Joe Kaeser im Gespräch:"Erst Siemens, dann die Teile"

Radikaler Konzernumbau, und jetzt auch noch die Gründung einer eigenen Bank: Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser über Turbulenzen auf dem Finanzmarkt, unternehmerische Defizite - und warum er das "ä" verlor.

Caspar Busse und Martin Hesse

Joe Kaeser kennt den Siemens-Konzern wie kaum ein anderer, heute sitzt er auf einer Schlüsselposition. Vor vier Jahren ist er zum Finanzvorstand berufen worden. Er kommuniziert mit Analysten und Investoren und muss darauf achten, dass alle Siemens-Geschäfte profitabel laufen und die Planungen einhalten. Zudem verwaltet er die neun Milliarden Euro, die Siemens in der Kasse hat. Dafür will Kaeser nun eine eigene Bank gründen. Zum Gespräch empfängt Kaeser in einem Nebentrakt der Münchner Zentrale. Ein wenig stolz ist er auch: Gerade wurde Kaeser vom Fachmagazin Institutional Investor ausgezeichnet.

Umbau von Siemens-IT-Sparte kostet 4200 Jobs

Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeserspricht über seine 30 Jahre bei Siemens und wie sich der Konzern verändert hat.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Kaeser, Sie haben 1980 bei Siemens angefangen. Erkennen Sie den Konzern 30 Jahre später noch wieder?

Joe Kaeser: Nun, der Name ist zumindest der gleiche geblieben. Siemens hat es geschafft, sich in den vergangenen 160 Jahren immer wieder zu erneuern, so auch in dieser Zeit. Mitte der 80er Jahre veröffentlichte Siemens eine Strategievision, die die nächsten Jahrzehnte prägen sollte. Kommunikationstechnik, Industrie- und Büroautomatisation sowie die Halbleitertechnik hießen damals die vier Zukunftsfelder. Das erschien uns als jungen Mitarbeitern spektakulär und visionär. Ich habe das mit Begeisterung und hoher Motivation aufgenommen. Wenn ich mir überlege, wie sich das verändert hat. . .

SZ: . . .dann ist heute eigentlich nur noch der Bereich Industrie geblieben, alles andere wurde aufgegeben. Woran lag es?

Kaeser: Die Welt hat sich verändert, und wir uns mit ihr. Siemens war in Teilen vielleicht damals auch nicht überall in der Lage, alle Geschäftsfelder dauerhaft zu einem Erfolg zu machen. Das mag in Einzelfällen auch an etwas überzogenem Selbstbewusstsein gelegen haben. Wenn man zum Beispiel in der Öffentlichen Vermittlungstechnik so lange Weltmarktführer war und die Entwicklung dieses Geschäftes bei uns in den letzten 20 Jahren betrachtet, kommt einem unweigerlich der Gedanke an unternehmerische Defizite in den Sinn. Viele Teile von Siemens haben sich aber in diesen 30 Jahren hervorragend entwickelt.

SZ: Auch Sie haben Ihre Karriere bei Siemens in einem der vermeintlichen Zukunftsfelder gestartet, in Regensburg im Bereich Halbleiter. Haben Sie die Fehlentwicklung nicht erkannt?

Kaeser: Ich hatte ja einen guten Job bei den "diskreten" Bauelementen, die erfolgreich waren und gute Zahlen schrieben; ich hätte das Mega-Abenteuer nicht machen müssen. Aber mal grundsätzlich: Ich habe das erstens damals aus der Froschperspektive gesehen, zweitens war die Halbleiterei bei Siemens seit Beginn dieser Technologie eine ständige Aufholjagd gegen die übermächtigen Amerikaner und damals Japaner. Man wollte junge Mitarbeiter für das Projekt begeistern. Die Arbeitssitten Anfang der 80er Jahre waren sehr streng. Damals war für uns der Werksleiter noch wie "der liebe Gott". Die Sekretärin holte jeden Morgen um viertel nach acht die Anwesenheitsliste ab. Wer bis dahin noch nicht da war und sich nicht eingetragen hatte, musste ins Werksleitervorzimmer, das dort nachholen und die Verspätung genau begründen.

