Kurz vor Eröffnung des Weltwirtschaftsforums an diesem Mittwoch in Davos wird Schauspielerin Julia Jentsch eine etwas andere Rolle übernehmen: Im Namen der Organisationen "Erklärung von Bern" und Greenpeace moderiert die 31-Jährige die Verleihung des Negativpreises Public Eye Awards. Jentsch gelang im Jahr 2005 der ganz große Durchbruch. Für ihre Darstellung der Widerstandskämpferin Sophie Scholl im gleichnamigen Film des Regisseurs Marc Rothemund erhielt sie neben dem Silbernen Bären weitere Preise, zuvor hatte sie bereits mit dem Kinofilm "Die fetten Jahre sind vorbei" für Aufsehen gesorgt.
sueddeutsche.de: Frau Jentsch, unmittelbar vor der Eröffnung des Weltwirtschaftsforums in Davos zeichnen Sie die übelsten Unternehmen des Jahres aus. Haben Sie keine Skrupel, die schöne heile Welt zu zerstören, wenn sich die Wirtschaftselite feiert?
Julia Jentsch: Man muss stören. Die Negativ-Auszeichnungen, die von der Organisation "Erklärung von Bern" zusammen mit Greenpeace vergeben werden, wirken - weil die Öffentlichkeit über bestimmte Missstände, wirtschaftliche Verbrechen und Rücksichtslosigkeit aufgeklärt wird. Das ist notwendig. Und bei Davos denke ich eh nicht an heile Welt. Darum glaube ich auch nicht, dass etwas zerstört werden kann.
sueddeutsche.de: Missstände öffentlich machen - das klingt fast so, als wollten Sie mit Ihrem Engagement genau dort anknüpfen, wo Ihr kapitalismuskritischer Film "Die fetten Jahre sind vorbei" endete. Hat Sie der Film angestachelt?
Jentsch: Es gibt Dinge, auf die wird man gestoßen. Durch den Film habe ich mich mehr mit der Globalisierung und den Folgen auseinandergesetzt. Das ist ein positiver Nebeneffekt, den eine Arbeit haben kann. Im Idealfall werden durch einen Film auch andere Menschen zum Nachdenken angeregt und auf eine bestimmte Art und Weise sensibilisiert.
sueddeutsche.de: Spricht da die politische Aktivistin Julia Jentsch?
Jentsch: Ich bin durch den Film "Die fetten Jahre sind vorbei" keine politische Aktivistin geworden. Aber das Wissen hat mein Denken in vielen Momenten und Situationen beeinflusst. Und als ich jetzt die Anfrage für die Verleihung des Public Eye Awards erhalten habe, hatte ich das Gefühl, dass ich auch mein Wissen wieder erweitern kann.
sueddeutsche.de: Der Pharmahersteller Roche könnte in diesem Jahr gleich zwei der von der Wirtschaft nicht gerngesehenen Auszeichnungen abräumen. Was genau wird dem Unternehmen vorgeworfen?
Jentsch: Dass es Forschungen betreibt und Medikamente an transplantierten Organen testet, über deren Herkunft es nicht Bescheid weiß - und auch nicht Bescheid wissen will. Diese Forschung findet zum größten Teil in China statt. Dort weiß man, dass die meisten Organe von hingerichteten Gefangenen stammen. Roche nimmt das in Kauf.
sueddeutsche.de: Angeblich hält das Unternehmen Ergebnisse sogenannter Phase-IV-Studien zurück. Womöglich sind auch hier Patienten Teil der Studie, die Organe hingerichteter Gefangener erhielten. Fehlt dem Konzern Moral? Oder ist es ein klassisches Beispiel aus der Rubrik "Geld regiert die Welt"?
Jentsch: Beides. In unserer Welt ist es doch oft so: Dort, wo viel Geld ist, liegt auch viel Macht. Deshalb verfügt die Wirtschaft ja über diese enorme Machtposition. Mir kommen die Politiker oft nur wie Handlanger vor. Das Machtgleichgewicht ist nicht mehr vorhanden. Unmoralisches Verhalten wird in Kauf genommen - für einen größeren Eigennutzen und Eigengewinn. Am Ende zählt nur die Profitmaximierung.
sueddeutsche.de: Haben Sie mal das Gespräch mit dem Roche-Vorstand gesucht, um über ethisches Verhalten zu diskutieren?
Jentsch: Nein, die "Erklärung von Bern" sucht natürlich das Gespräch. Da der Roche-Vorstand sich keiner Schuld bewusst ist, hat er die Einladung zur Preisverleihung nicht angenommen. Das wäre die Möglichkeit zum Gespräch gewesen. Der Preis wird ihnen in jedem Fall nachgetragen werden.
sueddeutsche.de: Sie moderieren die Vergabe eines Negativpreises. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, welche Konsequenzen die Veranstaltung für Ihre eigene Person haben könnte?
Jentsch: Jeder, der seine Meinung äußert, eckt an. Das ist einfach so. Ich weiß, was ich unterstützen will und für was ich eintrete. Dazu stehe ich. Ich glaube auch nicht, dass ich Menschen, mit denen ich weiterhin zu tun haben möchte, damit vor den Kopf stoße.
sueddeutsche.de: Keine Angst vor einem eigenen Imageverlust oder davor, potentielle Werbepartner mit lukrativen Verträgen zu vergrätzen?
Jentsch: Das würde ich in Kauf nehmen. Ich würde auch nur Werbung für Dinge mache, hinter denen ich voll und ganz stehen könnte. Von daher sehe ich keine Schwierigkeiten.
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