Keynes schrieb einst: "Auf lange Sicht sind wir alle tot." Wie lebendig aber ist er heute, 80 Jahre nach der Veröffentlichung seiner General Theory of Employment, Interest and Money?
Keynes ist der Erfinder der Makroökonomie, der Theorie von den Zusammenhängen der Gesamtwirtschaft. Indem er zeigte, dass Volkswirtschaften auch bei hoher Arbeitslosigkeit im Gleichgewicht sein können, brach er mit der orthodoxen Ökonomie seiner Zeit. Diese war davon ausgegangen, dass im Gleichgewicht alle Märkte geräumt würden - also jedes Gut einen Käufer findet. Auch am Arbeitsmarkt. Heute noch sind die Lehrbücher der Makroökonomie voll mit Formeln und Zusammenhängen, die erstmals in Keynes' Hauptwerk auftauchten. Selbst wer behauptet, dass Marktwirtschaften im Gleichgewicht zur Vollbeschäftigung tendieren, muss sich dabei auf ihn berufen. Indem er aufzeigte, dass es Gleichgewichte mit hoher Arbeitslosigkeit gibt, eröffnete er der Politik eine neue Dimension: Staaten müssen möglicherweise Schulden machen, um Vollbeschäftigung zu erreichen.
Keynes' zweites großes Vermächtnis ist die Einsicht, dass Regierungen Depressionen verhindern können. Seine Aktualität wird klar, wenn man die Antworten der Politik auf die Krisen 2008-2009 und 1929-1932 vergleicht. Hat Politik die große Weltwirtschaftskrise der Dreißiger noch relativ verhalten bekämpft, nach Lehman wurde unternommen was ging. Selbst Nobelpreisträger Robert Lucas, ein erklärter Anti-Keynesianer, gab damals zu: "Jeder ist ein bisschen auch Keynesianer."
So sehr die Finanzkrise 2008 gezeigt hat, dass Staaten ihren Keynes gelesen haben und alle Register ziehen, wenn eine Depression droht, wurde auch deutlich: Dass hohe Arbeitslosigkeit ein Gleichgewichtszustand sein kann, glauben nur noch wenige. Viele Staaten sind lange bevor Vollbeschäftigung erreicht war, zur Austerität übergegangen. Offenbar wurde erwartet, dass Ökonomien nach Schocks schnell wieder von selbst genesen.
Heute wird Arbeitslosigkeit eher als Problem unflexibler Löhne angesehen. Als die keynesianische Politik der Nachkriegszeit in große Schwierigkeiten geriet, weil die Inflation in den Sechzigerjahren stark anstieg, gewann Milton Friedman viele Anhänger. Er erklärte die hohe Inflation mit der Gelddruckerei der Regierungen. Die Folge war, dass die Wirtschaftspolitik ein neues übergeordnetes Ziel bekam: stabile Preise. Das keynesianische Ziel der Vollbeschäftigung wurde aufgegeben. Der Arbeitsmarkt wurde dem Spiel der Preise überlassen und die Arbeitslosigkeit sollte zu ihrer "natürlichen Rate" finden - was auch immer diese war. Mit dem ideologischen Rechtsruck seit Thatcher und Reagan war Keynes vollständig in Ungnade gefallen. So steuerte die Weltwirtschaft geradeaus auf den Eisberg von 2008 zu.
Seit damals hat Keynes aber Sympathien zurückgewonnen, weil deutlich wurde, wie korrupt das Finanzsystem war, das der Politik einfach seine Forderungen diktiert hatte. Finanzmärkte zugunsten der Vollbeschäftigung zu regulieren, ist ganz und gar keynesianisch. Lebendig ist Keynes auch an den Unis. Wie die heutige Generation junger Ökonomen, kritisierte auch er seine Vorgänger für unrealistische Annahmen und Modelle. Wer aus dem Optimierungsdenken der Ökonomie fliehen will, muss Keynes sympathisch finden. Deshalb, glaube ich, wird Keynes in zwanzig Jahren, hundert Jahre nach seinem großen Werk, immer noch lebendig sein.
Robert Skidelsky ist emeritierter Professor für Politische Ökonomie an der Universität Warwick und vielfach ausgezeichneter Keynes-Biograf.