SZ: Später gingen Sie ins Ausland. Eine Flucht vor den Zuständen?

Kaeser: Nein, ich wollte ganz einfach den Horizont international erweitern, was das Unternehmen ja auch sehr stark von seinen Nachwuchs- und Führungskräften erwartet - nicht erst seit heute. Ich habe dann für Siemens in Asien gearbeitet und übernahm nach meiner Rückkehr eine sehr interessante Aufgabe bei den Optohalbleitern, die heute der Wachstumsmotor für Osram sind. Nach erfolgreicher Sanierung dieses von der Unternehmensleitung schon aufgegebenen Geschäftes ging ich 1995 in die USA und wurde Finanzchef der damaligen Siemens Components.

SZ: Dort haben Sie auch das "ä" in Ihrem Nachnamen verloren.

Warum sind Sie trotz dieser Amerikanisierung nach Deutschland zurückgekehrt?

Kaeser: Da gab es einige Gründe, obwohl es Angebote im Silicon Valley gab. Ich habe irgendwann im Jahr 1999 einen Anruf vom damaligen Finanzvorstand erhalten. Er brauchte international erfahrene Mitarbeiter, die ihn und das Unternehmen bei der Vorbereitung des Börsenganges an der New Yorker Börse unterstützen sollten. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich dann bei strahlend blauem Oktoberhimmel in San Francisco ins Flugzeug stieg und in grauem Herbstnebel mit Nieselregen in München ankam. Da hatte ich mir noch gedacht: Worauf hast Du Dich denn da eingelassen?

SZ: Es waren aber doch bewegte Zeiten. Der damalige Konzernchef Heinrich von Pierer war unter Druck und hatte gerade das berühmte Zehn-Punkte-Programm vorgestellt, das unter anderem die Abspaltung dessen vorsah, was heute Infineon und Epcos heißt.

Kaeser: Das Zehn-Punkte-Programm entstand 1998 und war mitten in der Abarbeitung. Ich habe es aber als defensives Programm erlebt. Der Siemens-Vorstand musste reagieren, sonst wäre der Konzern wohl noch weiter unter Druck geraten. Ich habe es deshalb weniger als visionäre Strategie wahrgenommen, sondern als Konsolidierung und Öffnung des Unternehmens in Richtung der Aktionäre, was vermutlich aber auch intendiert war. Und am Ende konnte das Programm ja in allen wesentlichen Punkten erfolgreich abgeschlossen werden.

SZ: Aber zu der Zeit hatten Sie bereits Verantwortung in der Zentrale. Das ging also auch auf Ihr Konto.

Kaeser: Wie ich schon sagte, das Zehn-Punkte-Programm wurde 1998 gestartet; ich kam Oktober 1999 aus den USA zurück. Das Nachfolgeprogramm "Operation 2003" brachte dann immerhin erstmals Margenziele für die damaligen Bereiche, die aus dem Vergleich mit den Wettbewerbern abgeleitet wurden. Das war neu und positiv, denn die Ziele wurden von außen nach innen bestimmt. Während Siemens bis dahin doch eher nach innen gerichtet war, öffnete sich das Unternehmen in der Folge stärker dem internationalen Vergleich.

"Es ist wirklich kein Hexenwerk"

SZ: Dann kam der Führungswechsel - von Heinrich von Pierer zu Klaus Kleinfeld, der machte Sie erst zum Strategiechef, dann zum Finanzvorstand.

