man da psychologisch nicht wieder rauskommt." Soweit ist es also gekommen - auf dem deutschen Schweinefleischmarkt.
Am Mittwoch schalten sich alle Beteiligten zusammen, um die Krise zu besichtigen. Eine Krise, die viele Ursachen hat: rückläufige Nachfrage in Deutschland, gestiegene Futtermittelpreise, starker internationaler Wettbewerb - und dann noch die Afrikanische Schweinepest. Knapp 27 Prozent der deutschen Schweinefleisch-Exporte gingen im ersten Halbjahr 2020 nach China. Doch seit vor ziemlich genau einem Jahr die ersten Schweinepest-Fälle in der Bundesrepublik auftauchten, schottete sich das Land ab. Es folgten Schlachthöfe, die zu Corona-Hotspots wurden; und Lockdowns, in denen mit der Gastronomie auch ein wichtiger Absatzkanal der Landwirte wegfiel.
"Die Situation auf dem deutschen Schweinefleischmarkt kann durchaus mit dem Begriff ,GAU', größter anzunehmender Unfall, beschrieben werden", schrieb das bundeseigene Thünen-Institut im Frühjahr in einer Marktanalyse. Die Situation hat sich seither eher noch verschlechtert. "Katastrophal" sei die Marktlage, sagt Hubertus Beringmeier, beim Bauernverband zuständig für die so genannte Veredelung. Die derzeitige Situation sei "für alle Betriebe existenzbedrohend".
Der Handel reibt sich verblüfft die Augen angesichts der Volte der Ministerin
Bedrohlich ist sie allerdings auch für Klöckner und die Union: Die Landwirte sind längst nicht mehr die sicheren Stammwähler, die sie einst waren. Als Bauern im Winter die Läger von Discountern blockierten, um bessere Konditionen auszuhandeln, stellte sich Klöckner demonstrativ auf deren Seite und gegen den Handel. "Die Preise im Handel sind alles andere als wertschätzend", verbreitete sie per Videobotschaft. "Ich kann euren Zorn verstehen." Immer wieder wandte sich die Ministerin gegen "Ramschpreise an der Theke".
Doch genau die könnten nun kommen, und das vordergründig zum Schutz der Landwirte vor einem weiteren Preisverfall. Die Tür dafür haben Parteifreunde Klöckners aufgemacht, die Agrarpolitiker der CDU-Bundestagsfraktion. "Es bedarf Abverkaufsaktionen", schrieben sie am Dienstag an die Ministerin. Der Handel sei dazu bereit, befürchte aber, "dann sofort wieder zum Ziel von Protestaktionen der Branche (...) aber auch von Protestnoten der Politik zu werden" - womit durchaus Klöckner selbst gemeint sein könnte. Denn drei Sätze weiter bitten die Abgeordneten das Ministerium, "von Interventionen abzusehen", schließlich tue Linderung not. Wäre es nicht so elegant formuliert, könnte man das auch als Ohrfeige für Klöckner verstehen.
Der Handel wiederum reibt sich verblüfft die Augen ob der Volte der Ministerin. Aldi, der Lebensmittelkonzern, der im Fokus der Bauernproteste im Winter stand, reagierte prompt: "Mit zusätzlichen Schweinefleisch-Aktionsartikeln aus deutscher Herkunft" wolle der Händler in den kommenden Wochen den Absatz des massiven Überangebots unterstützten, teilte Aldi mit.
Aldi will auf höhere Haltungsformen umstellen
Eine kleine Spitze gegen die Ministerin konnte sich Erik Döbele, Einkaufschef von Aldi Süd, freilich nicht verkneifen. "Das funktioniert in Deutschland jedoch in erheblichem Umfang nur über den Preis", sagte er. Kurzum: Jetzt will Aldi wieder genau das tun, was der Konzern "nicht zuletzt aufgrund des Drucks der Politik", vermieden hat: Aktionspreise für Fleisch anzubieten.
Gleichzeitig will Aldi den Schweinebauern das Fleisch vorerst für bis zu 20 Prozent über Marktpreis abnehmen und helfen, langfristig die Strukturen zu verändern. "Allein kann der Handel den Wandel nicht gestalten", schränkt Döbele allerdings ein. Der Konzern will aber seinen Teil dazu beitragen, indem er etwa auf höhere Haltungsformen umstellt und den Landwirten höher vergütete Ware abnimmt.
Einstweilen aber bleibt die Lage der betroffenen Schweinehalter kritisch. Der Bauernverband verlangt deshalb weitere Corona-Hilfen, "schnell und unbürokratisch". Auch wollen die Länder prüfen, wie sich Steuerforderungen oder Vorauszahlungen stunden lassen. "Unsere Finanzämter haben uns zugesichert, dass sie die besondere Situation berücksichtigen", sagt Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast, zumal das Problem Schweinepest wohl noch eine Weile bleibe. Es gehe um viel: "Die Landwirtschaft ist der Motor des ländlichen Raums", sagt die CDU-Frau. "Und wenn der stottert, wissen wir, was passiert."