Jim Yong Kim wird neuer Weltbank-Präsident:Wirtschaft muss er erst noch lernen

Washingtoner Establishment oder Topmanager an der Wall Street - das waren stets die Milieus, aus denen Weltbank-Präsidenten rekrutiert wurden. Umso größer war die Überraschung, als US-Präsident Obama den unbekannten 52-jährigen Arzt Jim Yong Kim präsentierte. Kim hat, was keiner der bisherigen Präsidenten von sich sagen konnte: praktische Erfahrung in der Entwicklungshilfe.

Nikolaus Piper, New York

Neuer Präsident der Weltbank wird der amerikanische Arzt und Anthropologe Jim Yong Kim. Der Verwaltungsrat der Bank entschied sich mit großer Mehrheit für den Kandidaten von Präsident Barack Obama. Kims Gegenkandidatin, die nigerianische Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala, hatte noch vor der Abstimmung aufgegeben.

Der neue Präsident wurde von den USA, den Europäern Japan, Mexiko und Russland unterstützt. Die sechzig Jahre alte Verteilung der Macht in Washington - die Spitze der Weltbank geht an die Amerikaner, die des Internationalen Währungsfonds an die Europäer - sie hat noch einmal funktioniert. Kim wird die Nachfolge des derzeitigen Präsidenten Robert Zoellick am 1. Juli antreten.

Viel wichtiger als das Ergebnis der Wahl ist jedoch wie sie zustande gekommen ist. Das fängt mit der Entscheidung Obamas für Kim an. Alle bisherigen Chefs der Weltbank stammten aus dem Establishment Washingtons oder der Wall Street. Das begann 1946 mit dem Finanzier Eugene Meyer, dem nebenbei auch noch die Washington Post gehörte. Der jetzige Amtsinhaber Zoellick hatte eine lange Karriere im Finanz- und Außenministerium der USA hinter sich. Auch diesmal galten Kandidaten aus dem Zentrum der Macht als Favoriten: Außenministerin Hillary Clinton, Ex-Obama-Berater Lawrence Summers oder UN- Botschafterin Susan Rice.

Erstmals gab es eine ernsthafte Gegenkandidatin

Umso größer war die Überraschung, als Obama mit Kim einen 52-jährigen Arzt präsentierte, der in Washington so gut wie unbekannt war. Jim Yong Kim, der als Kind koreanischer Einwanderer in Iowa aufwuchs, leitet das angesehene Dartmouth College in New Hampshire.

Kim hat, was keiner der bisherigen Präsidenten von sich sagen konnte, praktische Erfahrung in der Entwicklungshilfe. Er half Tuberkulose-Kranken auf Haiti und in den Slums von Lima und brachte Pharmahersteller dazu, billige Medikamente bereitzustellen. Bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rief er als Direktor der zuständigen Abteilung ein ehrgeiziges Programm zur Aids-Bekämpfung ins Leben. Offensichtlich wollte Obama mit der Kandidatur ein Signal geben. Kim ist zwar Amerikaner, aber in einem Schwellenland geboren - und er hat bewiesen, dass ihm die Belange der Ärmsten der Welt tatsächlich am Herzen liegen.

Die Ironie dieser Wahl liegt darin, dass Kim als erster Bewerber seit Bestehen der Weltbank eine ernsthafte Gegenkandidatin bekam: die nigerianische Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala, 57. Sie wurde nicht nur von den meisten afrikanischen Staaten unterstützt, sondern auch von Brasilien und viele Ökonomen und Entwicklungsexperten.

Die Harvard-Ökonomin war zweimal Finanzministerin ihres Landes und arbeitete 21 Jahre als Entwicklungsökonomin bei der Weltbank, zuletzt als Direktorin. Kim dagegen versteht erklärtermaßen nichts von Wirtschaft und Finanzen. Das könnte sein größtes Handicap werden. Die Weltbank ist zwar keine Bank im herkömmlichen Sinne, aber sie vergibt viel Geld, ihre Politik ist daher im Kern ökonomisch getrieben. Der nigerianischen Ministerin kann man daher nicht verdenken, dass sie sich mit der bitteren Bemerkung zurückzog, die Entscheidung beruhe "nicht auf Verdiensten", sondern auf "politischen Gewichten".

Machtduopol bei der Weltbank hat sich überlebt

Die Wahl Kims mag von vorneherein festgestanden haben, seine Biographie und das Verfahren seiner Wahl spiegeln jedoch die Verschiebung von Macht und Einfluss bei Weltbank und Internationalem Währungsfonds von den alten Industrie- zu den neuen Entwicklungs- und Schwellenländern. Das Machtduopol von Amerika und Europa an der Spitze von IWF und Weltbank hat sich überlebt, es gibt nur noch keinen Ersatz dafür. Aber die Schwellenländer dürften einen Preis für die Wahl Kims verlangen. Sie wollen ihren Einfluss weiter festigen. Schon vor zwei Jahren hat China Deutschland als Nummer drei unter den 187 Mitgliedern der Weltbank abgelöst.

Wie sich die Dinge bei den beiden multilateralen Institutionen geändert haben, wird die Frühjahrstagung von IWF und Weltbank zeigen, die am Freitag in Washington beginnt. Die Europäer kommen als Bittsteller, sie wollen mehr Geld vom IWF zur Eindämmung der Schuldenkrise. Damit stoßen sie zunehmend auf den Unwillen der Schwellenländer, die nicht einsehen wollen, dass eine der reichsten Regionen immer mehr Ressourcen des IWF beansprucht. Die Vereinigten Staaten sehen das kaum anders.

Für Kim werden die Aufgaben komplex sein. Die Organisation hat sich im vergangenen Jahrzehnt - auch als Folge heftiger Kritik von außen - grundlegend gewandelt. Im Grunde ähnelt die Weltbank heute eher einem Think-Tank, der sich um Armutsbekämpfung, Gesundheitsvorsorge und ländliche Entwicklung kümmert. Trotzdem muss die Weltbank mehr denn je um ihre Existenzberechtigung kämpfen. Nur um Geld auszugeben, braucht man keine Weltbank mehr. Ihre Stärke liegt darin, dass sie eine echte internationale Organisation ist und dass sie ihre Kredite unter strengen Auflagen vergibt - ein riesiger Vorteil, wie man seit der Finanzkrise weiß.

Um ihre Rolle spielen zu können, muss sie glaubwürdig sein. Darum muss sich Kim nun kümmern. Von ihm wird erwartet, dass er die Arbeit der Bank noch mehr auf Armutsbekämpfung und Gesundheitspolitik konzentriert. In ersten Äußerungen nach seiner Nominierung hatte er schon eine "offenere und zugänglichere Weltbank" versprochen. Das Versprechen muss er nun in einem für ihn völlig ungewohnten Umfeld einlösen.

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