Kaeser: Da bewegte sich tatsächlich etwas, es war ein wahrgenommener Aufbruch in eine neue Ära. Kleinfeld gab im Frühjahr 2005 mit dem "Fit-4-More-Programm" konkrete Ziele und Zeiträume vor und sagte dazu auch noch auf der Halbjahrespressekonferenz: "Daran können Sie mich messen." Vielen bei Siemens war das wegen der etwas unvermittelten Konkretheit der Verantwortung doch etwas unheimlich. Anderen ging es immer noch nicht weit genug. Man konnte überall im Unternehmen spüren, wie die verändernden und bewahrenden Kräfte miteinander rangen, nicht immer mit den allerbesten Ergebnissen. Von 2005 bis 2007 haben sich etwa 40 Prozent des Unternehmens strukturell verändert. Trotzdem wurde Siemens immer noch als die Summe seiner Bereiche gesehen. Im Frühjahr 2007 hatte das Unternehmen alle Ziele fristgerecht erreicht, aber das ist am Ende des Programms, also zum April 2007, völlig untergegangen...

SZ: . . .weil Kleinfeld während der Korruptionsaffäre seinen Rücktritt erklärte. War das für Sie das einschneidendste Erlebnis?

Kaeser: Die Compliance-Affäre war natürlich extrem - für das Unternehmen und alle seine Mitarbeiter. Wir haben die Vergangenheit mit vereinten Kräften gründlich aufgearbeitet und für die Zukunft die Lehren daraus gezogen. Im Ergebnis haben wir heute weltweit führende Compliance- und Kontrollsysteme. Man muss aber einräumen, dass die BenQ-Insolvenz in Deutschland ebenfalls einen großen Rufschaden verursacht hat, auch wenn unsere Absicht damals natürlich eine ganz andere war: Wir standen vor der Wahl, an einen westlichen Handy-Hersteller zu verkaufen, der aber alle Werke in Deutschland geschlossen haben wollte und auf weiteren Personalabbau drängte. Die Alternative war ein Unternehmen, das sich bis dato als erfolgreicher taiwanesischer Hersteller präsentierte und der die Arbeitsplätze in Deutschland erhalten wollte. Die Entscheidung hat sich retrospektiv als die falsche erwiesen.

SZ: Inzwischen haben Peter Löscher und Aufsichtsratschef Gerhard Cromme das Sagen - aber Sie sind als Wegbegleiter Pierers und Kleinfelds immer noch an Bord. Fühlen Sie sich da noch am richtigen Platz?

Kaeser: Ich orientiere mich bei meinen Entscheidungen, wo ich bleiben will und mich wohlfühle, nicht daran, wer meiner Wegbegleiter gerade "in oder out" ist, sondern daran, ob mich das Umfeld die Werte leben und verwirklichen lässt, die mich treiben - und das sind Teamgeist, Fairness und Hochleistungskultur, die auch von meinen Mitarbeitern beeindruckend gelebt werden.

SZ: Was hat sich geändert?

Kaeser: Im Vorstand hat sich die Kultur der Zusammenarbeit mit dem Führungswechsel fundamental fortentwickelt. Mit Herrn Löscher und Herrn Cromme kam neben dringend notwendiger Stabilität auch grundlegender Wandel, weniger zunächst programmatisch als vielmehr in der Führungskultur. Früher hatte man oft den Eindruck, dass zum Beispiel gerne in den Gremien Bereichsinteressen über die von Siemens insgesamt gestellt wurden und die Zentrale in München als ein notwendiges Übel galt, um das ganze irgendwie zusammenzuzählen. Aber auch diese Managementgenerationen haben dem Unternehmen viel gegeben. Ihre Lebensleistungen sollten in der Gesamtbilanz fair gewürdigt werden.

Heute gilt bei uns allen im Vorstandsteam: Siemens zuerst, und dann seine Teile.

SZ: Noch größere Probleme gibt es um Siemens herum, bei den Banken. Macht Ihnen das Sorgen?

