Jürgen Großmann verlässt RWE:Prügel zum Abschied

Jürgen Großmann kam als Überraschungschef zum RWE-Konzern. Ende Juni wird er seinen Posten nun übergeben. Auf seiner letzten Hauptversammlung wird der scheidende Vorstandsvorsitzende hart kritisiert. Sein Nachfolger Peter Terium hält sich sicherheitshalber zurück.

Karl-Heinz Büschemann, Essen

Es gibt kein Bad in der Menge. Jürgen Großmann steht an diesem Mittwochmorgen nicht umringt von Aktionären oder Wegbegleitern, um vor der Hauptversammlung noch ein wenig zu plaudern. Der Vorstandsvorsitzende des Energiekonzerns RWE steht hoch oben auf dem Podium, weit entfernt vom Publikum. Der 60jährige Zwei-Meter-Mann gibt sich dennoch jovial. Die Fotografen im Parkett wollen ihn gemeinsam mit seinem Nachfolger Peter Terium fotografieren. Da blafft Großmann mit sonorem Bass: "Ich bin doch die Vergangenheit, Peter ist die Zukunft". Dann stellt er sich doch neben den kleinen Niederländer und winkt huldvoll für die Fotos.

RWE CEO Grossmann is seen at the annual shareholders meeting in Essen

"Wir freuen uns, dass Sie gehen", attackierte eine Unweltschützerin den scheidenden RWE-Chef Jürgen Großmann.

(Foto: Wolfgang Rattay/REUTERS)

Ja, Großmann steht für die Vergangenheit. Als der Aufsichtsratschef Jürgen Schneider ein paar Worte des Dankes für Großmann findet, der den Konzern durch die jüngste Krise navigiert habe, brandet Beifall auf. Aber nur kurz. Dann ist Schneider, der für die etwas vorzeitige Ablösung Großmanns sorgte, mit den warmen Worten auch schon fertig. Großmann erhebt sich und lächelt schüchtern. Der Mann, der seit Oktober an der RWE-Spitze steht und der heute in der Gruga-Halle seinen letzten Auftritt als RWE-Chef hat, sucht die Anerkennung. Doch es wird sich bald zeigen, dass an diesem Tag die meisten Aktionäre schon über ihn hinweggegangen sind.

Großmann kam als Überraschungschef im Oktober 2007 zum RWE-Konzern. Zuvor hatte er sich als Stahlunternehmer einen Namen gemacht. Der Mann mit dem ausgeprägten Selbstbewusstsein sollte den Konzern aufmischen. Damals hatte Großmann, der als Hobbysegler einen maritimen Jargon liebt, viele Versprechungen gemacht. Er wolle das Schiff "grundüberholen", das aber "bei voller Fahrt und auf hoher See".

Doch seit der globalen Finanzkrise, dem Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft, einem Gewinneinbruch und einem Börsenkurs, der sich in Großmanns Amtszeit halbierte, muss der Konzernchef kleine Brötchen backen. Es sei nicht alles gelaufen wie geplant, räumt er ein. "Wir mussten Dinge bei bewegter Fahrt über Bord werfen." Großmann weiß, dass er seinen Aktionären einiges schuldig geblieben ist.

Großmann, der Ende Juni seinen Posten an den Niederländer Peter Terium übergibt, redet heute eine ganze Stunde. Seine Botschaft: Alles in Ordnung bei RWE, es gibt nur ein bisschen viel Sturm. "Wir haben Umbrüche nicht abgewartet, sondern mutig und vorausschauend gestaltet." In den Zeiten der Hoffnung auf nachhaltige Energie müsse "jeder Stein umgedreht" werden. Der Konzern sei heute "breiter und intelligenter aufgestellt". Ihm sei um die Zukunft des Unternehmens nicht bange.

"Wir sind richtig sauer"

Viele Vertreter der Aktionäre halten sich nicht lange mit Großmann auf. Ein Vertreter der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitzer bescheinigt Großmann mit flottem Tonfall große Verdienste. Zum Beispiel beim öffentlichen Kampf für die Kernkraft: "Wir werden Sie in Erinnerung behalten, weil Sie eine Meinung haben und die auch kundgetan haben. Vielen Dank, dafür." Aber schon ist der Aktionärsvertreter beim Nachfolger. Der solle doch mal sagen, wie er sich die Zukunft von RWE vorstelle. So halten es viele.

Es sieht zunächst so aus, als käme Großmann damit davon, als Fossil der Vergangenheit abgehakt zu werden und sich alle nur noch für Terium interessieren. Doch der 48-Jährige, der das Unternehmen längst führt, verpasste die Chance, ein paar Duftmarken und Akzente zu setzen. Der Konzern werde unter seiner Führung sicher nachhaltiger, sagt er vage. "Wir sind schon gut vorangekommen", liest der Niederländer vom Blatt ab. Das bringt dem Neuen keine Punkte.

Dann geht es doch noch los mit Prügeln für den Mann, der nach der politischen Abkehr der Bundesregierung von der Atomkraft weiter für die Kernenergie kämpft. Vor den etwa 5000 Aktionären in der Gruga-Halle wiederholt er trotzig: "Wir halten die Beschlüsse der Bundesregierung rund um die Kernenergie nicht für rechtens".

"Wir sind richtig sauer", ruft der Vertreter der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger in den Saal. Die Aktionäre hätten nur Wertverluste erlitten. Eine Umweltschützerin der Organisation Urgewalt macht sich mit dem an Großmann gerichteten Satz Luft: "Wir freuen uns, dass Sie gehen." Da gibt es ein wenig Beifall. Großmann habe einen Kurs gefahren "zwischen Kernschmelze und Klimakatastrophe". Der Essener Konzern habe einen Anteil der erneuerbaren Energien von weniger als einem Prozent. In Deutschland liege dieser Anteil inzwischen aber bei 20 Prozent. Das sei blamabel.

Solche Attacken nimmt Großmann erkennbar gereizt entgegen. Er fühlt sich missverstanden, der scheidende Chef wirkt beleidigt. Der RWE-Konzern habe vor langer Zeit versprochen, bis 2050 kohlendioxid-neutral Strom zu produzieren. "Ich verstehe nicht, dass Sie das nicht zur Kenntnis nehmen."

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