Jugendarmut in Deutschland:Nur jeden zweiten Tag ein warmes Essen

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Sie müssen mit weniger als 980 Euro monatlich leben, ihre Zukunftsaussichten sind schlecht: Laut einer Studie ist jeder fünfte Jugendliche in Deutschland arm oder von Armut bedroht. Gründe, Folgen und mögliche Auswege.

Von Ulrike Heidenreich, München

Es ist oft nur die Schuhmarke, die entscheidet, ob man ein "Langweiler, ein Loser oder ein potenzieller Freund" ist, wie es Klaus Farin, Gründer des Berliner Archivs für Jugendkulturen, ausdrückt. Und der coole Auftritt kostet Geld. Während Jugendliche einerseits zwei Milliarden Euro pro Jahr für ihr Handy, fürs Telefonieren und Simsen ausgeben können, gibt es andererseits jene 1,8 Millionen zwischen 15 und 24 Jahren, die in Armut leben. Für die Bundesarbeitsgemeinschaft katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) heißt das: Die Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe sind ungleich verteilt. Beim Katholikentag in Regensburg stellt die BAG an diesem Freitag ihren " Monitor Jugendarmut" vor:

Wer arm ist

Von den etwa 8,8 Millionen jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren in Deutschland ist etwa jeder fünfte arm oder von Armut bedroht. In der Gesamtbevölkerung ist nur jeder sechste Deutsche betroffen. Die BAG KJS hat Statistiken und Studien verschiedenster Institute für ihren Bericht zur Lage der Jugend ausgewertet. Als armutsgefährdet gilt, wer als allein lebende Person weniger als 980 Euro monatlich zur Verfügung hat. In Hartz-IV-Gemeinschaften lebten 2013 8,9 Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren, fast 780 000, wie das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe errechnet hat. Laut Bundesagentur für Arbeit sind fast 40 Prozent der jugendlichen Hartz-IV-Bezieher schon mindestens vier Jahre darauf angewiesen. Das gilt als dauerhafte Armut und eröffnet schlechte Zukunftsaussichten.

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Wo es fehlt

Die katholischen Jugendsozialarbeiter verstehen unter Armut nicht nur materielle Not, sondern ausdrücklich auch emotionalen, sozialen und kulturellen Mangel. Dieser entsteht, wenn Jugendliche beispielsweise nicht genug Geld haben, um Angebote wie Konzerte und Ausflüge wahrzunehmen, die glücklich machen können oder geistig bereichern. Nach dem Datenreport des Statistischen Bundesamts von 2013 gibt es aber auch handfeste Punkte, an denen materielle Entbehrungen abzulesen sind. 76 Prozent der armen Jugendlichen gaben an, sie könnten keine unerwarteten Ausgaben bestreiten. 27 Prozent essen nur jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit. 17 Prozent klagen darüber, die Wohnung nicht ausreichend heizen zu können.

Wen es trifft

Vor allem Jugendliche mit niedrigem allgemeinen Schulabschluss und ohne Berufsausbildung sind arm dran. "Durch die Chancenungleichheit in Schule und Ausbildung verfestigen sich finanzielle, soziale und emotionale Armutsverhältnisse", sagt Pfarrer Simon Rapp, Vorsitzender der BAG KJS. Unter jenen Jugendlichen, die die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen haben, bleiben später 61 Prozent ohne Berufsausbildung. Je besser und höher der Abschluss, desto leichter ist es, einen Ausbildungsplatz zu finden. Dies gilt jedoch nicht für Jugendliche mit Migrationshintergrund: 2012 begannen lediglich 29 Prozent erfolgreich eine betriebliche Ausbildung. Bei Jugendlichen ohne ausländische Wurzeln waren es immerhin 44 Prozent.

Die Schere zwischen Arm und Reich geht auch bei der Jugend in Deutschland weiter auseinander. Jeder Fünfte ist arm oder von Armut bedroht. (Foto: picture alliance / dpa)

Obwohl die Lage auf dem Ausbildungsmarkt vielversprechend ist, konnten 1,5 Millionen Deutsche unter 29 Jahren keine Ausbildung beginnen oder abschließen. Laut Bundesinstitut für Berufsbildung wird es immer schwieriger, das Angebot an Lehrstellen und die Nachfrage aufeinander abzustimmen. Pfarrer Rapp warnt: "Die Erfahrung, nicht gebraucht und nicht wertgeschätzt zu werden, fördert die Motivationslosigkeit." Die BAG fordert darum eine gesetzliche Verankerung der Ausbildungsgarantie.

Wie es weitergeht

Wie die Eltern, so die Kinder. Armut ist erblich - so Markus Schnapka, Jugenddezernent der Stadt Bornheim, der beim Monitor mitgearbeitet hat: "Armut wird zu oft über Generationen von Eltern an Kinder weitergereicht." Das Risiko, arm zu werden und zu bleiben, steige mit Migrationshintergrund, Behinderung, Bildungsnot. Auch in einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds heißt es, das Verarmungsrisiko vieler Jugendlicher sei "offensichtlich längst nicht immer Ausdruck eigener beruflicher Integrationsprobleme, sondern relativ häufig auf das Fehlen existenzsichernder Arbeitsplätze der Eltern zurückzuführen". Die Defizite des schulischen und beruflichen Ausbildungssystems seien unübersehbar. "Dies zuzulassen, ist für unser reiches Deutschland beschämend", sagt Schnapka.

© SZ vom 30.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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