Kaeser: Nein, nicht mehr, aber ich hatte in den turbulenten Wochen nach der Lehman-Pleite auch Tage und Nächte, wo ich unter anderem wegen der Werthaltigkeit unserer Sicherungsderivate die Luft anhielt. Vor drei Jahren kam ich noch nicht einmal auf die Idee, mir Sorgen zu machen, wo wir zum Beispiel unsere Liquidität anlegen, mit wem wir Währungs- oder Zinssicherungsgeschäfte machen. Nach den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre sehe ich hier realen Handlungsbedarf, unabhängig davon, wer im Rahmen der gesamten Finanzmarktturbulenzen Opfer oder Täter war. Man kann im heutigen, in Teilen immer noch intransparenten regulatorischen Umfeld in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn Banken in Schwierigkeiten geraten. Dabei ist es dann irrelevant, wer es verschuldet hat. Darauf wollten wir reagieren.

SZ: Was wollen Sie tun?

Kaeser: Wir haben vor einiger Zeit eine Banklizenz beantragt. Wir hoffen, dass die Bafin die Lizenz in nächster Zeit erteilt.

SZ: Wozu eine Banklizenz?

Kaeser: Wir wollen damit kein Retailgeschäft betreiben, wie mancher Wettbewerber. Stattdessen könnten wir in erster Linie das Produktspektrum unserer Financial Services im Bereich der Absatzfinanzierung mit Unternehmenskunden erweitern. Zudem könnten wir auch bei der Bundesbank selbst Einlagen platzieren und uns zusätzliche Finanzierungsquellen erschließen. Unsere Liquidität liegt derzeit bei fast neun Milliarden Euro, dafür brauchen wir insbesondere sichere Anlagemöglichkeiten. Das könnten wir in Zukunft eben dann selbst mitgestalten. Es ist ja auch wirklich kein Hexenwerk.

SZ: Da werden die Banken aber weinen, wenn sie einen Kunden wie Siemens verlieren.

Kaeser: Naja, so viel Geschäft ist das auch wieder nicht, und keine verlässliche Bank wird deshalb Siemens als Kunden verlieren.

SZ: Wie gehen die Geschäfte im laufenden dritten Quartal?

Kaeser: Es ist ja noch nicht abgelaufen, und wir haben deshalb noch keine vollständigen Ist-Zahlen, aber so viel kann ich schon verraten: Das Auftragswachstum kehrt zurück. Auch das Ergebnis entwickelt sich dank frühzeitig eingeleiteter Produktivitätsmaßnahmen in Verwaltung, Vertrieb und Einkauf weiter ordentlich. Etwas mehr ins Detail werde ich hier an unserem Capital Market Day am Dienstag gehen.

SZ: Hilft Ihnen der schwache Euro?

Kaeser: Ein Euro von 1,20 oder 1,25 Dollar stärkt die europäische Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu den Vorjahren deutlich. Auch für Siemens ist ein starker Dollar gut.

SZ: Ist die Talsohle für Siemens durchschritten?

Kaeser: Das zu behaupten, wäre noch etwas verfrüht, weil sich unsere Sektoren in unterschiedlichen Phasen des Konjunkturzyklus befinden und einige Geschäfte unterhalb der Sektorenebene noch beachtliche Herausforderungen vor sich haben. Aber eines steht fest: Wir haben in den letzten zwei Jahren die Früchte der frühzeitig und umsichtig eingeleiteten Kostensenkungen geerntet. Künftige Ertragsimpulse müssen vor allem aus dem Umsatzwachstum kommen.

Zur Person: Joe Kaeser wurde am 23. Juni 1957 als Josef Käser in Arnbruck im Bayerischen Wald geboren. Nach dem Abitur studierte er an der Fachhochschule Regensburg Betriebswirtschaft. 1980, im Alter von 23 Jahren, begann Kaeser seine Karriere bei Siemens, zunächst im Bereich passive Bauelemente. Über Stationen unter anderem in den USA, wo er seinen Namen abänderte, kam Kaeser in die Konzernzentrale, wo er 2006 Finanzvorstand wurde. Neben Hermann Requardt ist er der Einzige, der schon unter Klaus Kleinfeld dem Vorstand angehörte und die Korruptionsaffäre überstand. Kaeser ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: