Süddeutsche Zeitung

Jugendarbeitslosigkeit und Geburtenrate:Keine Jobs, keine Kinder

Europa droht eine weitere Generation zu verlieren: Die hohe Arbeitslosigkeit führt vor allem bei jungen Menschen dazu, dass sie weniger Kinder bekommen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie. Die Deutschen gebären weiter wie zuvor.

Von Benjamin Romberg

Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Schuldenkrise - für viele junge Menschen auf dem Kontinent waren die vergangenen Jahre vor allem: eine persönliche Krise. Alleine in den Euro-Ländern haben 3,5 Millionen Jugendliche unter 25 Jahren keinen Job. Auf der Suche nach Arbeit entscheiden sich viele, ihr Heimatland zu verlassen. Die Unsicherheit im Berufsleben wirkt sich einer Studie zufolge auch auf die Familienplanung aus. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Demographische Forschung in Rostock und der Leuphana Universität Lüneburg wollen nun einen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und der Zahl der Kinder entdeckt haben. Je höher die Arbeitslosenquote, desto weniger Nachwuchs (PDF).

Die Forscher haben von 2001 an einen Zeitraum von zehn Jahren untersucht. Das Ergebnis: Gerade junge Europäer unter 25 Jahren haben die Familienplanung wegen der Probleme auf dem Arbeitsmarkt vorerst aufgeschoben. Vor allem die Geburtenraten für das erste Kind sanken. Bei älteren Menschen, ab dem 40. Lebensjahr, konnten die Wissenschaftler einen solchen Effekt nicht feststellen. Für junge Menschen sei es noch leichter, die Familiengründung zu verschieben, als für ältere, "die den biologischen Grenzen der Fruchtbarkeit schon näher sind", erklärt Michaela Kreyenfeld, Mitautorin der Studie.

In Zahlen liest sich das so: Steigt die Arbeitslosenquote um ein Prozent, sinkt die Geburtenrate bei den 15- bis 19-Jährigen um 0,2 Prozent und bei den 20- bis 24-Jährigen um 0,1 Prozent, rechnen die Wissenschaftler vor. In Südeuropa, wo die Krise am stärksten durchschlägt, ist der Effekt noch etwas deutlicher.

Deutlicher Einbruch in Spanien

Besonders stark waren die Auswirkungen etwa in Spanien, Ungarn, Irland und Kroatien zu beobachten. In Spanien, wo aktuell mehr als die Hälfte der Jugendlichen keinen Job hat, ist der Einbruch besonders deutlich: 2008 lag die Kinderzahl pro Frau noch bei 1,47. Die Arbeitslosigkeit stieg in den Folgejahren rapide an - die Zahl der Kinder fiel kontinuierlich bis auf 1,36 im Jahr 2011. Die Forscher sehen hier eine Kausalität.

Erste Auswirkungen der Krise sind den Forschern zufolge vom Jahr 2008 an zu erkennen - ein ungünstiger Zeitpunkt, wie Kreyenfeld erklärt. "Die Finanzkrise traf Europa zu einer Zeit, als die Geburtenraten in vielen Ländern gerade langsam wieder zu steigen begannen", sagt sie. Die Daten reichen nur bis 2011 - es sei allerdings nicht auszuschließen, dass sich der negative Einfluss auf die Geburtenrate fortsetze.

In Ländern wie Großbritannien, Tschechien oder Polen hat die Arbeitslosigkeit die Geburtenraten zwar gebremst, aber nicht ins Minus gedrückt. In Staaten wie Deutschland, Österreich oder der Schweiz, wo die Lage auf dem Arbeitsmarkt weniger dramatisch ist, war kein Zusammenhang zu erkennen.

Aktionspaket gegen Jugendarbeitslosigkeit

Es gebe auch andere Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen, schreiben die Forscher. Dazu zählten Familienpolitik und Sicherheit von Arbeitsplätze in den einzelnen Ländern. Dass die Arbeitslosigkeit die Geburtenraten in Südeuropa am stärksten beeinflusst, hat nach Ansicht der Forscher damit zu tun: Die Unsicherheit zu Beginn des Arbeitslebens sei in den südlichen Ländern besonders groß, das spiegele sich in den Ergebnissen wider, sagt Kreyenfeld.

Die Politik ist auf das Problem der steigenden Jugendarbeitslosigkeit inzwischen aufmerksam geworden. "Es darf keine verlorene Generation geben", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich in einem Interview. Die Regierungschefs der Europäischen Union haben ein Aktionspaket beschlossen, sechs Milliarden Euro wollen sie bis 2020 investieren. Zu wenig, finden viele.

Teil des Pakets ist auch eine sogenannte "Jugendgarantie". Sie sieht vor, dass junge Menschen innerhalb von vier Monaten Arbeit, Praktikum oder Weiterbildung finden sollen. Das könnte die Sicherheit sein, die sie brauchen, um eine Familie gründen zu wollen.

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