Ob bei der Diskussion mit Kollegen oder beim virtuellen Bier mit Freunden: In den vergangenen Monaten lernten viele Menschen eine Fülle an Videokonferenz-Tools kennen - Zoom, Microsoft Teams, Google Meet, WebEx, Slack, Skype und viele weitere. Ein Programm fiel dabei etwas aus dem Rahmen, weil es keinem Konzern gehört, keine persönlichen Daten sammelt und im Hintergrund keine Audio- oder Videoaufnahmen erstellt. Als sehr sicher gilt es auch: Es ist Open-Source, nutzt verschlüsselte Verbindungen und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Und das Programm ist kostenlos, man kann einfach über den Browser teilnehmen und bis zu 50 Teilnehmer einladen. All diese Faktoren führten unter anderem dazu, dass viele Lehrerinnen und Lehrer es zu Beginn der Pandemie für die ersten Distanzunterricht-Versuche nutzen. Schleswig-Holstein hat es mittlerweile sogar in die Home-Schooling-Infrastruktur integriert. Die Rede ist von Jitsi Meet.
Jitsi Meet ist vor allem das Werk von Emil Ivov. Als Informatik-Student an der Universität Straßburg schrieb der gebürtige Bulgare Anfang der 2000er-Jahre seine Masterarbeit über ein Konzept von Software-Kommunikation und entwickelte dafür ein Programm, das dank des Hinweises seines Professors bereits über den neuesten Internetprotokoll-Standard IPv6 verfügte. Mit seiner Doktorarbeit verbesserte er das Open-Source-Programm, für das sich bald auch andere aus der Open-Source-Gemeinschaft interessierte. Mit seiner Studienkollegin Yana Stamcheva gründete er schließlich die Firma Blue Jimp und taufte das Programm Jitsi. Das Wort kommt vom bulgarischen "Жици" und bedeutet "Drähte".
Die Zahl der Nutzer stieg sprunghaft an
Der Name habe ihnen gefallen, weil er unverwechselbar sei, aber auch, weil er die Verbindungen verdeutliche, die Jitsi-Benutzer miteinander herstellen, sagt Ivov. "Es dauert buchstäblich nur ein oder zwei Klicks, bis Leute an Jitsi Meet teilnehmen können". Wie viele diesen Weg der Kontaktaufnahme gewählt haben, zeigt der sprunghafte Anstieg der Nutzerzahlen. Waren es im Januar 2020 noch rund 100 000 aktive Nutzer pro Monat, ist die Zahl der Nutzer seit April 2020 auf 20 Millionen gestiegen. Rund 30 Prozent der Schulen In Italien, Frankreich und Spanien setzen mittlerweile auf Jitsi, so Ivov.
Zu Jitsi gehören neben Jitsi Meet noch andere Projekte wie "Jitsi as a Service", das ab einer bestimmten Nutzerzahl kostenpflichtig ist. Damit lassen sich die Dienste in eigene Websites und Apps einbinden. Jitsi gehört mittlerweile der US-Cloudfirma 8x8, die ihren Sitz in Austin, Texas hat und verschiedene Kommunikationslösungen anbietet. Emil Ivov ist dort Chef der Produktentwicklung für Video- und Konferenzsoftware. Auch seine Studienkollegin und Mitgründerin Yana Stamcheva arbeitet mittlerweile dort als Director of Engineering.
Jitsi ist DSGVO-konform
Dass Jitsi Meet in Europa so gefragt ist, liegt auch daran, dass es im Gegensatz zu anderen Videokonferenz-Lösungen wie Zoom den Vorgaben der EU-weit geltenden Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) entspricht. Auch der Whistleblower Edward Snowden und die Freedom of The Press Foundation empfehlen das Programm. Es sammelt keine Nutzerdaten und somit können diese auch nicht in den USA weiterverarbeitet werden. Das ist zwar nach dem vom EuGH im vergangenen Sommer gekippten Privacy-Shield-Abkommen auch nicht mehr erlaubt, aber US-Anbieter sind nach dem Cloud-Act weiterhin verpflichtet, gespeicherte Daten an Behörden weiterzugeben.
Doch warum müssen Jitsi-Meet-Nutzer keinen Account erstellen und damit persönliche Daten Preis geben? Emil Ivov sagt, dass es zum einem daran liege, dass es die Nutzerinnen und Nutzer so einfach wie möglich haben sollten: "Profile erstellen macht Mühe". Zum anderen habe natürlich auch der Datenschutzaspekt eine Rolle gespielt. "In der Regel gibt es einen Konflikt zwischen den Dienstanbietern und Nutzern über die Frage, was genau mit den erhobenen Daten passieren darf. Wir waren der Meinung, dass ein einfacher Lösungsansatz für dieses Problem darin bestehe, einfach keine sensiblen Informationen zu haben."
Verschlüsselung ist Standard
Dass Jitsi Meet ausschließlich verschlüsselte Verbindungen für die Kommunikation nutzt, ist für Emil Ivov eine Frage der Professionalität. "Wenn Sie in ein Taxi steigen, fragen Sie den Fahrer auch nicht, ob er regelmäßig Pausen macht, die Räder funktionieren oder er vorhat, mit 300 km/h durch die Stadt zu rasen." Genauso verhalte es sich bei der Datenverschlüsselung. Kommunikation sollte immer sicher und vertraulich sein und niemals unverschlüsselt im Netzwerk gesendet werden. Passiere das, könnten Unbefugte Dritte leicht darauf zugreifen.
Während die Verschlüsselung Benutzer vor Personen schützt, die möglicherweise Zugriff auf die Daten erhalten, schützt die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nur vor einem weiteren Schritt: Davor, dass der Anbieter des Dienstes auf die Daten zugreifen kann. "Im Fall von meet.jit.si wäre dies 8x8. Bei Teams dann Microsoft", sagt Ivov. Offenbar fühlten sich aber viele Menschen unwohl, wenn die Anbieter - zumindest theoretisch - Zugang zu ihren Inhalten haben, deshalb biete man das auch an.
Jitsi ist ein Open-Source-Projekt, Ivov sieht darin viele Vorteile. Zum einen führe dass dazu, dass viele Entwicklerinnen und Entwickler den Programmcode durchgesehen haben. So finde man dank der großen Community schnell Hinweise auf mögliche Probleme, die zügig entfernt werden können. Auch sei freie und offene Software mittlerweile auf dem freien Markt sehr anschlussfähig. Und dann gebe es auch noch einen ganz persönlichen und eher pragmatischen Grund dafür, warum Jitsi Open Source sei, sagt Ivov:"Für mich war das ein guter Weg, mit meinem Programm eine Art öffentlichen Lebenslauf zu präsentieren. So konnte ich zeigen, welche Kompetenzen ich habe." Das gelte auch für viele andere, die an dem Projekt mitgearbeitet haben. "Die Github-History von Jitsi hat vielen Entwicklerinnen und Entwicklern gute Stellenangebote über Linkedin eingebracht."