Jobsuche:Wie die Regierung Langzeitarbeitslosen helfen will

Jobsuche: Viele Jahre war er arbeitslos, nun hat Andreas Örmenyi im Freisinger Buchcafé einen neuen Job gefunden.

Viele Jahre war er arbeitslos, nun hat Andreas Örmenyi im Freisinger Buchcafé einen neuen Job gefunden.

(Foto: Marco Einfeldt)
  • Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland ist auf ein Rekordhoch gestiegen - doch noch immer gibt es hierzulande 764 453 Langzeitarbeitslose.
  • Ein neues Gesetz soll ihnen helfen, wieder einen Job zu finden: mit einem Coaching-Programm und Anreizen für Arbeitgeber.
  • Doch es gibt auch Kritik: Hilfe bekommt erst, wer sechs Jahre arbeitslos war - würde man die Frist um ein Jahr verkürzen, könnten über 40 000 Menschen mehr gefördert werden.

Von Jasmin Siebert

An manchen Tagen nimmt Andreas Örmenyi fünf Kartons voller Bücher entgegen. Viele Freisinger bringen ihre aussortierte Lektüre ins Buchcafé "Etappe". Dort ordnet Örmenyi die Bücher, gibt ihnen Preise und berät Kunden. Als der 56-Jährige mit dem graublonden Schnauzer vor mehr als einem Jahr einen Ein-Euro-Job in dem Caritas-Betrieb antrat, lebte er schon sechs Jahre lang von Hartz IV.

Fortbildungen, Kurse, Maßnahmen, Arbeitsgelegenheiten in gemeinnützigen Einrichtungen - die Liste der Angebote für Arbeitslose ist lang, die Erfolge sind eher mau. Im November 2018 sind in Deutschland noch immer 764 453 Langzeitarbeitslose gemeldet, also Menschen, die seit mehr als einem Jahr arbeitslos sind. Und das, obwohl die Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 2018 erneut auf ein Rekordhoch gestiegen ist: Im Jahresdurchschnitt hatten rund 44,8 Millionen Personen einen Job, das waren 1,3 Prozent mehr als noch im Vorjahr.

Knapp 13 Prozent der Langzeitarbeitslosen leben sogar seit mehr als sechs Jahren von staatlichen Leistungen. Genau dieser Gruppe, die im Behördensprech als "sehr arbeitsmarktfern" gilt, soll das neue Teilhabechancengesetz zugute kommen, das nun zu Jahresanfang in Kraft getreten ist, und auf das Wohlfahrtsverbände lange gewartet haben. "Wir sind sehr froh, dass das Gesetz endlich kommt", sagt Birgit Fix, Referentin für Armuts- und Arbeitsmarktfragen beim Bundesverband der Caritas in Berlin. Mit dem neuen Paragrafen 16i des Sozialgesetzbuches II habe man endlich ein geeignetes Förderinstrument für Langzeitarbeitslose.

Das Gesetz sieht Folgendes vor: Arbeitgeber, die eine Person einstellen, die von den vergangenen sieben Jahren mindestens sechs arbeitslos war, erhalten fünf Jahre lang Zuschüsse. In den ersten beiden Jahren übernimmt der Staat das Gehalt in Höhe des Mindest- beziehungsweise Tariflohns komplett, danach fährt er die Förderung jährlich um zehn Prozent zurück. Eine weitere wichtige Neuerung: Während die Betreuung durch das Jobcenter bisher mit Aufnahme einer regulären Arbeit endete, gibt es nun ein berufsbegleitendes Coaching durch die Arbeitsagentur oder einen beauftragten Dritten. Um die Menschen nicht nur in Arbeit zu bringen, sondern sie dort zu halten, soll sich der Coach umfassend um seinen Klienten kümmern. Er soll mit ihm nicht nur Kompetenzen trainieren, die für den Beruf wichtig sind, auch bei Alltagsproblemen und in Krisen soll er zur Seite stehen.

Fix von der Caritas findet das Coaching prinzipiell gut, sie stört nur, dass der Coach nicht im selben Unternehmen arbeiten darf. Der Wohlfahrtsverband habe gute Erfahrungen mit einem betriebsinternen Betreuer gemacht. Dieser kenne den Arbeitsplatz und sei bei Konflikten vor Ort. Zwar steht das Teilhabechancengesetz allen Firmen offen. Zu erwarten ist allerdings, dass es vor allem soziale und kirchliche Einrichtungen nutzen, um Langzeitarbeitslosen eine Chance zu geben. So ist es auch bei Andreas Örmenyi, den die Freisinger Caritas dank des Teilhabechancengesetzes mindestens für fünf Jahre im Buchcafé anstellen wird.

Unterstützung bekommt nur, wer sechs Jahre arbeitslos war

Der Hauptkritikpunkt am neuen Gesetz ist, dass jemand erst mal sechs Jahre arbeitslos sein muss, ehe er von dem Gesetz profitiert. Ausgenommen sind nur schwerbehinderte Menschen und diejenigen, in deren Haushalt ein minderjähriges Kind lebt. Sie müssen nur fünf Jahre staatliche Leistungen bezogen haben. "Wir wünschen uns generell eine Drei- bis Vierjahresfrist", sagt Fix. Selbst wenn man die Frist nur um ein Jahr verkürzen würde, könnten noch einmal über 40 000 Menschen mehr gefördert werden. Auch Wolfgang Stadler, Bundesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt, fordert: "Die Menschen sollten nicht so lange warten müssen."

Ansonsten bewerten die Wohlfahrtsverbände das Gesetz positiv. So sind etwa für jeden vormals Langzeitarbeitslosen 3000 Euro für Weiterbildungen vorgesehen. Anders als bei anderen Zuschüssen muss der Arbeitgeber auch keine "Minderleistung" definieren. Er muss also nicht melden, was der neue Mitarbeiter alles nicht kann, um die Förderung zu bekommen. So rückt der Fokus weg von den Schwächen hin zu den Ressourcen der Menschen.

Andreas Örmenyi ist vor fast zehn Jahren aus dem Rheinland nach Bayern zu seiner Lebensgefährtin, einer Autistin, gezogen. Bis dahin hatte er einen Internetshop für Modellbau betrieben. Früher war er technischer Betriebsleiter in der Metallverarbeitung, hatte jedoch nie eine Ausbildung absolviert. Weil seine Partnerin Hilfe brauche und er Rückenprobleme habe, habe er beruflich nicht mehr Fuß fassen können, sagt er. Im Freisinger Buchcafé hat er nun endlich einen neuen Job gefunden, der zu ihm und zu seiner Lebenssituation passt. "Hier geht man unheimlich gut miteinander um", sagt er.

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