Süddeutsche Zeitung

Vorstand der Bundesagentur für Arbeit:Gleiche Arbeit, ungleicher Lohn

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Von Thomas Öchsner

Die Jobcenter gehören zu den Eckpfeilern des deutschen Sozialstaates. 6,1 Millionen Hartz-IV-Empfänger hängen am Tropf dieser Behörden. Wie viel Geld ausbezahlt wird, welche Hilfen hier gewährt werden, bestimmt den Alltag vieler Familien. Trotzdem sind die Jobcenter auch zehn Jahre nach Einführung der staatlichen Grundsicherung ein Stiefkind des Sozialstaates geblieben.

BA-Vorstand Heinrich Alt fordert einen einheitlichen Tarifvertrag

Nach wie vor läuft dort vieles schief: Den Mitarbeitern wird immer wieder vorgehalten, sie seien überfordert, entschieden nach Gutsherrenart, hätten kein Mitleid - und Jobs für Langzeitarbeitslose hätten sie sowieso nicht anzubieten. Die Personalräte in den Jobcentern wiederum klagen über fehlende, qualifizierte Betreuer, ständige Personalwechsel und schlechte Arbeitsbedingungen. Heinrich Alt, Vorstandsmitglied bei der Bundesagentur für Arbeit (BA), fordert nun, mit dieser Misere endlich Schluss zu machen.

Vor mehr als zehn Jahren gegründet, um die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in der staatlichen Grundsicherung (Hartz IV) zusammenzuführen, sollten die Jobcenter "Hilfe aus einer Hand" anbieten. 303 der Einrichtungen werden deshalb von Bundesagentur und Kommunen gemeinsam geführt. "Dabei sind sie aber der größte Betrieb in der Republik ohne eigenes Personal geblieben", sagt Alt und fügt hinzu: "Wir sind froh, wenn jemand länger als 24 Monate bleibt."

Beim Personal gleichen die Jobcenter einem Gemischtwarenladen: Manche der 60 000 Mitarbeiter wurden von der Telekom, Post und Bahn ausgeliehen. Einige werden von Städten, Gemeinden und der Bundesagentur auf Abruf zugewiesen. Wieder andere sind extern Eingestellte, die sich im Schnelldurchgang das Abc des Sozialrechts aneignen müssen. Eigenes Personal haben die Jobcenter nicht, geschweige denn eine Personalplanung.

Fluktuation bis zu 20 Prozent

Tatsächlich wurde das Personal seit Einführung der Hartz-Gesetze einmal komplett durchgewechselt. Etwa 15 Prozent der Mitarbeiter gehen im Jahr, in Jobcentern in Großstädten kann die Fluktuation bis zu 20 Prozent betragen. Die Aufstiegschancen sind gering, die Gehaltsunterschiede krass: "Wegen der unterschiedlichen Arbeitgeber können die Einkommensunterschiede brutto monatlich bis zu 800 Euro betragen", kritisiert Alt.

Für ihn ist deshalb klar: Die 60 000 Mitarbeiter brauchen einen einheitlichen Tarifvertrag mit einer guten und adäquaten Bezahlung. Schließlich gehöre ihre Arbeit zu den anspruchsvollsten Jobs im deutschen Sozialstaat. Für Alt ist es "nicht vertretbar, dass es immer noch nicht für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn gibt". Außerdem sollte es einen Etat für eine professionelle Personalentwicklung geben, um jährlich etwa 1500 Nachwuchskräfte für die Jobcenter zu gewinnen und auszubilden. Die Ausgaben von grob geschätzt 50 Millionen Euro im Jahr lohnten sich schnell. "Wir brauchen nicht einfach bloß mehr Personal, sondern mehr professionelles und stabiles Personal mit Empathie für die Menschen, guten Kontakten in die örtliche Wirtschaft und Erfahrung."

Alt hat einen Traum: Die Behörden sollten sich zu einem "Synonym für sozialstaatlich gut organisierte Nächstenliebe" entwickeln. Das aber dürfte noch lange ein Traum bleiben.

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Quelle:
SZ vom 18.05.2015
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